Im Rubikon-Exklusivgespräch diskutiert Walter van Rossum mit dem Richter Thomas Barisic, dem Politikwissenschaftler Lars Oberndorf und dem Juristen Martin Schwab über die sogenannte verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates.
Seit April 2021 hat der Verfassungsschutz ein neues Beobachtungsfeld erfunden: die Coronaleugner und Coronaprotestler. Der Verfassungsschutz spricht von einem „neuen Phänomenbereich“, der besiedelt sei von einem breiten „Spektrum an Einzelpersonen, Personenzusammenschlüssen und Netzwerken, das von der Kritik an einzelnen Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus über die Relativierung der gesundheitlichen Gefahren durch die Ansteckung mit dem Coronavirus bis hin zur Leugnung der Existenz des Virus an sich reicht“. Doch generös wird auch eine legitime Kritik an den Maßnahmen eingeräumt, die von der Meinungsfreiheit geschützt sei. Diese Form von „Coronaleugnung“ mag obskur, sektiererisch oder abwegig erscheinen. „Realitätsverweigerung ist jedoch, ein Teil der Meinungsfreiheit und im öffentlichen Diskurs zu dulden“. Nach den Bekloppten kommen die wirklich Gefährlichen. Das sind die, „von denen hinter der Diskussion um Coronaschutzmaßnahmen antidemokratische und menschenfeindliche Botschaften verbreitet werden oder sogar gewalttätiges Handeln eingefordert wird, das sich gegen den Staat und gegen die im Grundgesetz verankerten Werte und Normen richtet.“ Der Verfassungsschutz folgt hier dem Muster, das seit März 2020 fest institutionalisiert wurde: Jeder Zweifel an den Coronamaßnahmen ist entweder pathologisch oder kriminell.
Problematisch wird dann allerdings die Behauptung, dass die „Coronaleugner“ antidemokratische und menschenfeindliche Botschaften unters Volk brächten. Tatsächlich verlangen vermutlich 99 Prozent der Maßnahmenkritiker die Rückkehr zur Verfassungsmäßigkeit und zum Rechtsstaat alter Ordnung.
Deshalb erfinden die scharfsichtigen Verfassungsschützer die „Delegitimierung des Staates“. Und diese neue Unterwanderungstechnik geschieht „meist nicht durch eine unmittelbare Infragestellung der Demokratie als solche, sondern über eine ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen. Eine derartige Agitation steht im Widerspruch zu elementaren Verfassungsgrundsätzen wie dem Demokratieprinzip oder dem Rechtsstaatsprinzip.“
Leider wird nicht weiter erläutert, worin der Widerspruch genau besteht. Deshalb werden zur Verdeutlichung alte Bekannte aus den traditionellen „Phänomenbereichen“ hinzugezogen: Extremisten, Rechtsradikale, Antisemiten und so weiter. Und da das immer noch nicht reicht, werden Vergleiche mit totalitären Regimes der langen und wirren Liste der Vergehen hinzugefügt.
Man darf sagen, der Verfassungsschutz hat mit seinen Mitteln alles dafür getan, solche Vergleiche zu begründen.