Geschwind wie der Wind
Es lag einmal ein alter Vater, der einen Sohn hatte, auf dem Totenbett. Als er dem Sterben nahe war, sprach er zu seinem Knaben, der am Bette stand und weinte, dass es ihm fast das Herz abstieß. "Jörgl, ich muss nun von dir fort in die Ewigkeit und kann dir nichts hinterlassen als die drei Hunde im Hundestall drunten. Sie werden dir treu und redlich dienen und wenn du brav und redlich bist, wirst du noch einmal dein Glück in der Welt machen." - Bei den letzten Worten verließ den Alten die Stimme, er sank ganz aufs Lager zurück und die Augen waren für immer geschlossen.
Jörg wusste wohl, was das zu bedeuten habe, und weinte vom Morgen bis zum Abend bei seinem toten Vater. So trieb er es zwei Tage lang. Am dritten Tag aber kamen zwei schwarze Totengräber, die trugen den toten Vater vom weinenden Knaben weg und begruben ihn. In das Stübchen, in dem der Vater gestorben, kamen aber andere Leute und der Jörg, der wohl recht arm war, musste sich forttrollen. Er nahm den Stecken seines Vaters, ein Stücklein verschimmeltes Brot, das von den Lebzeiten des Vaters her noch da war, und die drei Hunde mit sich und ging in die weite Welt. Die Hunde hießen aber: Geschwind wie der Wind, Pack an, Eisenfest. Denn der Erste lief wie der Wind, der Zweite stürzte mit solcher Kraft auf die wildesten Tiere los, dass ihm keines widerstehen konnte, und der Dritte war so stark, dass er nichts, was er einmal gefasst hatte, losließ und alles zermalmte. Jörgl war mit seinen drei Begleitern schon weit, weit gegangen und bettelte sich Brot vor den Türen oder half, wo er konnte, auf dem Feld arbeiten, Heu mähen und Korn schneiden. Als er einmal wieder, es war gerade Sommer und die Sonne schien sehr heiß, mit seinen drei Begleitern weiterwanderte und ihm der Schweiß in großen Tropfen von der Stirn rann, sah er eine große Stadt mit hohen Türmen und großen, schönen Häusern. Er ging auf sie zu und als er näher kam, sah er, dass alle Gebäude mit schwarzem Flor behangen waren, und die Türme waren auch mit schwarzem Zeug überzogen, sodass man nur die goldenen Knöpfe glänzen sah. Es kam ihm dieses so sonderbar vor und noch sonderbarer schien ihm die Stille, die er ringsum bemerkte, als er in die Stadt gekommen war. Da war alles öde und wie ausgestorben, kein Wagen rollte über das Straßenpflaster, kein Schmied hämmerte, kein Binder polterte, keine Seele regte sich.
Als er auf den Platz gekommen war, sah er ein Mädchen, das schwarz angezogen in einem irdenen Krug Wasser vom Brunnen holte. Auf das ging er zu und fragte es, was das alles zu bedeuten hätte. Das Mädchen erzählte ihm bestürzt, dass in der Nähe ein fürchterlicher Drache hause, der die ganze Gegend weitum verheere und täglich zwei Jungfrauen mit Haut und Haar auffresse. Jeden Morgen würde das Los geworfen und die Jungfrauen, die das Los treffe, würden dem unersättlichen Wurm geopfert. Heute sei das Los auf die einzige, schöne Königstochter gefallen und deshalb sei alles in Trauer, selbst die Stadttürme. Der König sei ganz trostlos und habe dem, welcher die schöne Prinzessin befreien würde, seine Tochter und das ganze Königreich versprochen. Aber alles umsonst, denn jeder meide den gewissen Tod und niemand fände Lust, um die Königstochter zu werben. Der alte König sei deshalb noch bestürzter und zerraufe sich den greisgrauen Bart. Es dauere nur noch eine Stunde, dann sei Mittag, und der scheußliche Drache müsste abgefüttert werden.
Als das Mädchen ihm so erzählte, hörte er plötzlich Trompetenstöße und es kamen Herolde und ein Wagen, den sechs Schimmel zogen, und darin saß eine schöne Jungfrau mit goldenen Haaren und blauen verweinten Augen, die so schwarz wie die Nacht gekleidet war. Der Wagen hielt mitten auf dem Platz still, ein Herold trat vor und rief: "Das ist des Königs Wille und Begehr. Wer seine schöne Tochter vom Drachen befreit, soll sein geliebter Schwiegersohn und Nachfolger werden." Und wieder war es still und öde. Als aber Jörg die schöne Königstochter so weinen sah, wurde ihm das Herz so weich, dass ihm selbst die Augen übergingen, und er dachte: Ich will es in Gottes Namen wagen, denn wird die Königstochter vom wüsten Drachen gefressen, kann ich des Lebens doch nimmer froh werden. Er trat deshalb vor den Herold und sagte: "Wenn es so ist, wie du sagst, will ich es mit dem Drachen probieren."
Die holde Königstochter wischte, als sie dieses hörte, ihre blauen Augen aus und sie lächelte dem Jörg so lieb und bittend zu, dass er vor Freude zitterte. Sie führte ihn nun zum alten, greisgrauen König und als dieser den jörg sah und von seinem Vorhaben hörte, umarmte er ihn weinend und gab ihm seinen Segen. Indessen war die Stunde verflossen und es schlug zwölf Uhr. Da musste Jörg hinaus zum Drachen, denn dieser fraß auch um die zwölfte Stunde zu Mittag. Jörg pfiff seinen drei Hunden, dem Geschwind wie der Wind, dem Pack an und dem Eisenfest, und ging eine Viertelstunde nach Norden, bis er in die Nähe der Drachenhöhle kam. Kaum war er dort angekommen, kroch der Drache aus der Höhle, um das Essen in Empfang zu nehmen, und spie vor Hunger so viel Feuer aus, dass es dampfte wie in einer Esse.
Kaum sah Jörgl das Ungestüm, rief er dem ersten Hund zu: "Geschwind wie der Wind!" und der Geschwind wie der Wind stürzte sich schnell wie der Wind auf den Drachen los, dass dieser ganz und gar erschrak. Gleich rief Jörg dem zweiten Hund zu: "Pack an!" und dieser packte den wüsten Drachen mit solcher Kraft, dass der Wurm ihm nicht widerstehen konnte und nicht vom Fleck kam. "Eisenfest!" rief Jörg dem dritten zu und Eisenfest schlug seine Zähne in die harten Schuppen des Drachen ein dass sie zersprangen wie Glas und zerfleischte das Ungetüm, bis es tot war. Jörg schnitt dem im Blut daliegenden Wurm die lange Zunge heraus und brachte sie dem traurigen König.
Als dieser die Zunge sah, weinte er vor Freude, fiel dem Jörg um den Hals und ließ ihn wie seinen eigenen Sohn kleiden. Dann führte er ihn zur schönen Prinzessin, die nun das schwarze Kleid abgelegt hatte und die so schön war wie der Tag, und sagte: "Weil du mein Alles mir gegeben, so gebe ich dir alles." Er legte dann die Hände beider ineinander und segnete sie. Und als er das getan hatte, fiel draußen die Musik ein und beide hielten sich lange an der Hand und sprachen kein Wörtchen, sondern sahen nur einander an, als ob sie sich in alle Ewigkeit nicht sattsehen könnten. Ihre Augen glänzten vor Freude, als ob sie beide im Himmel wären. Und abends war Hochzeit, da hatten die drei Hunde auch einen recht guten Tag und fraßen, als ob sie gewusst hätten, was für ein Fest wäre. Jörg lebte aber viele, viele Jahre mit der Königstochter recht glücklich und als der alte König gestorben war, wurde er König und regierte, dass es eine Freude war. Die drei Hunde wachten an seinem Thron Tag und Nacht, bis auch er dem alten König gefolgt war.
Quelle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol