Seiten

Samstag, 18. Juli 2020

Ein Märchen zum Wochenende ....


Der Wasserverkäufer

Auf einem Gut am Fuße des Spessarts war ein Bauer verstorben, dessen Söhne dem Hof den Rücken gekehrt und in der Stadt ihr Auskommen gefunden hatte.So fand sich keiner, der hätte weiter dort wirtschaften mögen und das Gut ward an einen wohlhabenden Handelsmann aus dem Orient gegeben, der die größte Menge Geldes geboten. Dieser setzte die Bewohner des Tals schon bald in großes Erstaunen, wie er schon nach wenigen Monden den ärmlichen Hof in ein prunkvolles Herrenhaus umwandelte. Die Wände glitzerten von Marmor, edle Steine und Mosaike umrankten die kunstvoll gefertigten Fenster, ein eisernes Tor ward vom besten Schmied des Landes gefertigt, so ein Stück hatte noch keiner gesehen und im Hofe wuchsen Palmen neben einem plätschernden Brunnen, um den gezähmte Raubkatzen strichen. Bei all dem war der neue Herr des Hauses freundlich und umgänglich, kaufte gern in den kleinen Läden im Nachbarort und ließ die Leute in seinem Anwesen ein- und ausgehen, als ob für ihn ein Fremder und ein Gast ein und dasselbe seien.

Ein Ratsherr aus dem Dorfe frug schließlich den Handelsmann, wie er denn zu seinem Reichtum gekommen und womit er Gewerbe treibe. Dieser gab ihm zur Antwort, ein Wasserverkäufer sei er, wie schon sein Vater, sein Großvater und alle seine Vorfahren, die ihm bekannt wären. Im fernen Afrika und im Perserlande habe er Wasser feilgeboten und damit die Kehlen der durstigen Reisen erfrischt. Darob war die Verwunderung groß, denn, so fragten die Leute, wie könne denn einer allein mit dem kühlen Trank sein Vermögen machen, auch wenn es, wie im Orient, rarer sei als im regenreichen Spessartwalde.

Das Tränklein sei, so entgegnete der Fremde, auch im Orient wohlfeil gewesen, denn allerorten habe es Wasserstellen und der Zisternen genug selbst in der weitesten Ödnis gegeben. Er habe indes nach etlichen Jahren des einfachen Lebens nicht nur mit dem Nass, sondern auch mit Kamelen und Viehzeug begonnen zu handeln. So seien der Wasserstellen nicht weniger geworden, aber das Wasser habe nun wohl auch den Tieren als Tränke gedienet und nicht wenige warden verschmutzt, so dass die Reisenden das Wasser verschmäht, wollten sie nicht in Siechtum verfallen. Also sei reines Wasser ein teures Gut geworden, mit dem er und seine Familie viel Gold und Geld angehäufet. Wenn aber ein Wasser aus dem Lande der Käufer gekommen, hätten sie schon dessentwegen ihm misstrauet und es verschmäht. So galt bald nur noch als ein edles Nass, was über viele Tagesreisen herangebracht ward.

„Höret den weisen Mann“, sprachen da so manche Leute, „warum sollten wir da Wasser verschenken, wenn so grosser Wert aus ihm ersprießt?“ Und sie trieben ihr Viehzeug in die Quellen und Bäche und überließen ihre Fluren der Kunst der Alchemisten, bis der letzte Brunnen verdorben. Alsdann leiteten sie von fern aus dem Bachgau und dem Alzenauer Land das Wasser in die Dörfer, das war so hart und schlecht, dass es nur mit großer Mühsal zum Trunke bereitet werden konnte und war, auch wenn es teuer bezahlt werden mußte, doch nur ein schändliches Gesöff. Wohl aber waren die Dorfoberen nun der lästigen Sorge um die Brunnen enthoben, die Bäuerlein konnten auf den Feldern treiben, was ihnen gutdünkte, und das Geld floß reichlich in die Taschen der Wassermeister.

Anderorten führten die Dorfoberen die edleren Quellen des Spessartwaldes durch die Rohre der Stadt Frankfurt, und man sann, einen großen Speicher im tiefen Wald zu errichten, dessen Wasser man für teures Geld in die großen Städte des Frankenlandes zu verkaufen trachtete.

Doch weiteres erzählte sodann der Fremde aus dem Morgenland: Märchenhafte Schätze hätten seine Karawanen bis aus dem fernen Chinesenlande herangeschafft: feinstes Porzellan sei die Zierde der Zelte geworden, in ihnen duftiger Tee aus Indien; kunstvoll gewebte Teppiche aus dem Perserlande hätten den Boden bedeckt. Da aber die Taglöhner aus den fernen Landen von unübertrefflicher Bescheidenheit wären, so trügen die Kamele die Gürtel des Maghreb zum fernen Hispanien, nur um die Ösen zu stanzen, und wieder her; ein Kefir käme aus dem fernen Kaukasus, der Topf, worin er bereitet, aus dem kühlen Lappenland. So die Bauern des Alpenlandes für ihre Viehherden und ihren Rahm von den Landesfürsten extra belohnet, bedienten sie sich nun der Fleischtöpfe Ägyptens und strichen gleichermaßen die Subsidien ein. Köstlicher schwarzer Reis käme aus dem Indianerland, Fisch von den Quellen des Nils in Afrika, Nüsse von der Elfenbeinküste, Pfeffer, Zimt und Saffaran von den Molukkeninseln, wo dergleichen überhaupt nichts wert, hier aber mit Gold aufgewogen würde.Und all dies hätten seine Karawanen bewirket, für die allerorten Wege eingerichtet, an deren Umschlagplätzen die ganze Welt sich am Reichtum des Orient erbauen könnte.

Und die Ratsherren der Dörfer beschlossen reihum, Wege zu bauen bis in das Morgenland. Bald durchzogen etlich neue Straßen in allen Himmelsrichtungen die Wälder des Spessart, große Wagen bevölkerten die einstmals verträumten Dörfer, das grobe Holz der Spessartforsten blieb auf den Haufen sitzen, statt der faden Äpfel und fauligen Pflaumen bedeckten Datteln, Feigen und Mangofrüchte die Ladentische und ließen die Körbe auf den Märkten überquellen. Ein jeder sah um sich herum den Überfluss des Orients und gab gar vieles auf sich, dem armseligen Treiben der Dorfbauern ein Ende geboten zu haben.

Nun aber war es an einem unschuldigen Knäblein, den Herrn aus dem Morgenlande zu fragen, warum er wohl, wenn sein Heimatland von Gold und Elfenbein geschaffen, dieses verlassen und nicht mehr unter den seinen verweilen wollte.

Da senkte der Fremde den Blick, schwieg eine geraume Weile und sprach dann, wo er einst unter Palmen gelegen, wäre heute wüstes Land. Die Brunnen seien versiegt, die Häuser verfallen und die Wege vom Sand bedeckt. Er aber zöge es nicht vor, auf hartem Fels sein Lager einzunehmen und dasselbe mit Skorpionen und Schlangen zu teilen. Dann erhob er sich und begab sich in seine Gemächer.

Hierauf schwieg so mancher Dorfrat, den feingekleideten Bürgern wollten die süßen Früchte nicht mehr so recht schmecken und ihre Blicke mochten an den Tischen aus den edlen Hölzern Amazoniens keinen Gefallen mehr finden.

Darob aber gerieten die Alten des Dorfes, dem der Knabe entstammte, in großen Zorn. Heftig gescholten ward er, über das Knie gelegt und ordentlich durchgebläut, sodann angewiesen, das Haus seiner Eltern aufzusuchen und dem des Handelsmanns fortan fern zu bleiben. Einige aber liefen dem Muselmann hinterdrein, mischten in seinen Saft Branntwein, um ihn fröhlich zu stimmen, und ließen nicht eher von ihm ab, bis er sich wieder zu den Gästen begab, bleich und schwankend zwar, aber ohne dunkle Gedanken, die ihnen das Gemüt hätten bewegen können.

Noch am Tage darauf traf eine Karawane ein, die brachte Fichtenhölzer aus dem fernen Sibirien, Kartoffeln aus Ägypten, Wasser von den Felsen der Insel Madagaskar, Tuche aus Abessinien und Leder vom sagenhaften Indusland. Und die Hölzer wurden sogleich weiter zum Entrinden nach Siebenbürgen verschickt, die Kartoffeln zum Schälen nach Galizien, das Tuch verschiffte man zum Verschneiden auf die philippinischen Inseln, das Leder ward in den Bergen des Atlas zu Bällen vernähet. Das Wasser von der Madagasseninsel ward indessen in kristallene Flaschen gefüllt und teurer als Wein verkaufet. In die Behälter des kostbaren Guts füllte man indessen feinen Sand aus den Gruben der Spessarttäler und verbrachte ihn in die große Sahara, wo für den Obersten der Karawansereien Mauerwerk für ein großes Bad erstellet werden sollte. Und wer das große Werk verrichtet sah, pries den Morgenländer ob seiner großen Weisheit, die dem Lande so unermeßlichen Reichtum bescheret und bat Gott, dass er ihm noch ein langes Leben bescheren möge.

Quelle: Deutschland - Unbekannt



4:41 Minuten - https://www.youtube.com/watch?v=bZlphguqS5g

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Anonyme Kommentare werden entfernt!