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Samstag, 27. April 2024

Ein Märchen zum Wochenende

Die beiden Geschwister und die drei Hunde

Ein Müller und seine Frau starben nacheinander. Sie hinterließen aber zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, und diesen zum Erbe nichts andres als eine Ziege und einen Hahn. Da wollten die Kinder beide Tiere verkaufen, damit sie zu leben hätten, und es band der Knabe der Ziege den Hahn zwischen die Hörner und trieb sie zum Jahrmarkt. Auf der Straße traf er zu einem Fleischhauer, der wollte gerade Vieh kaufen und führte drei Hunde mit sich, einen schwarzen, einen weißen und einen gefleckten. „Willst du nicht mit mir tauschen?“ sprach er zum Knaben. Der sah sich die Hunde an, und weil sie ihm sehr gut gefielen, schlug er ein. Der Fleischhauer gab ihm noch ein Pfeifchen und sagte: „Wenn du dieses blasest, so kommen die Hunde, wo sie auch immer sind, dir zu Hilfe!“ Damit kehrte er nach Hause. Aber seine Schwester fing an zu weinen, als sie sah, dass ihr Bruder kein Brot brachte. „So müssen wir jetzt doch verhungern!“ rief sie einmal über das andere.

Die Hunde aber hatten alles verstanden, und sie sprangen nur einmal auf und liefen fort. In der Nähe war gerade das königliche Lustschloss. Da lief der schwarze in die Küche und brachte einen Braten. Der weiße lief in die Speisekammer und brachte ein Brot, der gefleckte sprang in den Keller und holte eine Flasche Wein. Nun freuten sich die beiden Kinder, aßen und tranken und hatten von da an keine Not. Denn wenn sie hungrig waren, so brachten ihnen die Hunde immer Speise. Aber der König hatte gehört, dass drei Hunde so und so in seine Küche, seine Speisekammer und seine Keller einbrachen und das Beste fortschleppten und dass man sie nicht fangen könne. Da befahl er, man solle überall nachsuchen, und wenn man die Hunde fange, sie und ihre Herren umbringen. Das erfuhren auch die Kinder. Sie machten sich schnell auf und zogen mit den Hunden tief in einen Wald. Hier kamen sie an eine Hütte, drinnen brannte eine Kerze. Sie gingen hinein, und da war eine alte Frau. „Gottlob!“ rief sie, „heute Nacht gibt es wieder etwas zum Umbringen! Denn wisset, hier hausen zwölf Räuber, die bald nach Hause kommen.“ Die Kinder fürchteten sich sehr. Allein dem Knaben kam es bald ein, was zu machen sei. Er ließ den schwarzen Hund vor der Gassentüre, den weißen hinterm Tor, den gefleckten vor der Haustüre Wache halten.

Bald kamen sechs Räuber und fluchten und tobten. Die alte Räubergroßmutter wollte hinaus und ihre Leute warnen. Allein der gefleckte Hund knurrte, sprang gegen sie und ließ sie nicht heraus. Als aber die sechs an das Haus kamen, sprang der schwarze Hund auf, riss sie nieder und brachte alle um. Dann legte er sich zwischen die Toten und lauerte wieder. Nach kurzer Zeit kamen auch die sechs anderen. Der schwarze riss sie ebenfalls nieder und würgte sie. Nur einer von den Räubern, ein junger Kaufmann, war nicht ganz tot. Der schleppte sich noch zum Tor hinein. Da riss ihn der weiße Hund zu Boden. Die alte Räubergroßmutter musste jetzt alles zeigen, was zu sehen war. In einer Kammer lagen große Haufen gestohlener Schätze, und an einer Wand hing ein großes Schwert, das hüpfte in der Scheide. Der Knabe nahm es und band es sich an die Seite. Der Keller war voll von Toten. Dahin musste die Alte auch die Erschlagenen schleppen. Allein den halbtoten jungen Kaufmann verschloss sie unbemerkt in die Kammer.

Am andern Morgen nahm der Knabe seinen schwarzen Hund und ging fort, um die Gegend zu beschauen. Die Schwester blieb mit den beiden anderen Hunden in der Räuberhütte. Da nahm die Alte einen Topf, ging hinaus in die Kammer, schmierte den Kaufmann, und alsbald war er frisch und gesund. Beide kamen nun zur Schwester und überredeten sie, sie solle den Kaufmann heiraten und hier wohnen und alle Schätze besitzen. Ihren Bruder sollten sie umbringen, doch müssten sie erst die Hunde fortschaffen. Das sei aber leicht. Sie solle nur einzeln dieselben in die Kammer nach Mehl schicken, da werde sie die Alte einsperren. Dem Mädchen gefiel der junge Kaufmann, und es willigte ein, und dieser versteckte sich. Als ihr Bruder nach Hause kam, erschien ihm seine Schwester verändert, sie sprach auch ganz anders. Nur einmal schickte sie die Hunde hinaus in die Kammer nach Mehl. Da merkte sich der Knabe etwas. Er ging hinaus und wollte in die Kammer. Diese aber war fest verschlossen. Da erinnerte er sich an das Pfeifchen, das ihm der Fleischhauer gegeben. Er nahm es hervor und blies. Auf einmal sprang die Tür entzwei, und die drei Hunde waren um ihn. Nun ging er wieder in die Hütte. Da stand seine Schwester und der junge Kaufmann und wollten den Knaben eben angreifen und umbringen. Aber er zog sein Schwert und hieb dem Kaufmann den Kopf ab, ging dann in die Kammer und tat an der Alten ein Gleiches. Darauf befahl er seiner Schwester, die Toten in den Keller zu schleppen, warf sie dann selbst hinein und sprach, indem er sie einschloss: „Bis du den jungen Räuber nicht aufgegessen hast, sollst du immer hier bleiben!“

Dann nahm der Knabe seine drei Hunde und zog fort. Er kam aber in eine Stadt, wo die Häuser alle mit schwarzem Flor überzogen waren. Er fragte gleich, was das zu bedeuten hätte. Da erzählte ihm der Wirt: In der Nähe sei ein siebenhäuptiger Drache. Dem müsste jedes Jahr eine Jungfrau dargebracht werden, und jetzt sei es an der Tochter des Königs, und darum sei die Stadt in Trauer. Da geschah es, dass die Königstochter hinausfuhr ohne Begleitung. Nur der Kutscher war auf dem. Wagen. Der Knabe nahm seine Hunde und zog auch dahin. Er kam auf einem Umwege noch eher zur Stätte. Der Kutscher aber getraute sich nicht, nahe zu fahren. Er hielt schon von weitem still, und die Königstochter musste zu Fuße die übrige Strecke zurücklegen. Als sie anlangte, kam ihr der Knabe entgegen und sprach: „Fürchte dich nicht, ich will den Drachen bestehen!“ Sein Schwert hüpfte schon in der Scheide und sehnte sich nach dem Drachenblut. Bald kam der fürchterliche Wurm schnaubend herangefahren. Der Knabe erhob sein Schwert, und auf einen Hieb waren alle Häupter unten. Er blieb aber unbedacht auf der Stelle stehen, und nun traf ihn der zappelnde Schweif des Drachen, so dass er wie tot hinfiel. Die Hunde sprangen nun auf den Drachen und machten ihn in kurzem vollends tot. Nur zuckten die Glieder, bis die Sonne unterging. Die Königstochter aber sank hin zur Leiche und weinte sehr. Da kamen auch die Hunde und weinten und wussten keinen Rat. Endlich erinnerten sich der weiße und gefleckte Hund an den Topf, aus dem die Alte im Wald den Kaufmann lebendig gemacht. Wie sie es erzählten, gab ihnen der schwarze einen derben Schlag, warum sie nicht eher daran gedacht hätten, und sie mussten gleich hinlaufen und den Topf bringen.

Als die Königstochter den Toten geschmiert hatte, schlug er die Augen auf, war frisch und gesund, und es schien ihm, als erwache er aus einem tiefen Schlafe. „Du hast mich gerettet und sollst nun auch meine Hand haben, wie es mein Vater versprochen hat!“ rief die Königstochter. Der Knabe freute sich des, aber er wollte sie prüfen, ob sie ihm auch treu sein würde, und sprach daher: „Ich muss noch in der Welt herumziehen und Drachen bekämpfen. Aber unter Jahr und Tag komme ich, dann wollen wir Hochzeit halten!“

Die Königstochter schnitt darauf ihren Namen aus dem Taschentuch und gab ihn dem Knaben, und jedem der Hunde legte sie ein seidenes Band um den Hals, dem schwarzen ein weißes, dem weißen ein schwarzes und dem gefleckten ein gestreiftes. Dann schnitt der Junge noch die Zungen aus den Drachenhäuptern, steckte sie ein und ging weiter. Die Königstochter aber weinte. Als der Kutscher sah, dass der Drache erlegt und der Junge fort war, lief er auch hin und fragte die Königstochter, warum sie weine, da sie jetzt befreit sei. Wie sollte sie nicht weinen, sprach sie, da ihr Retter sie verlassen habe. Der Kutscher aber baute hierauf gleich einen bösen Plan. Er drohte der Königstochter, wenn sie nicht verspreche zu sagen, dass er den Drachen erlegt habe, so wolle er sie auf der Stelle umbringen. In der Not versprach es die Königstochter. Da nahm er die Häupter vom Drachen, lud sie auf den Wagen und fuhr mit der Königstochter heim. Alles Volk jubelte, als man sie wieder sah, und pries ihren Retter, und für den gab sich der Kutscher aus. Der König wollte auch gleich Wort halten und ordnete an, dass die Hochzeit gefeiert werde. Aber seine Tochter bat ihn sehr, er solle ihr noch ein Jahr freie Zeit gönnen, und so ließ er’s geschehen.

Eben war das Jahr zu Ende und der Hochzeitstag da. Die ganze Stadt war festlich geschmückt, und in der königlichen Küche und im Keller war alles beschäftigt. Der Knabe war ebenfalls auf die verabredete Zeit in die Stadt gekommen. Der Gastwirt erzählte ihm nun, warum die ganze Stadt heute so fröhlich sei:

Der Kutscher des Königs habe vor einem Jahr den Drachen erlegt, und heute erst, weil es die Königstochter so gewünscht, solle die Hochzeit gefeiert werden. Da sah der Knabe, wie treu ihm die Königstochter gewesen und dass ein schändlicher Betrug im Spiele sei. Er sagte aber nichts von sich und von dem, was er vorhabe. Nur behauptete er, er werde heute das Beste von der Königstafel essen und trinken und am Ende werde ihn der alte König selbst mit vier weißen Hengsten zum Hochzeitsmahle führen. Der Wirt glaubte nicht, dass dieses möglich sei, und wettete auf sein ganzes Vermögen.

Als es Mittag war und es hieß, dass alle schon an der königlichen Tafel säßen, schickte der Knabe seinen schwarzen Hund hin, er solle von dem Teller der Königstochter den Braten bringen. Der Hund lief in einem fort, riss alle Wachen, die ihm wehren wollten, nieder, und eben hatte man der Königstochter das beste Stück vorgelegt, als der Hund es packte und damit fortlief und es seinem Herrn brachte. Die Königstochter aber hatte den Hund an dem weißen Bande gleich erkannt und freute sich im Herzen, dass ihr Retter nahe sei. Nun wollte der Knabe auch Brot haben. Das musste der weiße Hund holen. Der machte es ebenso wie der schwarze, nahm es der Königstochter neben dem Teller her fort und lief hinaus. Der alte König, der Bräutigam und die Gäste erstaunten und waren zornig. Nur die Königstochter freute sich. „Jetzt will ich aber auch trinken!“ sprach der Knabe, als er gegessen hatte. Der gefleckte Hund musste den Wein holen, der vor der Königstochter auf dem Tische stand. Er machte es ebenso wie der schwarze und weiße Hund. Die Königstochter freute sich, als sie auch ihn sah. Aber der alte König konnte seinen Zorn nicht mehr zurückbehalten. Er gab Befehl, man solle den Herrn der Hunde erforschen und gleich gebunden vor ihn bringen. Sogleich gingen eine Menge Soldaten hin und her und suchten ihn und kamen so auch ins Wirtshaus.

As sie die Hunde hier sahen und ihren Herrn daneben, wollten sie ihn packen und fortführen. Allein die Hunde fielen gleich über sie her und warfen sie zu Boden. Als man dem König das meldete, stieg sein Zorn aufs höchste. Er schickte alle seine Soldaten hin, um den Frevler herbeizuholen. Allein auch diese konnten nichts machen. Die Hunde rissen alle nieder. Da ließ der Knabe sagen, der König solle gleich mit vier weißen Hengsten nach ihm kommen und ihn zur königlichen Tafel führen. Der König hatte seinen Zorn zwar aufgegeben. Denn er sah ein, dass er es mit einem mächtigen Herrn zu tun habe. Allein sein Stolz ließ es ihm nicht zu, selbst hinzufahren. Er schickte nur einen Minister und einen Hofwagen mit zwei Pferden. Aber der Knabe wies diesen zurück und ließ dem König sagen, er solle gleich selbst kommen und mit einem Viergespann, so wie es verlangt worden, sonst würde es ihm nicht gut gehen. Die Königstochter redete ihrem Vater zu, er solle nicht sein Leben aufs Spiel setzen, und so bemeisterte er seinen Zorn und fuhr hin. Als der königliche Wagen von vier weißen Hengsten gezogen vor dem Wirtshause hielt, lief der Wirt wie wahnsinnig zum Knaben und sprach: „Du hast die Wette gewonnen. Ich aber bin ein ruinierter Mann!“ Allein der Knabe tröstete ihn gleich: „Also du glaubst mir jetzt? Nun, ich schenke dir wieder alles, was du verspielt hast!“ Damit ging er hinaus und setzte sich neben den König, und seine drei Hunde sprangen auch in den Wagen. Sobald er fortrollte, rief der Wirt: „So einen Gast habe ich in meinem Leben nie beherbergt!“

Als sie im Königssaale anlangten, setzte sich der Knabe sogleich der Braut gegenüber, und neben dieser saß der Bräutigam. Nun aß man und war lustig. Zuletzt kam man nach mancherlei Gesprächen auf die Beantwortung von Fragen. Als die Reihe zu fragen an den Knaben kam, sprach er: „Was verdient der, welcher den König auf das schändlichste betrügt?“ Der Bräutigam rief sogleich: „Der verdient, dass man ihn an den Schweif eines wilden Pferdes binde und durch die Stadt schleife.“ Da erhob sich der Knabe: „Du hast dir selbst dein Urteil gesprochen, denn wisse, ich bin der Drachentöter, nicht du!“ Der Kutscher aber behauptete noch fort, dass er ihn getötet habe, und ließ zum Beweise die sieben Drachenhäupter hereinbringen. Noch waren die Gäste auf seiner Seite. Da sprach aber der Knabe, man solle dem Drachen in den Mund sehen. Da fanden sie keine Zungen darin. „Wo sind denn die Zungen“, fragte der Knabe, „wenn du den Drachen getötet hast?“ Darauf war der Kutscher nicht gefasst und behauptete dreist, Drachen hätten keine Zungen. Den Gästen kam das nun doch sonderbar vor. Allein sie wussten nicht, wie die Sache wäre. Da ließ man den Koch hereinrufen, und der König fragte diesen, ob er ein Tier kenne, das keine Zunge hätte. Der Koch sprach, er kenne keines. Alle Tiere müssten auch eine Zunge haben, denn womit sollten sie sonst schmecken. „Nun!“ sprach aber der Knabe, „will ich es noch mehr beweisen, dass die Drachen Zungen haben“, nahm damit sein Tuch heraus, wickelte es auf und legte sieben Drachenzungen vor, und als man sie in den Mund hielt, passten alle genau.

Der Kutscher fing nun an zu zittern und wollte hinaus: allein man hielt ihn fest. „Jetzt aber wird auch die Königstochter es bezeugen, dass ich den Drachen getötet habe.“ Damit nahm er den Namen aus ihrem Taschentuch und sprach: „Ist das deine Arbeit? Siehe die Halsbänder der Hunde, kennst du sie? Erzähle!“ Jetzt, da die Sache ohne ihr Zutun schon heraus war, hielt sie sich ihres Eides für los und ledig und erzählte alles vom Drachenkampf und wie sie ihrem Befreier den Namen aus ihrem Schnupftuch gegeben und den Hunden die Halsbänder umgelegt habe. Wie dann der Kutscher hingekommen und gedroht habe, sie umzubringen, wenn sie ihm nicht eidlich verspreche, ihn für den Drachentöter auszugeben. Da wurde der Kutscher ergriffen und die Strafe, die er sich selbst bestimmt hatte, an ihm vollzogen.

Der Knabe aber hielt nun Hochzeit mit der Königstochter. Und diese war über alle Maßen froh und glücklich. Als der alte König starb, folgte ihm der Knabe im Reiche nach, und er herrschte weise und gerecht.

Aber ein Kummer nagte doch an seinem Herzen. Er dachte an seine Schwester, und obgleich diese so böse an ihm gehandelt, so hatte er ihr jetzt doch verziehen, und er wollte sie, wenn möglich, auch noch glücklich machen. Er zog daher mit seinen Hunden nach dem Waldhäuschen. Da fand er sie im Keller. Sie hatte alle Toten verzehrt, nur den Kaufmann nicht, und das wollte sie auch nicht, lieber sterben. Der Bruder nahm sie jetzt mit an seinen Königshof und machte sie zum ersten Hoffräulein. Allein sie hatte ihre Falschheit noch nicht aufgegeben. Ihr Bruder sollte es büßen, dass er sie so gestraft habe. Sie ließ bei einem Schmied ein scharfes Messer machen und stellte dieses in das Bett des Königs. Als dieser abends müde sich auf das Bett warf, ging es ihm durch und durch, und er war alsbald tot. Am Morgen aber, wie man hörte, dass der König ermordet wäre, wurde das ganze Land von der höchsten Trauer erfüllt. Die Schwester aber hatte ihr böses Gewissen vom Hofe fortgetrieben, und so war man überzeugt, dass sie es getan habe. Die Königin aber warf sich auf die Leiche, rang die Hände und konnte nicht weinen vor Schmerz. Die Hunde lagen um sie, winselten in der Trauer um ihren Herrn und ächzten. Da erinnerten sie sich an den Topf mit der lebendig machenden Salbe. Schnell liefen sie nach der Stelle, wo der Drache gelegen, fanden hier noch die Scherben und brachten sie, und es war noch so viel Salbe drinnen, dass man den König bestreichen konnte. Da schlug er wieder die Augen auf und war gesund. Alles war voller Jubel, allein niemand freute sich mehr als die Königin. Als man dem König sagte, was mit ihm vorgefallen und dass seine Schwester entwichen sei, rief er:

„Ja, die böse Schlange, das hat sie getan!“ Er ließ sie wieder aufsuchen und ins Waldhaus einsperren bei ihrem toten Kaufmann. Da musste sie nun fort an der Leiche sitzen. Bis sie verhungerte.

Es geschah aber, dass die Hunde jetzt vor den König traten und sprachen: „Von nun an können wir dir nichts weiter nützen, haue uns die Häupter ab.“ – „Nein, nie und nimmermehr, das wäre ein schöner Dank für so treue Dienste!“ Wenn sie ihm auch weiter keinen Dienst mehr erweisen könnten, so wolle er sie doch getreu pflegen bis an ihren Tod. Da baten sie ihn aber so sehr und so lange, dass er gerade den größten Dank ihnen damit erweise, wenn er ihren Wunsch erfülle, und so fasste er endlich betrübten Herzens sein Schwert und hieb jedem das Haupt ab. Siehe, da standen nur einmal drei Königssöhne: „Dank dir, du hast uns erlöst. Wir waren so lange verzaubert, bis zum Dank für geleistete Dienste ein junger Held uns das Haupt abschlagen würde, und das hast du getan!“ Damit zog jeder fort in seine Heimat, und so waren jetzt alle froh und zufrieden.

Quelle: Josef Haltrich 

Samstag, 20. April 2024

Ein Märchen zum Wochenende

Die goldene Gans 

Es war ein Mann, der hatte drei Söhne, davon hieß der jüngste der Dummling und wurde verachtet und verspottet und bei jeder Gelegenheit zurückgesetzt. Es geschah, dass der älteste in den Wald gehen wollte, Holz zu hauen, und ehe er ging, gab ihm noch seine Mutter einen schönen feinen Eierkuchen und eine Flasche Wein mit, damit er nicht Hunger und Durst litte. Als er in den Wald kam, begegnete ihm ein altes graues Männlein, das bot ihm einen guten Tag und sprach: „Gib mir doch ein Stück Kuchen aus deiner Tasche und lass‘ mich einen Schluck von deinem Wein trinken, ich bin so hungrig und durstig.“ Der kluge Sohn aber antwortete: „Geb‘ ich dir meinen Kuchen und meinen Wein, so hab‘ ich selber nichts, pack‘ dich deiner Wege“, ließ das Männlein stehen und ging fort. Als er nun anfing einen Baum zu behauen, dauerte es nicht lange, so hieb er fehl, und die Axt fuhr ihm in den Arm, dass er musste heimgehen und sich verbinden lassen. Das war aber von dem grauen Männchen gekommen.

Darauf ging der zweite Sohn in den Wald, und die Mutter gab ihm, wie dem ältesten, einen Eierkuchen und eine Flasche Wein. Dem begegnete gleichfalls das alte graue Männchen und hielt um ein Stück Kuchen und einen Trunk Wein an. Aber der zweite Sohn sprach auch ganz verständig: „Was ich dir gebe, das geht mir selber ab, pack‘ dich deiner Wege“, ließ das Männlein stehen und ging fort. Die Strafe blieb nicht aus, als er ein paar Hiebe am Baum getan, hieb er sich ins Bein, dass er musste nach Hause getragen werden.

Da sagte der Dummling: „Vater, lass‘ mich einmal hinausgehen und Holz hauen.“ Antwortete der Vater: „Deine Brüder haben sich Schaden dabei getan, lass‘ du davon ab, du verstehst nichts davon.“ Der Dummling aber bat so lange, bis er endlich sagte: „Geh‘ nur hin, durch Schaden wirst du klug werden.“ Die Mutter gab ihm einen Kuchen, der war mit Wasser in der Asche gebacken und dazu eine Flasche saures Bier. Als er in den Wald kam, begegnete ihm gleichfalls das alte graue Männchen, grüßte ihn und sprach: „Gib mir ein Stück von deinem Kuchen und einen Trunk aus deiner Flasche, ich bin so hungrig und durstig.“ Antwortete der Dummling: „Ich habe aber nur Aschenkuchen und saures Bier, wenn dir das recht ist, so wollen wir uns setzen und essen.“ Da setzten sie sich, und als der Dummling seinen Aschenkuchen herausholte, so war’s ein feiner Eierkuchen, und das saure Bier war ein guter Wein. Nun aßen und tranken sie, und danach sprach das Männlein: „Weil du ein gutes Herz hast und von dem Deinigen gern mitteilst, so will ich dir Glück bescheren. Dort steht ein alter Baum, den hau‘ ab, so wirst du in den Wurzeln etwas finden.“ Darauf nahm das Männlein Abschied.

Der Dummling ging hin und hieb den Baum um, und wie er fiel, saß in den Wurzeln eine Gans, die hatte Federn von reinem Gold. Er hob sie heraus, nahm sie mit sich und ging in ein Wirtshaus, da wollte er übernachten. Der Wirt hatte aber drei Töchter, die sahen die Gans, waren neugierig, was das für ein Wundervogel wäre, und hätten gar gerne eine von seinen goldenen Federn gehabt. Die älteste dachte: „Es wird sich schon eine Gelegenheit finden, wo ich mir eine Feder ausziehen kann“, und als der Dummling einmal hinausgegangen war, fasste sie die Gans beim Flügel, aber Finger und Hand blieben daran festhängen. Bald danach kam die zweite und hatte keinen andern Gedanken, als sich eine goldene Feder zu holen; kaum aber hatte sie ihre Schwester angerührt, so blieb sie festhängen. Endlich kam auch die dritte in gleicher Absicht; da schrien die andern: „Bleib‘ weg, ums Himmels willen, bleib‘ weg!“ Aber sie begriff nicht, warum sie wegbleiben sollte, dachte: „Sind die dabei, so kann ich auch dabei sein“, und sprang herzu, und wie sie ihre Schwester angerührt hatte, so blieb sie an ihr hängen: So mussten sie die Nacht bei der Gans zubringen.

Am andern Morgen nahm der Dummling die Gans in den Arm, ging fort und bekümmerte sich nicht um die drei Mädchen, die daran hingen. Sie mussten immer hinter ihm dreinlaufen, links und rechts, wie’s ihm in die Beine kam. Mitten auf dem Feld begegnete ihnen der Pfarrer, und als er den Aufzug sah, sprach er: „Schämt euch, ihr garstigen Mädchen, was lauft ihr dem jungen Bursch durchs Feld nach, schickt sich das?“ Damit fasste er die Jüngste an der Hand und wollte sie zurückziehen: wie er sie aber anrührte, blieb er gleichfalls hängen und musste selber hinterdrein laufen. Nicht lange, so kam der Küster daher und sah den Herrn Pfarrer, der drei Mädchen auf dem Fuße folgte. Da wunderte er sich und rief: „Ei, Herr Pfarrer, wohinaus so geschwind? vergesst nicht, dass wir heute noch eine Kindtaufe haben, lief auf ihn zu und fasste ihn am Ärmel, blieb aber auch fest hängen. Wie die fünf so hintereinander hertrabten, kamen zwei Bauern mit ihren Hacken vom Feld; da rief der Pfarrer sie an und bat, sie möchten ihn und den Küster losmachen. Kaum aber hatten sie den Küster angerührt, so blieben sie hängen, und waren ihrer nun siebene, die dem Dummling mit der Gans nachliefen

Er kam darauf in eine Stadt, da herrschte ein König, der hatte eine Tochter, die war so ernsthaft, dass sie niemand zum Lachen bringen konnte. Darum hatte er ein Gesetz gegeben, wer sie könnte zum Lachen bringen, der sollte sie heiraten. Der Dummling, als er das hörte, ging mit seiner Gans und ihrem Anhang vor die Königstochter, und als diese die sieben Menschen immer hintereinander herlaufen sah, fing sie überlaut an zu lachen und wollte gar nicht wieder aufhören. Da verlangte sie der Dummling zur Braut, aber dem König gefiel der Schwiegersohn nicht, er machte allerlei Einwendungen und sagte, er müsse ihm erst einen Mann bringen, der einen Keller voll Wein austrinken könnte. Der Dummling dachte an das graue Männchen, das könnte ihm wohl helfen, ging hinaus in den Wald, und auf der Stelle, wo er den Baum abgehauen hatte, sah er einen Mann sitzen, der machte ein gar betrübtes Gesicht. Der Dummling fragte, was er sich so sehr zu Herzen nähme. Da antwortete er: „Ich habe so großen Durst und kann ihn nicht löschen, das kalte Wasser vertrage ich nicht, ein Fass Wein habe ich zwar ausgeleert, aber was ist ein Tropfen auf einem heißen Stein?“ – „Da kann ich dir helfen“, sagte der Dummling‘ „komm‘ nur mit mir, du sollst satt haben.“ Er führte ihn darauf in des Königs Keller, und der Mann machte sich über die großen Fässer, trank und trank, dass ihm die Hüften weh taten, und ehe ein Tag herum war, hatte er den ganzen Keller ausgetrunken. Der Dummling verlangte abermals seine Braut, der König aber ärgerte sich, dass ein schlechter Bursch‘ den jedermann einen Dummling nannte, seine Tochter davontragen sollte, und machte neue Bedingungen: er müsste erst einen Mann schaffen, der einen Berg voll Brot aufessen könnte. Der Dummling besann sich nicht lange, sondern ging gleich hinaus in den Wald: da saß auf demselben Platz ein Mann, der schnürte sich den Leib mit einem Riemen zusammen, machte ein grämliches Gesicht und sagte:

„Ich habe einen ganzen Backofen voll Raspelbrot gegessen, aber was hilft das, wenn man so großen Hunger hat wie ich; mein Magen bleibt leer, und ich muss mich nur zuschnüren, wenn ich nicht Hungers sterben soll.“ Der Dummling war froh darüber und sprach: „Mach‘ dich auf und geh‘ mit mir, du sollst dich satt essen.“ Er führte ihn an den Hof des Königs, der hatte alles Mehl aus dem ganzen Reich zusammenfahren und einen ungeheuren Berg davon backen lassen; der Mann aus dem Walde stellte sich davor, fing an zu essen, und in einem Tag war der ganze Berg verschwunden. Der Dummling forderte zum drittenmal seine Braut, der König aber suchte noch einmal Ausflucht und verlangte ein Schiff, das zu Land und zu Wasser fahren könnte: „Sowie du aber damit angesegelt kommst“, sagte. er, „so sollst du gleich meine Tochter zur Gemahlin haben.“ Der Dummling ging geradewegs in den Wald, da saß das alte graue Männchen, dem er seinen Kuchen gegeben hatte, und sagte: „Ich habe für dich getrunken und gegessen, ich will dir auch das Schiff geben; das alles tue ich, weil du barmherzig gegen mich gewesen bist.“ Da gab er ihm das Schiff, das zu Land und zu Wasser fuhr, und als der König das sah, konnte er ihm seine Tochter nicht länger vorenthalten. Die Hochzeit ward gefeiert, nach des Königs Tod erbte der Dummling das Reich und lebte lange Zeit vergnügt mit seiner Gemahlin.

Quelle: Gebrüder Grimm

Samstag, 13. April 2024

Ein Märchen zum Wochenende

Vom unsichtbaren Königreiche

In einem kleinen Hause, welches wohl eine Viertelstunde abseits von dem übrigen Dorfe auf der halben Berghöhe lag, wohnte mit seinem alten Vater ein junger Bauer, namens Jörg. Es gehörten zu dem Hause so viel Ackerfeld, daß beide eben keine Sorgen hatten. Gleich hinter dem Hause fing der Wald an, mit Eichen und Buchen, so alt, daß die Enkelkinder von denen, welche sie gepflanzt hatten, schon seit mehr als hundert Jahren tot waren; vor ihm aber lag ein alter zebrochener Mühlstein – wer weiß, wie der dahin gekommen war. Wer sich auf ihn setzte, der hatte eine wundervolle Aussicht hinab ins Tal, auf den Fluß, der das Tal durchströmte, und die Berge, die jenseits des Flusses aufstiegen. Hier saß der Jörg am Abend, wenn er seine Arbeit auf dem Feld getan hatte, den Kopf auf die Hände und die Ellenbogen auf die Knie gestützt, oft stundenlang und träumte, und weil er sich wenig um die Leute im Dorf bekümmerte und meist still und in sich gekehrt einherging wie einer, der an allerhand denkt, nannten ihn die Leute spottweise Traumjörge. Dies war ihm jedoch völlig gleichgültig.

Je älter er aber ward, desto stiller wurde er; und als sein alter Vater endlich starb und er ihn unter einer großen alten Eiche begraben hatte, wurde er ganz still. Wenn er dann auf dem alten zerbrochenen Mühlsteine saß, was er jetzt viel häufiger tat als zuvor, und hinab in das herrliche Tal sah, wie die Abendnebel an dem einen Ende hereintraten und langsam an den Bergen hinwandelten, wie es dann dunkler wurde und dunkler, bis zuletzt der Mond und die Sterne in ihrer ganzen Herrlichkeit am Himmel heraufzogen: dann wurde es ihm so recht wunderbar ums Herz. Denn dann fingen die Wellen im Fluß zu singen an, anfangs ganz leise, bald aber deutlich vernehmbar, und sie sangen von den Bergen, wo sie herkämen, vom Meer, wo sie hinwollten, und von den Nixen, die tief unten im Grunde des Flusses wohnten. Darauf begann auch der Wald zu rauschen, ganz anders wie ein gewöhnlicher Wald, und erzählte die wunderbarsten Sachen. Besonders der alte Eichbaum, der an seines Vaters Grabe stand, der wußte noch viel mehr wie alle die anderen Bäume. Die Sterne aber, die hoch am Himmel standen, bekamen die größte Lust, herabzufallen in den grünen Wald und in den blauen Strom, und flimmerten und zitterten wie jemand, der es gar nicht mehr aushalten kann. Doch die Engel, von denen hinter jedem Sterne einer steht, hielten sie jedesmal fest und sagten: „Sterne, Sterne, macht keine Torheiten! Ihr seid ja viel zu alt dazu, viele tausend Jahre und noch mehr! Bleibt im Lande und nährt euch redlich!“ 

Es war ein wunderbares Tal! Aber alles das sah und hörte bloß der Traumjörge. Die Leute, welche im Dorf wohnten, ahnten gar nichts davon; denn es waren ganz gewöhnliche Leute. Dann und wann schlugen sie einen von den alten Baumriesen um, zersägten und zerspellten ihn, und wenn sie eine hübsche Klafter aufgerichtet hatten, sprachen sie: „Nun können wir uns wieder eine Weile Kaffee kochen.“ Und im Fluß wuschen sie ihre Wäsche; das war ihnen sehr bequem. Von den Sternen aber, wenn sie so recht funkelten, sagten sie weiter nichts als: „Es wird heute nacht recht kalt werden; wenn nur unsere Kartoffeln nicht erfrieren.“ Versuchte es einmal der arme Traumjörge, ihnen eine andere Meinung beizubringen, so lachten sie ihn aus. Es waren eben ganz gewöhnliche Leute.

Wie er nun so eines Tages wieder auf dem alten Mühlsteine saß und bei sich bedachte, daß er doch auf der ganzen Welt mutterseelenallein sei, schlief er ein. Da träumte ihm, es hinge vom Himmel eine goldene Schaukel an zwei silbernen Seilen herab. Jedes Seil war an einem Sterne befestigt; auf der Schaukel aber saß eine reizende Prinzessin und schaukelte sich so hoch, daß sie vom Himmel zur Erde herab und von der Erde wieder zum Himmel hinauf flog. Jedesmal, wenn die Schaukel bis an die Erde kam, klatschte die Prinzessin vor Freude in ihre Hände und warf ihm eine Rose zu. Aber plötzlich rissen die Seile, und die Schaukel mit der Prinzessin flog weit in den Himmel hinein, immer weiter, immer weiter, bis er sie zuletzt nicht mehr sehen konnte.

Da wachte er auf, und als er sich umsah, lag neben ihm auf dem Mühlsteine ein großer Strauß von Rosen.

Am nächsten Tag schlief er wieder ein und träumte dasselbe. Beim Erwachen lagen richtig die Rosen wieder da.

So ging es die ganze Woche hindurch. Da sagte sich Traumjörge, daß doch irgend etwas Wahres an dem Traum sein müsse, weil er ihn immer wieder träumte. Er schloß sein Haus zu und machte sich auf, die Prinzessin zu suchen.

Nachdem er viele Tage gegangen war, erblickte er von weitem ein Land, wo die Wolken bis auf die Erde hingen. Er wanderte rüstig darauf zu, kam aber in einen großen Wald. Plötzlich hörte er hier ein ängstliches Stöhnen und Wimmern, und als er auf die Stelle zugegangen war, von welcher das Gestöhn und Gewimmer herkam, sah er einen ehrwürdigen Greis mit silbergrauem Barte auf der Erde liegen. Zwei widerlich häßliche, splitternackte Kerle knieten auf ihm und suchten ihn zu erwürgen. Da blickte er um sich, ob er nicht irgendeine Waffe fände, mit der er den beiden Kerlen zu Leibe gehen könnte, und da er nichts fand, riß er in seiner Todesangst einen großen Baumast ab. Kaum jedoch hatte er diesen erfaßt, als er sich in seinen Händen in eine mächtige Hellebarde verwandelte. Damit stürmte er auf die beiden Ungeheuer los und rannte sie ihnen durch den Leib, so daß sie mit Geheul den Alten losließen und fortsprangen.

Darauf hob er den ehrwürdigen Greis auf, tröstete ihn und fragte, warum ihn die beiden nackten Kerle hätten erwürgen wollen.

Da erzählte jener, er sei der König der Träume und aus Versehen etwas vom Wege ab in das Reich seines größten Feindes, des Königs der Wirklichkeit, gekommen. Sobald dies der König der Wirklichkeit bemerkt habe, hätte er ihm durch zwei seiner Diener auflauern lassen, damit sie ihm den Garaus machten.

„Hattest du denn dem König der Wirklichkeit etwas zuleide getan?“ fragte Traumjörge.

„Behüte Gott!“ versicherte jener. „Er wird aber überhaupt sehr leicht gegen andere ausfällig. Dies liegt in seinem Charakter – und mich besonders haßt er wie die Sünde!“

„Aber die Kerle, die er geschickt hatte, dich zu erwürgen, waren ja ganz nackt!“

„Jawohl“, sagte der König, „splitterfasernackt. Das ist so Mode im Lande der Wirklichkeit. Alle Leute gehen dort nackt, selbst der König, und schämen sich nicht einmal. Es ist ein abscheuliches Volk! – Weil du mir nun aber das Leben gerettet hast, will ich mich dankbar gegen dich erweisen und dir mein Land zeigen. Es ist wohl das herrlichste der Welt, und die Träume sind meine Untertanen!“

Darauf ging der König der Träume voran, und Jörg folgte ihm. Als sie an die Stelle kamen, wo die Wolken auf die Erde hingen, wies der König auf eine Falltüre, welche so versteckt im Busch lag, daß sie gar nicht zu finden war, wenn man es nicht wußte. Er hob sie auf und führte seinen Begleiter fünfhundert Schritte hinab in eine hell erleuchtete Grotte, welche sich meilenweit in wunderbarer Pracht hinzog. Es war unsäglich schön! Da waren Schlösser auf Inseln mitten in großen Seen, und die Inseln schwammen umher wie Schiffe. Wenn man in ein solches Schloß hineingehen wollte, brauchte man sich nur an das Ufer zu stellen und zu rufen:

„Schlößlein, Schlößlein, schwimm heran,

Daß ich in dich reingehn kann!“

Dann kam es von selbst an das Ufer. Weiter waren noch andere Schlösser da auf den Wolken; die flogen langsam in der Luft. Sprach man aber:

„Steig herab, mein Luftschlößlein,

Daß ich kann in dich hinein!“

So senkten sie sich langsam nieder. Außerdem waren noch da Gärten mit Blumen, die am Tag dufteten und in der Nacht leuchteten; schillernde Vögel, die Märchen erzählten, und eine Menge anderer ganz wunderbarer Sachen. Traumjörge konnte mit Staunen und Bewundern gar nicht fertig werden.

„Nun will ich dir auch noch meine Untertanen, die Träume, zeigen“, sagte der König. „Ich habe deren drei Sorten. Gute Träume für die guten Menschen, böse Träume für die bösen und außerdem Traumkobolde. Mit den letzteren mache ich mir zuweilen einen Spaß, denn ein König muß doch auch zuweilen seinen Spaß haben.“ 

Zuerst führte er ihn also in eins der Schlösser, welches eine so verzwickte Bauart hatte, daß es förmlich komisch aussah: „Hier wohnen die Traumkobolde“, sprach er, „ein kleines, übermütiges, schabernackiges Volk. Tut niemanden was, aber neckt gern.“

„Komm einmal her, Kleiner“, rief er darauf einem der Kobolde zu, „und sei einmal einen einzigen Augenblick ernsthaft.“ Hernach fuhr er fort und sagte zu Traumjörge: „Weißt du, was der Schelm tut, wenn ich ihm einmal ausnahmsweise erlaube, auf die Erde hinaufzusteigen? Er läuft ins nächste Haus, holt den ersten besten Menschen, der gerade wunderschön schläft, aus den Federn, trägt ihn auf den Kirchturm und wirft ihn kopfüber herunter. Dann springt er eiligst die Turmtreppe hinab, so daß er unten eher ankommt, fängt ihn auf, trägt ihn wieder nach Haus und schmeißt ihn so ins Bett, daß es kracht und er davon aufwacht. Dann reibt er sich den Schlaf aus den Augen, sieht sich ganz verwundert um und spricht: ‚Ei du lieber Gott, war mir’s doch gerade, als wenn ich vom Kirchturm herabfiele. Es ist nur gut, daß ich bloß geträumt habe.'“

„Das ist der?“ rief Traumjörge. „Siehst du, der ist auch schon einmal bei mir gewesen! Wenn er aber wiederkommt und ich erwische ihn, soll’s ihm schlecht ergehen.“ Kaum hatte er dies noch gesagt, so sprang ein andrer Traumkobold unter dem Tische hervor. Der sah aus wie ein kleiner Hund, denn er hatte ein ganz zottiges Wämslein an, und die Zunge streckte er auch heraus.

„Der ist auch nicht viel besser“, meinte der Traumkönig. „Er bellt wie ein Hund, und dabei hat er Kräfte wie ein Riese. Wenn dann die Leute im Traume Angst bekommen, hält er sie an Händen und Beinen fest, daß sie nicht fort können.“

„Den kenne ich auch“, fiel Traumjörge ein. „Wenn man fort will, ist es einem, als wenn man starr und steif wie ein Stück Holz wäre. Wenn man den Arm aufheben will, geht es nicht, und wenn man die Beine rühren will, geht es auch nicht. Manchmal ist’s aber kein Hund, sondern ein Bär, oder ein Räuber, oder sonst etwas Schlimmes!“

„Ich werde ihnen nie wieder erlauben, dich zu besuchen“, beruhigte ihn der König. „Nun komm einmal zu den bösen Träumen, aber fürchte dich nicht, sie werden dir keinen Schaden zufügen; sie sind nur für die bösen Menschen.“ Damit traten sie in einen ungeheuren Raum ein, der von einer hohen Mauer umgeben und mittels einer gewaltigen eisernen Türe verschlossen war. Hier wimmelte es von den greulichsten Gestalten und entsetzlichsten Ungeheuern. Manche sahen wie Menschen, halb wie Tiere, manche ganz wie Tiere aus. Erschrocken wich Traumjörge zurück bis an die eiserne Türe. Doch der König redete ihm freundlich zu und sprach: „Willst du dir nicht genauer besehen, was böse Menschen träumen müssen?“ Und er winkte einem Traume, der zunächst stand; das war ein scheußlicher Riese, der hatte unter jedem Arme ein Mühlrad.

„Erzähle, was du heut nacht tun wirst!“ herrschte der König ihn an.

Da zog das Ungeheuer den Kopf in die Schultern und den Mund bis zu den Ohren, wackelte mit dem Rücken wie einer, der sich so recht freut, und sagte grinsend: „Ich gehe zum reichen Mann, der seinen Vater hat hungern lassen. Als der alte Mann sich eines Tages auf die steinerne Treppe vor dem Hause seines Sohnes gesetzt hatte und um Brot bat, kam der Sohn und sagte zum Gesinde: ‚Jagt mir einmal den Hampelmann fort!‘ Da gehe ich nun nachts zu ihm und ziehe ihn zwischen den zwei Mühlrädern durch, bis alle Knochen hübsch kurz und klein gebrochen sind. Ist er dann so recht schmeidig und zapplig geworden, so nehme ich ihn am Kragen, schüttle ihn und sage: ‚Siehst du, wie hübsch du nun zappelst, du Hampelmann!‘ Dann wacht er auf, klappert mit den Zähnen und ruft: ‚Frau, bring mir noch ein Deckbett, mich friert!‘ Und wenn er wieder eingeschlafen ist, mache ich’s aufs neue!“

Als Traumjörge dies gehört, drängte er sich mit Gewalt zur Tür hinaus, den König nach sich ziehend, und rief: „Nicht einen Augenblick länger bleibe ich hier bei den bösen Träumen. Das ist ja entsetzlich!“

Der König führte ihn nun in einen prächtigen Garten, wo die Wege von Silber, die Beete von Gold und die Blumen von geschliffenen Edelsteinen waren. In dem gingen die guten Träume spazieren. Das erste, was er sah, war ein Traum wie eine junge blasse Frau, die hatte unter dem einen Arme eine Arche Noah und unter dem anderen einen Baukasten.

„Wer ist denn das?“ fragte der Traumjörge.

„Die geht abends immer zu einem kleinen kranken Knaben, dem seine Mutter gestorben ist. Am Tag ist er ganz allein, und niemand bekümmert sich um ihn; aber gegen Abend geht sie zu ihm, spielt mit ihm und bleibt die ganze Nacht. Er schläft immer schon sehr früh ein, deshalb geht sie auch so zeitig. Die andern Träume gehen viel später. Komm nur weiter; wenn du alles sehen willst, müssen wir uns sputen!“

Darauf gingen sie tiefer in den Garten hinein, mitten unter die guten Träume. Es waren Männer, Frauen, Greise und Kinder, alle mit lieben und guten Gesichtern und in den schönsten Kleidern. In den Händen trugen viele von ihnen alle möglichen Dinge, die sich das Herz nur wünschen kann. Auf einmal blieb Traumjörge stehen und schrie so laut, daß alle Träume sich umdrehten.

„Was hast du denn?“ fragte der König.

„Das ist ja meine Prinzessin, die mir so oft erschienen ist und mir die Rosen geschenkt hat!“ rief der Traumjörge ganz entzückt aus.

„Freilich, freilich!“ erwiderte jener. „Das ist sie. Nicht wahr, ich habe dir immer einen sehr hübschen Traum geschickt? Es ist beinahe der hübscheste, den ich habe.“

Da lief der Traumjörge auf die Prinzessin zu, die gerade wieder auf ihrer kleinen goldenen Schaukel saß und sich schaukelte. Sobald sie ihn kommen sah, sprang sie herab und ihm gerade in die Arme. Er aber nahm sie an der Hand und führte sie an eine goldene Bank. Da setzten sich beide hin und erzählten sich, wie hübsch es wäre, daß sie sich wieder sähen. Und wenn sie damit fertig waren, fingen sie immer wieder von vorne an. Der König der Träume aber ging mittlerweile fortwährend auf dem großen Wege, der gerade durch den Garten ging, auf und ab, die Hände auf dem Rücken, und zuweilen nahm er die Uhr heraus und sah nach, wie spät es wäre, weil der Traumjörge und die Prinzessin immer noch nicht mit dem fertig waren, was sie sich zu erzählen hatten. Zuletzt ging er jedoch wieder zu ihnen und sagte: „Kinder, nun ist es gut! Du, Traumjörge, hast noch weit nach Hause, und über Nacht kann ich dich nicht hierbehalten, denn ich habe keine Betten, weil nämlich die Träume nicht schlafen, sondern nachts immer zu den Menschen auf die Erde hinaufgehen müssen; und du, Prinzeßchen, du mußt dich fertigmachen. Zieh dich heute einmal ganz rosa an, und nachher komm zu mir, damit ich dir sage, wem du heute erscheinen und was du ihm sagen sollst.“

Als dies der Traumjörge gehört, ward es ihm auf einmal so mutig ums Herz, wie noch nie in seinem Leben. Er stand auf und sagte mit fester Stimme: „Herr König, von meiner Prinzessin lass‘ ich nun und nimmermehr. Entweder Ihr müßt mich hier unten behalten, oder Ihr müßt mir sie mit auf die Erde geben. Ich kann ohne sie nicht leben, dazu habe ich sie viel zu lieb!“ Dabei trat ihm in jedes Auge eine Träne, so groß wie eine Haselnuß.

„Aber Jörge, Jörge“, erwiderte der König, „es ist ja der allerhübscheste Traum, den ich habe! Doch du hast mir das Leben gerettet, so sei es denn. Nimm deine Prinzessin und steige mit ihr hinauf zur Erde. Sobald du oben angelangt bist, so nimm ihr den silbernen Schleier vom Kopf und wirf ihn mir durch die Falltüre wieder herab. Dann wird deine Prinzessin von Fleisch und Blut wie ein anderes Menschenkind sein; denn jetzt ist es ja nur ein Traum!“

Da bedankte sich Traumjörge auf das herzlichste und sagte: „Lieber König, weil du nun einmal so überaus gut bist, so möchte ich wohl noch eine Bitte wagen. Sieh, eine Prinzessin habe ich nun, doch es fehlt mir immer noch ein Königreich; und es ist doch ganz unmöglich, daß eine Prinzessin ohne ein Königreich sein kann. Kannst du mir denn keins verschaffen, wenn es auch nur ein ganz kleines ist?“

Darauf antwortete der König: „Sichtbare Königreiche, Traumjörge, habe ich zwar nicht zu vergeben, aber unsichtbare; und davon sollst du eins bekommen, und zwar eins der größten und herrlichsten, was ich noch habe.“

Da fragte Traumjörge, wie es mit den unsichtbaren Königreichen beschaffen wäre; indes der König bedeutete ihm, er würde dies schon alles erfahren und sein blaues Wunder erleben, so schön und herrlich sei es mit den unsichtbaren Königreichen.

„Nämlich“, sagte er, „mit den gewöhnlichen, sichtbaren ist es doch zuweilen eine sehr unangenehme Sache. Zum Exempel: Du bist König in einem gewöhnlichen Königreiche, und frühmorgens tritt der Minister an dein Bett und sagt: ‚Majestät, ich brauche tausend Taler fürs Reich.‘ Darauf öffnest du die Staatkasse und findest auch nicht einen Heller darin! Was willst du dann anfangen? Oder, zum andern: du bekommst Krieg und verlierst, und der andere König, der dich besiegt hat, heiratet deine Prinzessin; dich aber sperrt er in einen Turm. So etwas kann in einem unsichtbaren Königreiche nicht vorfallen!“

„Wenn wir es nun aber nicht sehen“, fragte Traumjörge noch immer etwas betreten, „was kann uns dann unser Königreich nützen?“

„Du sonderbarer Mensch“, sagte der König darauf und hielt den Zeigefinger an die Stirn, „du und deine Prinzessin, ihr seht es schon! Ihr seht die Schlösser und Gärten, die Wiesen und Wälder, die zu dem Königreich gehören, wohl! Ihr wohnt darin, geht spazieren und könnt alles damit machen, was euch gefällt; nur die andern Leute sehen es nicht.“

Da war Traumjörge hoch erfreut, denn es war ihm schon etwas ängstlich zumut, ob die Leute im Dorf ihn nicht scheel ansehen würden, wenn er mit seiner Prinzessin nach Hause käme und König wäre. Er nahm sehr gerührt Abschied vom König der Träume, stieg mit der Prinzessin die fünfhundert Stufen hinauf, nahm ihr den silbernen Schleier vom Kopf und warf ihn hinunter. Darauf wollte er die Falltür zumachen, aber sie war sehr schwer. Er konnte sie nicht halten und ließ sie fallen. Da gab es einen ungeheuren Knall, fast so arg, als wenn viele Kanonen auf einmal losgeschossen werden, und es vergingen ihm auf einen Augenblick die Sinne. Als er wieder zu sich kam, saß er vor seinem Häuschen auf dem alten Mühlstein und neben ihm die Prinzessin, und sie war von Fleisch und Blut wie ein gewöhnliches Menschenkind. Sie hielt seine Hand, streichelte sie und sagte: „Du lieber, guter, närrischer Mensch, du hast dich so lange nicht getraut, mir zu sagen, wie lieb du mich hast? Hast du dich denn vor mir gefürchtet?“ –

Und der Mond ging auf und beleuchtete den Fluß, die Wellen schlugen klingend ans Ufer, und der Wald rauschte; doch sie saßen immer noch und schwatzten. Da war es plötzlich, als wenn eine kleine, schwarze Wolke vor den Mond träte, und auf einmal fiel etwas vor ihre Füße nieder, wie ein großes zusammengelegtes Tuch. Darauf stand der Mond wieder in vollem Glanze. Sie hoben das Tuch auf und breiteten es auseinander. Es war aber sehr fein und viele hundert Male zusammengelegt, so daß sie viel Zeit brauchten. Als sie es vollständig auseinandergefaltet hatten, sah es aus wie eine große Landkarte. In der Mitte ging ein Fluß, und zu beiden Seiten waren Städte, Wälder und Seen. Da merkten sie, daß es ein Königreich war und daß es der gute Traumkönig ihnen vom Himmel hatte herunterfallen lassen. Und als sie sich nun ihr kleines Häuschen besahen, war es zu einem wundervollen Schlosse geworden, mit gläsernen Treppen, Wänden von Marmelstein, Tapeten von Samt und spitzen Türmen mit blauen Schieferdächern. Da faßten sie sich an und gingen in das Schloß hinein, und als sie eintraten, waren schon die Untertanen versammelt und verneigten sich tief. Pauken und Trompeten erschallten, und Edelknaben gingen vor ihnen her und streuten Blumen. Da waren sie König und Königin.

Am andern Morgen aber lief es wie ein Feuer durch das Dorf, daß der Traumjörge wiedergekommen sei und sich eine Frau mitgebracht habe. „Das wird auch etwas Gescheites sein“, sagten die Leute. „Ich habe sie heute früh schon gesehen“, fiel einer von den Bauern ins Wort, „als ich in den Wald ging. Sie stand mit ihm vor der Türe. Es ist nichts Besonderes, eine ganz gewöhnliche Person, klein und schmächtig. Ziemlich ärmlich war sie auch angezogen. Wo soll’s denn am Ende auch herkommen! Er hat nichts, da wird sie wohl auch nichts haben!“

So schwatzten sie, die dummen Leute; denn sie konnten es nicht sehen, daß es eine Prinzessin war. Und daß das Häuschen sich in ein großes, wundervolles Schloß verwandelt hatte, bemerkten sie in ihrer Einfalt auch nicht, denn es war eben ein unsichtbares Königreich, was dem Traumjörge vom Himmel heruntergefallen war. Aus diesem Grunde bekümmerte er sich auch um die dummen Leute gar nicht, sondern lebte in seinem Königreiche und mit seiner lieben Prinzessin herrlich und vergnügt. Und er bekam sechs Kinder, eins immer schöner wie das andere, und das waren lauter Prinzen und Prinzessinnen. Niemand aber wußte es im Dorf, denn das waren ganz gewöhnliche Leute und viel zu einfältig, um es einzusehen.

Quelle: Richard von Volkmann-Leander 

Samstag, 6. April 2024

Ein Märchen zum Wochenende

Das gestohlene Schwein

Es wohnte einmal eine alte, ehrliche Frau in Selde; sie war arm und konnte sich nicht anders als durch Betteln die Mittel zum Leben verschaffen. Aber sie hatte einen Sohn, und das war ein begabter Kerl und flink im Lernen und im Stehlen. Wenn sie nun zu den Nachbarn kam, so hörte sie wenig gute Worte über den Buben. Die Leute sagten, ob er denn nicht so viel stehlen könne, daß sie nicht zu betteln brauche.

Wenn sie das hörte, wurde sie traurig, und schließlich wollte sie dem Gerede ein Ende machen. Da sagte sie zu ihrem Sohn: »Nun mußt du gehen und dir einen Dienst suchen, denn ich kann dich nicht länger daheim brauchen. Aber du mußt auf alle Fälle mit deinem Herrn ausmachen, daß er dich lesen lehrt, denn es ist immer gut, wenn man lesen kann.«

Da zog der Bursche südwärts und kam nach Aagesholm. Hier erkundigte er sich nach einem Dienst und fragte, ob man nicht einen Burschen brauchen könne. »Ja«, sagte der Mann, »kannst du die Schweine hüten?« Nein, damit wollte er nichts zu tun haben, er wolle nicht der niederste Knecht auf dem Hofe sein. »Ja, dann können wir dich nicht brauchen, mein Freund, dann kannst du gehen.«

Nun kam er ans Kloster Grinderslev und fragte auch da nach einem Dienst. Da hätte er Schafhirte werden sollen, aber auch dazu konnte er sich nicht bequemen.

Es war spät am Nachmittag, als er vom Kloster Grinderslev wegging, und es war schon dunkel, als er an den Eskjaer Wald kam. Nun bekam er Angst und traute sich nicht weiterzugehen, als der Weg nach Süden bog, und da stand er und weinte.

Da kamen zwei Leute aus dem Wald heraus und begegneten ihm. »Warum weinst du denn?« sagten sie. Er sagte, er habe Angst, denn er habe sich verirrt, und es sei schon so spät. Er sei ausgezogen, um sich einen Dienst zu suchen, und habe schon auf zwei Höfen angefragt, wo er wohl hätte bleiben können, als Schweinehirte und als Schafhirte, aber keiner von den Diensten habe ihm der Mühe wert geschienen, und deshalb sei er weitergegangen. Wenn er jetzt noch einmal dort wäre, so hätten ihn die Leute zu jedem Dienst bekommen können, und noch obendrein wollte er nichts verlangen. »Ach, so schlimm ist es nicht«, sagten die Männer, »du kannst ja bei uns in Dienst treten.« – »Aber was soll ich bei euch tun?« – »Du sollst stehlen lernen, denn wir sind, offen gesagt, Räuber von Profession.«

»Das ist ja wunderschön«, sagte er, »das ist eine Arbeit, zu der ich mein Lebtag Lust gehabt habe. Aber meine Mutter hat gesagt, ich solle auch lesen lernen, das solle ich mir bei meinem Dienstherrn ausbedingen.« – »Das braucht uns nicht im Weg zu stehen«, sagten die Räuber, »wir wollen schon dafür sorgen, daß du lesen lernst.«

Also ging er mit den Räubern heim. Sie wohnten im Wald in einer Höhle unter der Erde und hatten eine alte Mutter, die ihnen haushielt. Sie war noch aus dem uralten Geschlecht der Menschen, die nur ein Auge mitten auf der Stirn und eine Brust unter dem Kinn hatten.

Den Sommer über blieb der Bursche bei ihnen und lernte eifrig sein Handwerk, aber im Winter, wenn Arbeit und Verdienst knapp waren, gaben sie ihn bei einem alten Bauern in Kost, der ihm das Lesen beibringen sollte. Da war er mehrere Winter lang, aber im Sommer war er draußen in der Räuberhöhle.

Als er erwachsen war, starb der alte Bauer, und er hatte eine junge Frau gehabt. Die gefiel dem Burschen gut, und er gefiel ihr auch, und da machte er ihr einen Antrag und bekam ihr Jawort. Sie hielten Hochzeit, und seine Lehrmeister waren auch beim Fest, vielleicht als Zeugen.

Als er nun auf diese Art ein begüterter Bauer geworden war, nahm er sich mit Eifer der Bauernarbeit an und paßte gehörig auf, daß alles richtig besorgt wurde, und ging niemals aus und pflegte mit niemand Verkehr. Das kam seiner Frau wunderlich vor, und sie äußerte sich auch darüber. »Du bist ja ein schreckliches Haustier«, sagte sie, »das mir immer daheim sitzen bleibt. Du solltest auch einmal hingehen und mit deinen Nachbarn reden.« – »Ach, dabei kommt nichts heraus, besser ist es, wenn man zu Hause bleibt und auf sein Eigentum achtgibt«, sagte er darauf, und es wurde nicht weiter darüber gesprochen.

Aber auf einmal kam Befehl, daß sich alle Leute mit dem Zehnten in Skive einfinden sollten. Damit war er gar nicht zufrieden und sagte zu seiner Frau, er habe gar keine Lust, von Hause fortzugehen. »Ach, das macht doch nichts«, sagte sie, »du kannst den Knecht mitnehmen, die Magd und ich werden schon unterdessen zu Hause nach dem Rechten sehen.« – »Ja, das ist schon recht«, gab er zurück, »aber es werden Fremde zu dir kommen, wenn ich fort bin.« – »Ach, wie sollte denn das zugehen«, sagte sie, »du kommst zu keinem Menschen, und so kommt wohl auch niemand zu uns. Und wenn auch, so macht es doch nichts.« – »Doch, das kann gerade fatal genug sein, du mußt sie wohl aufnehmen und genau aufpassen, was sie sagen.«

An demselben Tag, an dem der Mann fortgegangen war, kamen auch zwei fremde Männer und besuchten sie. Sie kannte sie nicht weiter, aber sie sah doch, daß sie bei ihrer Hochzeit gewesen waren. Aber deshalb wußte sie doch nicht, wo sie herkamen. Sie bewirtete sie aufs beste, und sie erzählten das eine und das andere, aber nichts von dem, was sie sagten, schien ihr besonderer Aufmerksamkeit wert.

Als sie im Fortgehen waren, hatte sie kurz vorher die Schweine gefüttert, und sie standen da und fraßen aus einem Trog, der vor der Tür stand, denn damals hatte man die Schweine nicht wie jetzt im Koben, sondern sie liefen frei herum und suchten sich viel von ihrem Futter selbst. Wie sie nun die Fremden zur Tür begleitete und sie an den Schweinen vorbeigingen, befühlten sie eines und sagten: »Das hier ist ein schönes Schwein, hier ist was zu holen.« Das Wort kam ihr wunderlich vor, denn sie hatten ja nichts von ihrem Schwein zu holen, und wenn es da etwas zu holen gab, so konnte sie es ja selbst tun. Aber so sehr nahm sie sich die Rede nicht zu Herzen.

Am Abend, als der Mann nach Hause kam, fragte er gleich, ob keine Fremden dagewesen wären. Ja, zwei Männer, die auch bei ihrer Hochzeit gewesen wären, hätten sie aufgesucht. »Was haben sie denn gesagt?« fragte er ganz neugierig. »Ach, sie haben nichts von Bedeutung gesagt. Doch, eben fällt mir ein, daß ich die Sau gefüttert hatte und sie vor der Tür stand und fraß.« Da gingen gerade die Fremden vorbei und blieben stehen und befühlten die Sau und sagten: »Das ist eine schöne Sau, hier gibt es etwas zu holen.«

»O weh«, sagte der Mann, »da müssen wir die Sau sofort schlachten.« – »Ja, das können wir aber nicht vor morgen tun«, sagte die Frau. – »Nein, das muß sofort sein, du mußt den Kessel voll Wasser füllen und aufs Feuer stellen, und wir müssen alles noch heut abend besorgen.« Also richteten sie die Schlachterei ein, brachten die Sau um, sengten ihr die Borsten und wuschen sie und wollten sie aufhängen.

Da meinte die Frau, für heute solle man es genug sein lassen, man könne die Sau ja bis morgen hängenlassen. – »Nein, das geht unter keinen Umständen«, sagte der Mann, »wir müssen sie ausnehmen und verstecken, und zwar gut verstecken; aber wo sollen wir sie hintun?« – »Am besten legen wir sie in den Ofen, da ist sie nicht so leicht zu finden.« – »Das wäre nicht das Dümmste«, sagte der Mann. Und sie nahmen die Sau gleich aus und versteckten sie im Ofen; dann gingen sie zur Ruhe.

Kurz darauf kamen die Diebe und merkten gleich, daß die Sau nicht da war. Da machten sie aus, der eine müsse in den Garten gehen und einen Armvoll Kraut mitnehmen, und der andere solle sich zuerst umsehen, wo die Sau sei, und sie mitnehmen. Dieser Räuber ging nun in den Stall und machte einige Kühe los. Die fingen draußen zu brüllen an und machten Lärm, und davon wachte der Mann auf und sagte zu seiner Frau: »Draußen beim Vieh ist etwas los. Ihr habt es wohl am Abend nicht richtig angebunden.« Aber die Frau wußte ganz genau, daß sie es selbst angebunden hatte: »Dann verstehe ich nicht, was da los sein mag.«

Der Mann ging aber doch hinaus, um zu sehen, wie das zuging. Als er zur Tür hinaustrat, stand der Dieb dahinter und schlüpfte hinein. Aber er konnte den Speck in der Eile nicht gleich finden. »Kalt war es da draußen«, sagte er pustend, und machte des Mannes Stimme nach, »es ist am besten, ich mache, daß ich ins Bett komme und wieder warm werde. Aber übrigens, wo haben wir denn die Sau am Abend versteckt?« – »In den Ofen haben wir sie gelegt; kannst du dich nicht mehr erinnern?« – »Ja freilich, da muß ich gleich hinausgehen und sehen, ob sie noch dort ist; ich bin voller Angst, sie könnte uns abhanden kommen.« Damit zog er ab, holte die Sau aus dem Backofen und rannte damit gegen den Wald. Freilich war sie nicht so leicht zu tragen, so daß er nicht sonderlich rasch vorwärts kam.

Bald darauf kam der Mann wieder ins Haus und zitterte auch vor Kälte und wollte eiligst ins Bett und sich wärmen. Da sagte die Frau: »Nun, war die Sau noch im Ofen?« – »Die Sau im Ofen? Das will ich doch hoffen; ich war draußen im Kuhstall und habe das Vieh wieder festgebunden; nach der Sau habe ich nicht gesehen.« – »Aber vor einem Augenblick, als du im Zimmer warst, hast du doch gesagt, du wolltest nach ihr sehen, und hast getan, als ob du nicht mehr wüßtest, wo wir sie versteckt hätten?« – »Ist einer dagewesen und hat nach der Sau gefragt?« – »Ja, freilich, kannst du dich denn nicht mehr erinnern, daß ich dir sagte, sie läge draußen im Backofen?«

»Dann sind wir aber wahrhaftig zum Narren gehalten worden, das merke ich«, sagte der Mann und sprang wieder aus dem Bett, fuhr in höchster Eile in die Kleider und lief in den Garten, wo er einen Armvoll Kraut mitnahm; und dann rannte er querfeldein gegen den Wald zu, denn er wußte noch aus alten Zeiten, daß die Räuber, wenn sie Speck stahlen, auch gleich für Kraut sorgten.

Schließlich holte er den ein, der die Sau trug; der dachte nicht anders, als daß der mit dem Kraut sein Kamerad sei. »Hast du den Speck?« – »Ja, es ging großartig.« – »Dann wollen wir tauschen, denn du bist jetzt wohl müde, weil du die Sau so lange getragen hast, ich will damit voraus rennen.« So bekam er den Speck und wandte sich damit seitwärts. Einen Augenblick darauf machte er kehrt und lief ganz sachte heimwärts mit der Sau.

Inzwischen waren beide Diebe zu Hause angelangt, und jeder hatte einen Armvoll Kraut. »Was, hast du Kraut?« sagte der eine. »Ja, und ich sehe, du hast auch Kraut. Nun haben wir Kraut genug, aber viel zu wenig Speck.« Nun merkten sie, daß sie an der Nase herumgeführt worden waren. Der, welcher die Sau getragen hatte, rannte gleich wieder in der Richtung nach dem Hof zu davon, so rasch er konnte, und kam dem Mann noch zuvor, weil der mit seiner Last nicht schnell vom Fleck kommen konnte. Da setzte der Dieb sich auf den Misthaufen, wie wenn er seine Notdurft verrichtete, und wollte die Bäuerin vorstellen.

Wie nun der Mann pustend mit dem Speck angelaufen kam, sagte der auf dem Misthaufen: »Ach, das war gewiß ein schlimmer Weg, den du hinter dem Speck her gehabt hast, Männchen; lehn das Schwein nur gegen die Wand und geh hinein und hole dir einen Bissen Brot und einen Schluck zur Stärkung, ich bringe es dann hinein.«

Der Mann ging auch hinein und holte sich ein Stück Brot und wartete, daß die Frau kommen sollte; aber es kam keine Frau, denn der Dieb hatte sich wieder gegen den Wald zu verzogen; und da ging der Mann in die Schlafkammer. Da lag die Frau im Bett und schlief tief und fest. Nun merkte er wohl, daß er wieder der Genarrte war, und machte sich abermals auf, um nochmals sein Glück zu versuchen. Diesmal konnte es ihm aber nichts nützen, nochmals Kraut mitzunehmen, und er mußte sich ein anderes Mittel ausdenken.

Als er an die Räuberhöhle kam, waren die Diebe bereits daran, den Speck zu salzen. Nun wußte er zuerst nicht, wie er es anfangen sollte, die Diebe aus der Höhle zu jagen, denn hinaus mußten sie, wenn er seine Sau wiederbekommen wollte. Schließlich fiel ihm ein, daß ihre alte Mutter kürzlich gestorben war, und nun wollte er versuchen, sich für ihren Geist auszugeben, um ihnen Schrecken einzujagen. Er zog sich aus und ließ sich rückwärts ein Stück weit in den Höhleneingang hineingleiten. Als sie hörten, daß sich am Eingang etwas rührte, lief einer mit einem Licht hin, um zu sehen, was es sei.

Da fiel sein Blick auf dieses breite »Gesicht« mit einem Auge in der Mitte und wie mit einer Brust unter dem Kinn, und er erschrak ganz unsäglich.

»Ach!« schrie er, »da kommt unsere Mutter«, und er warf das Licht weg, und alle beide rannten durch eine Hintertür hinaus und eiligst in den Wald. Nun war der Bauer allein Herr im Haus und nahm den Speck und verschiedenes andere, was ihm gefiel, und wanderte geruhig heimwärts. Gegen Morgen kamen die Diebe in ihre Höhle und merkten nun, wie es sich mit dem Geist verhalten hatte. Seit der Zeit versuchten sie nie mehr, den Bauern zu bestehlen, denn sie hatten gesehen, daß er die Kunst auch verstand.

Quelle: Klara Stroebe: Nordische Volksmärchen - Dänemark 

Sonntag, 31. März 2024

Ein Ostermärchen

Ein wunderschöner Tag

Frustriert hoppelte der kleine Hase über die matschigen Wege der Siedlung. Ein einziges Grundstück noch, dann hatte er es geschafft – für dieses Jahr. Ob er im nächsten Jahr noch ausliefern würde? Das wussten allein seine Vorgesetzten in der Osterzentralverwaltung. Nachdem in diesem Jahr bereits zweihundert Osterhasen entlassen worden waren, würde ihn für das nächste Jahr gar nichts mehr wundern. „Geburtenknick“ hatten die Verantwortlichen argumentiert. „Weniger Kinder, also auch weniger Nester zu verstecken…“ Wütend schnaubte der Hase, dass es klang, als würde ein Stier sich in einer spanischen Arena auf seinen Angriff vorbereiten. Ja, weniger Kinder, aber die Strecken, die zurückgelegt werden mussten, blieben die gleichen. Und die Nester wurden auch nicht kleiner. Reichten vor ein paar Jahren noch ein Gang pro Kind, so musste er heute schon manchmal drei bis viermal gehen, bevor er alles versteckt hatte. Und was es alles gab, echte Ostereier und Süßigkeiten wurden immer weniger, teures Spielzeug dagegen immer mehr.

Nein nein, da konnte einer sagen was er wollte, das war nicht gut. ‚Und unsereiner hat die Arbeit, den Stress, den Ärger und zu Hause eine arbeitslose Frau mit fünf Kindern von denen nur ein einziger eine Lehrstelle bekommen hatte, als Kobold beim Weihnachtsmann. Das musste man sich mal vorstellen!’

Ein Auto schoss von hinten an ihn heran, donnerte vorbei, genau durch eine Pfütze und überschüttete ihn mit einem Schwall schlammigen Wassers.

„Na Prima!“, fluchte er. Das passte aber auch. Leise vor sich hin schimpfend setzte der Hase den Korb ab und besah sich den Schaden. Wieso musste es ihn gerade jetzt noch, bei seiner letzten Auslieferungstour, erwischen?

Er selber war von oben bis unten voll gespritzt, modderiges Wasser rann ihn in Bächen aus dem Fell, dass in sekundenschnelle unter ihm eine Pfütze bildete. Sein Korb wies außen ebenfalls keine trockene Stelle mehr auf. Da er aber die Wege in diesem Teil der Stadt kannte und bei dem herrschenden Wetter nicht all zu hohe Anforderungen an deren Qualität gestellt hatte, war er vorsorglich auf den Gedanken gekommen, die Ladung seines Korbes in Folie zu verpacken. Etwas, wofür seine Vorgesetzten keinerlei Verständnis aufbrachten. Die rechneten nur in Zahlen: belieferte Grundstücke pro Stunde, ausgelieferte Nesteinheiten pro Nacht und so weiter. Ja, was aber, wenn die Nester verschmutzt würden?

„Warum mache ich das alles eigentlich noch?“

Nervös und doch vorsichtig schlug der Hase die Folie zurück. Dem Großen Hasen sei dank, unbeschadet lagen die beiden Nester ihrem Bett aus Folie. Hastig schlug er die Abdeckung wieder über die wertvolle Fracht. Jetzt aber rasch! Die Sonne zeigte sich schon. Nur noch hier um die Ecke, am Wäldchen vorbei und da stand schon das kleine Häuschen. Es war die einzige Lieferung hierher, zwei kleine Körbchen mit Eiern, Süßigkeiten und einem neuen Füllfederhalter. Nun gut, es schienen also nicht alle in den Trend zu verfallen, zu Ostern elektronisches Spielzeug und DVDs zu verschenken.

Vorsichtig hoppelte der kleine Hase mit seiner wertvollen Fracht auf das Grundstück, bewegte sich am Haus vorbei und betrat den Garten. Geschickt versteckte er eines der Nester in einem auf einem Baumstubben stehenden Vogelhäuschen, nachdem er dort die Spuren der letzten Winterfütterung beseitigt hatte. Das zweite Nest legte er unter einen kleinen Busch und häufte altes Laub rund um das Körbchen auf. Zwei Schritt zurück und sein Werk betrachtet, zufrieden genickt und umgedreht. Feierabend, jetzt nach Hause und seinen Kindern eine Geschichte über die seltsamen Bräuche der Menschen erzählt. Dazu eine gute Tasse Tee, das war ein Feierabend, wie ihn sich jeder Osterhase wünschte. All den Stress der Arbeit für ein paar Stunden vergessen, das wäre schön.

Dann erstarrte der Hase plötzlich. Im Haus, hinter einem Fenster, sah er das Gesicht eines kleinen Jungen, der ihn wohl schon eine Weile beobachtet hatte. Die Blicke des Knaben und des Hasen trafen sich sekundenlang und dann, husch, wie ein Blitz verschwand der Hase aus dem Garten.

Der Junge blickte fasziniert auf die Stelle, an der soeben noch der Hase gesessen hatte. Dann griff er sich an die Nase und zwickte sich. Ja, es tat weh. Er träumte also nicht. Er hatte wirklich den Osterhasen gesehen.

Seine Augen glänzten. Das würde heute ein wunderschöner Tag werden.

Verfasser: Carsten Steenbergen 

Samstag, 30. März 2024

Ein Märchen zum Wochenende

Die weiße Amsel

Es war ein König, und der war selber der größte Spaßvogel und Unterhaltungsmacher an seinem Hof. Und weil er allweil hat gewusst eine Unterhaltung zu machen, war die Gesellschaft immer groß bei ihm. Mit der Zeit hat er aber sein Gehör verloren und die Krankheit hat immer mehr zugenommen, und so haben ihn die Herrschaften immer weniger besucht, weil es ihnen lästig war, dass sie mussten so laut mit ihm reden. Da ist ihm nun nach und nach halt Zeit lang geworden, und da hat er zuletzt noch eine Tafel gegeben und dazu viele Gäste eingeladen: Fürsten, Grafen und Generäle und auch militärische und praktische Ärzte. Und wie die Tafel zu Ende war, bat er, wenn noch einer drunter wäre, der ihm könnte einen Rat geben, dass er sein Gehör wieder könnt‘ zurückkriegen – der möcht‘ es ihm doch sagen.

Da hat ihm einer geraten: Wenn er eine weiße Amsel erfragen möcht‘ und wenn er die singen hörte, so könnt‘ er sein Gehör wiederkriegen. Der König hat dafür seinen Dank gesagt und für die Visitleistung, und dann sind sie gegangen.

Nun hatte der König drei Söhne, der erste hieß Robert, der zweite Engelbert, der dritte Franz. Der Robert bat den König, er möchte ihn lassen in die weite Welt ausziehen, um eine weiße Amsel zu finden. Der König hat es nur ungern erlaubt, dass sein Sohn sollte in die fremde Welt ausziehen, weil er noch zu unerfahren wäre. Zuletzt aber, weil er so viel gebeten hat, hat der König halt doch eingewilligt und ihm ein Pferd gegeben und viel Geld. Da kam der Robert in der fremden Welt in eine große Stadt, wo tagtäglich Tanzmusik und Lustbarkeit war und viele Fürsten, Grafen und noble Edeldamen zusammenkamen, und in der Unterhaltung hat der Prinz auf seinen Vater, den König, ganz vergessen und sein Geld auf unnütze Art verschwendet. So verging das Jahr, ohne dass er einmal einen Brief geschrieben hätte; mehrmals war er schon in Schuldenarrest gewesen.

Wie das Jahr vorbei war und der Robert nicht gekommen, so bat der zweite Sohn, der Engelbert, den Vater ums Ausreisen. Den König kränkte es aber, dass der älteste Sohn nicht zurückgekommen war, und jetzt machte es ihm das Herz noch schwerer, dass der zweite Sohn auch fort wollte. Als der aber gar nicht nachließ mit Bitten, gab er ihm auch ein Ross und das gleiche Geld wie dem ersten, und der Engelbert reiste fort. Er machte den gleichen Weg wie sein Bruder und kam in die gleiche Stadt. Da war wieder die Musik und bald traf er auch seinen Bruder; sie küssten einander und er löste ihn von den Schulden aus, und jetzt führten sie miteinander das gleiche lustige Leben fort. So ist das zweite Jahr vergangen, ohne dass sie auf den Vater dachten.

Wie nun keiner von beiden ist hinter kommen, da hat der dritte Sohn auch fort wollen. Da sagte der Vater:

»Du bist meine einzige Stütze und der einzige, mit dem ich noch was reden kann, und willst mich auch verlassen.«

Aber der Prinz hörte nicht auf zu bitten, bis ihn der Vater ziehen ließ und ihm das Gleiche mitgab wie seinen Brüdern.

Er ritt aber auf eine andere Seite aus, kam auch in eine Stadt und fragte halt dort fleißig um eine weiße Amsel. Bei dem Suchen kam er auch zum Freithof. Da sah er eine Bank und darauf zwei Haselstecken liegen; das konnte er sich nicht erklären, was das bedeuten sollte. Da sah er einen Leichenzug daherkommen, der blieb vor dem Freithof stehen und die Leute nahmen die Leiche aus dem Sarg, legten sie auf die Bank und prügelten sie mit den Haselstecken fest durch. Wie er sie fragt, warum sie das täten, kriegt er zur Antwort, dass der Tote ein lasterhaftes Leben geführt hat und dass es da Brauch ist, wie der Mensch lebt, so wird er auch begraben. Der Franz konnte das aber nicht mit ansehen, dass die Schande mit dem Toten sollte begraben werden, und er sagte, das dürfe nicht sein, in seinem Lande würde dem Toten alles vergeben und er müsse Ruhe und Frieden haben. Darauf sprachen aber die anderen:

»Der Tote hat Schulden hinterlassen und das muss er büßen durch die Streiche.«

So wollte er die Schulden auf sich nehmen, sagte der Franz, sie sollten den Toten mit Frieden begraben, und er bezahlte auch den Pfarrer, dass er richtig und ordentlich begraben wurde, und wohnte der Beerdigung selber bei.

Danach zog er weiter, und als er eine lange Zeit gereist war, kam er in einen Wald. Da erscheint ihm auf einmal ein Fuchs und der grüßt ihn freundlich und redet ihn an:

»Franz, sag mir, wo gehst du denn hin?«

Der Franz ist zuerst stark erschrocken, dass der Fuchs reden kann. Er hat nicht gewusst, ist der Fuchs gefangen und abgerichtet oder ist er gar ein verzaubertes Tier? Wie der Fuchs nun weiter sagt, er will ihm Führer und Helfer sein, erzählt ihm Franz, warum er ausgezogen sei. Da sagt der Fuchs:

»Wenn du noch eine Tagreis‘ weiter reitest, kommst du im Wald zu einem kleinen Häusl in einem kleinen Garten, und das ist nett und reinlich, aber es wohnt ein wilder Mann darin. Der züchtet alle Vögel und hat auch zwei weiße Amseln, eine alte und eine junge. Da musst du ihn um einen Dienst bitten; vor sechs Wochen ist sein Weib gestorben und ’s wird ihm recht sein, dass du bei ihm anfragst. Und wenn er dich wird fragen, was du kannst, so sagst halt: ›Holz eintragen und Wasser eintragen und Haus reinigen, was i halt von meiner armen Mutter gelernt hab, und mit den Vögeln weiß ich auch umzugehen.‹ Dann wird er dich aufnehmen. Nach einer Zeit wird er verreisen; und wenn er fort ist, nimmst du die weiße Amsel heraus, nicht die junge, sondern die alte. Wenn du die junge nimmst, geht dir’s schlecht und mir noch schlechter.«

Und der Fuchs verschwand.

Der Franz traf es richtig so an, wie ihm der Fuchs gesagt hat. Wie er hinkam zu dem Häusl und stand vor der Tür, so kam der wilde Mann heraus. Der Franz grüßte ihn und brachte seine Bitte so vor, wie es ihn der Fuchs gelehrt hatte. Der wilde Mann nahm ihn auch auf und zeigte ihm pünktlich, was er zu tun hatte. Franz machte alles und der wilde Mann war recht zufrieden mit ihm. Nach drei Wochen sagte er, er wolle verreisen und jetzt sollte der Franz alles allein besorgen. Darauf hatte der Franz schon hart gewartet. Er nimmt gleich die alte Amsel aus dem Häusl, aus dem Käfig heraus. Wie er sie aber anschaut, war sie ihm zu schiach, hat ausgeschaut wie a alte Henn‘, so sind ihr die Federn überall weggestanden. Er tut die alte wieder hinter und nimmt die junge. Die ist doch viel schöner, denkt er bei sich. Wie er aber ins Freie hinauskommt mit der Amsel, so hebt sie furchtbar an zu schreien und zu wischpern, sodass es der wilde Mann noch gehört hat. Der ist nämlich noch nicht gar weit fort gewesen. Er kommt geschwind zurück und will den Franz niederschlagen.

Der Franz bittet um Gnade und will ihm die weiße Amsel zahlen, der wilde Mann verkauft aber die Amsel nicht. Der Franz bittet noch einmal, wenn er ihm die Straf‘ möcht schenken, vielleicht könnt‘ er ihm woanders einen Dienst erweisen.

»Ja«, sagt der wilde Mann, »a Tagraas‘ von da, da is a Grafschaft und der Graf hat an‘ schean Reitschimml. Wann du mir den bringst, da gib i dir die weiße Amschl.«

Der Franz ging traurig fort und dachte: ›Wär ich doch dem Fuchs gefolgt!‹ Da erschien auf einmal wieder der Fuchs und sagte:

»Franz, wie geht’s?«

Und wie der Prinz ihm sein Leid klagte, sprach er weiter:

»Ich will dir noch einmal helfen. Der Graf braucht einen Stallknecht; aber zuerst wird er fragen, was du kannst. Da muss du sagen: in der Kuchl ein Holz machen und dass du mit den Pferden gut umgehen kannst. Der Reitschimmel ist aber schlimm, er haut und beißt; da hast du ein Salbl, damit musst du einwendig die Hand bestreichen und dem Ross auf’m Puggl hin und her fahren. Der Graf wird dich gern aufnehmen und nach drei Wochen wird er verreisen und dich zum Stallverwalter machen; da kriegst du einen Schlüssel zu einem Kasten, darin sind drei Sättel, einer mit Eisen beschlagen, einer mit Silber, einer mit Gold. Und wenn der Graf fort ist, da nimmst du den Sattel, der mit Eisen beschlagen ist, aber ja keinen andern, den schnallst du dem Ross auf und reitest hin zum wilden Mann.«

Der Fuchs verschwand, und wie der Franz hinkam zu dem Grafen, sagte er alles, wie ihn der Fuchs es geheißen hatte. Der Graf ging mit ihm zum Rosstall und zeigte ihm, was er zu tun hätte und dass der Reitschimmel alle Tage schön geputzt müsst werden. Wohl die andern Ross auch, aber der Schimmel viel besser, und dass er sich hüten müsst vor dem, weil er beißt und schlaget, überhaupt weil er unbekannt sei. Der Franz nahm aber sein Salbl in die Hand und strich dem Ross übern Buckel.

»Das Schimmele«, sagte er, »tut mir nichts, solche Ross hab ich schon mehr geputzt, die schlimm sind.«

Der Graf verwunderte sich, dass der Schimmel nicht biss und schlug, und war froh, dass er einen solchen Knecht hatte, der mit dem Ross so schön umgehen konnte. Nach einer Woche nahm er noch einen anderen Knecht auf und der Franz wurde Stallverwalter und hatte den Schimmel allein zu versorgen. Der Graf übergab ihm den Schlüssel zu dem Kasten, wo die drei Sättel drin waren, und danach verreiste er. Wie der Graf fort ist, nimmt der Franz den Schlüssel, sperrt auf, nimmt den eisernen Sattel aus dem Kasten und schnallt ihn dem Ross auf. Da meint er aber: Der silberne ist ja doch viel schöner. Er schnallt den eisernen Sattel ab, legt ihn wieder in den Kasten, nimmt den silbernen, schnallt ihn auf und betrachtet den Schimmel, hat ihm recht gut gefallen. Er denkt sich aber, es möchte der guldene noch viel besser passen. Er schnallt den silbernen wieder ab, nimmt den guldenen aus dem Kasten, schnallt ihn dem Schimmel auf, schaut ihn an, jetzt gefällt er ihm erst recht gut. Er sitzt auf und reitet fort, habt aber den rechten Weg verfehlt und ist dem Grafen nachgeritten. Wie ihn der Graf sieht, ist er furchtbar zornig und will den Franz vor lauter Zorn zusammenstechen.

Da bat Franz um Gnade, wollte dem Grafen den Schimmel zahlen und sagte, er sei ein Königssohn und gäbe, was er verlangte. Aber dem Grafen war der Schimmel um keinen Preis nit feil. Da bat der Franz noch einmal um Gnade und sagte, vielleicht könnt er ihm auf einer anderen Seiten zu Diensten stehen. Jetzt sagte der Graf:

»Ich hab meine Tochter auf der Jagd verloren, die schöne Florigunde, und hab schon viele ausgeschickt, sie zu suchen, aber keine Spur ist zu finden. Wenn du sie mir bringst, so will ich dir den Diebstahl verzeihen und dir den Schimmel geben.«

Der Franz ging auf die Suche, war aber recht traurig dabei und dachte: Wenn ich nur dem Fuchs gefolgt wäre! Da erschien ihm wieder der Fuchs und sagte:

»Franz, wie geht’s?« – »Schlecht«, sagte der Franz. »Wäre ich dir gefolgt, so wär alles gut gegangen. So hat mich aber der Graf erwischt.«

Da sagte der Fuchs: »So lang, dass du mir nicht folgst, wird’s dir immer schlecht gehen und mir noch schlechter. Jetzt will ich dir aber noch einmal helfen, dass du die schöne Florigunde kriegst. Sie ist vom Teufel gestohlen worden und in der Hölle unten, weil sie über ihre Schönheit so sündhaft stolz war. Sie ist in der dritten Höll und der Teufel sitzt ihr auf dem Schoß und schläft. Vor der Hölltür liegt ein großer Stein, darunter ist der höllische Zauberschlüssel versteckt. Wenn du die erste Tür aufsperrst, springen alle drei Türen zugleich auf. In der ersten Höll sind alls große Krotn, das sind ersten Grads unselige Leut. In der zweiten Höll sind alls große Schlange, das sind zweiten Grads unselige Leut. In der dritten ist die Florigunde. Und du darfst dich nicht länger aufhalten als drei Minuten, sonst bist du verloren. Du nimmst die Florigunde beim rechten Haarzopf, drehst ihn dreimal um die rechte Hand und stößt den Teufel weg und eilst zur Hölle heraus.«

Der Franz tat das mal alles pünktlich, wie ihm der Fuchs gesagt hatte. Auf drei Sprünge war er mit der schönen Florigunde vor der Hölle, und wie er die Tür zuschlägt, so haut noch eine Krot mit der Pratzen an die Tür, dass die Tür gekracht hat. Der Franz reißt den Schlüssel schnell ab und steckt ihn wieder unter den Stein. Jetzt sind sie schnell miteinander fort. Und wie sie müde wurden, setzten sie sich nieder aufs Moos und rasteten. Die schöne Florigunde bedankte sich aufs Beste, dass er sie aus der Hölle hatt‘ erlöst, zog ihren guldenen Ring vom Finger, wo ihr Name eingraviert war und viel teure Edelsteine daran, und gab ihm dem Franz zum Andenken.

Dann gingen sie der Grafschaft zu, und wie sie da miteinander glücklich und zufrieden gehen, da erscheint wieder der Fuchs und fragt, wie’s geht.

»Jetzt recht gut«, sagt der Franz, und darauf der Fuchs:

»Solang, dass du mir folgst, wird dir’s gut gehen und mir noch besser. Du darfst jetzt die schöne Florigunde nicht für den Schimmel hergeben; denn das wär kein Vergleich, einen Menschen für ein Ross. Wenn du hinkommst, wird der Graf eine ungemeine Freud‘ haben und vor Freuden eine Tafel geben, sieben, acht Tag‘ lang. Und dann wird er dir selber den Schimmel mit dem Goldsattel aufsatteln und die schöne Florigunde wird dir den Schimmel vorführen. Und wenn du wirst auf dem Schimmel sitzen, musst du sagen: Ich hab vergessen, der schönen Florigunde einen Abschiedskuss zu geben. Und wenn sie dir den Kuss will geben, musst du sie zu dir aufs Ross hinaufziehen und schnell davonreiten.«

Und so geschah es. Der Graf gab die Freudentafel, die sieben Tage dauerte, und danach blieb der Franz noch einige Tage auf dem Schloss. Die schöne Florigunde aber hatte den Prinzen liebgewonnen und es war ihr leid, dass er jetzt fortgehen wollte. Er musste aber doch fort, weil er doch noch allweil auf seinen Vater gedacht hat. Wie er nun auf dem Schimmel sitzt, verlangt er noch einen Abschiedskuss. Er beugt sich nieder und die Florigunde stellte ihren Fuß in den Bügel und streckt sich zu ihm hinauf. Jetzt fasst er sie um die Mitten, hebt sie aufs Ross und reitet schnell fort, und bis der Graf ein anderes Pferd gesattelt hat und ihm nachsprengt, war er schon weit weg.

Wie der Franz sah, dass er sicher war, da ritt er langsam; der Schimmel war schon recht matt. Jetzt erschien dem Franz wieder der Fuchs. Da war der Prinz sehr glücklich, der Fuchs gab ihm aber weiter guten Rat:

»Du brauchst den Schimmel nicht um die weiße Amsel zu vertauschen. Wenn du zum wilden Mann hinkommst, wird er vor seinem Häusl stehen und wird lachen, dass er den Schimmel kriegt. Und wird die weiße Amsel schon in der Hand haben. Dann musst du mit ihm einen Streit anfangen und sagen, das wär nicht die junge, das wäre die alte; es wird aber eh die junge sein. Der wilde Mann will dich aber davon überzeugen, und weil er um die alte geht, musst du schnell mit der jungen wegreiten. Da hast du drei Röslein; wenn dir’s schlecht soll gehen, wirfst du allemal ein Rösl über deine rechte Achsel hinter.«

Als der Franz zum wilden Mann kam, stieg er nicht vom Pferd, weil er noch nicht die weiße Amsel hatte. Der wilde Mann stand aber schon vor der Tür, die junge Amsel in den Händen. Da fängt der Prinz den Streit darum an und der wilde Mann wird zornig und geht in sein Häusl um die alte Amsel. Derweil reitet der Franz mit der jungen Amsel schnell davon.

Weil aber der Weg schlecht und holprig war, konnte er nicht so schnell weiter. Da hörte er hinter ihm ein Geräusch und schaute um, da war der wilde Mann ganz nah. Der Franz nahm die erste Rose und warf sie über seine rechte Achsel hinter. Da war ein tiefer Graben mit steilen Wänden, um und um alles gebirgig. Da musste der wilde Mann erst um den Graben herumgehen. Derweil ritt der Prinz ein gut Stück weiter. Nach einer Weile hörte er hinter ihm wieder rauschen, und wie er umschaut, ist der wilde Mann schon wieder gleim am Rücken. Der Prinz wirft das zweite Rösl über seine rechte Achsel hinter und da sieht er einen großen alten Urwald im Windwurf liegen. Er ist auf der einen Seite und der wilde Mann auf der Hinterseite.

Bis der wilde Mann um den Wald geht, kommt der Franz ein gut Stück weiter. Auf einmal hört er wieder rauschen; wie er sich umschaut, ist der wilde Mann schon recht gleim hinter ihm und speibt Feuer aus vor lauter Zorn. Der Franz schmeißt das dritte und letzte Rösl über seine rechte Achsel hinter, und wie er sich umschaut, so sieht er einen großen See faules Wasser und der wilde Mann kann nicht hinüberschwimmen, weil ihn das faule Wasser nicht trägt. Da legt er sich nieder und trinkt den See aus und ist von dem vielen faulen Wasser aufgepfutscht und ist hingewesen.

Als der Franz wieder auf schönes Land gekommen war, da erschien ihm wieder der Fuchs:

»Franz, wie geht’s?« – »Mir geht’s so gut, dass mir kein Wunsch mehr übrig bleibt«, antwortete Franz. Da sagte der Fuchs:

»Aber du wirst noch eine schwere Prüfung zu bestehen haben. Ich rate dir, dass du ja nicht etwa Rabenfleisch kaufst.« – Damit war der Fuchs verschwunden.

Aber der Prinz dachte, er hätte noch viel Geld und könnte in jedem Wirtshaus einkehren und würde auf kein Rabenfleisch nit angewiesen sein. Nach ein paar Tagen kam er zu einer großen Stadt, davor sah er zwei Galgen stehen, und nicht lange, so wurden zwei Menschen gebracht, die sollten aufgehängt werden. Jetzt sieht er, dass die zwei seine Brüder sind. Da spricht er zu den Leuten und kauft seine Brüder um viel Geld los, hat sich recht gefreut, dass er jetzt alles beieinander hat: die weiße Amsel, das weiße Ross, die schöne Florigunde und seine zwei Brüder. Sie reisten nun alle zusammen weiter; aber seine Brüder waren neidisch auf sein Glück, und als sie zu einem großen Wasser kamen, über das eine Brücke ging, da hatten sie schon heimlich etwas miteinander beratschlagt. Der eine geht links und der andere rechts, der eine hebt den Franz aus dem Sattel, der andere reißt ihn vom Pferd herab und wirft ihn übers Geländer ins Wasser. Und die schöne Florigunde hat einen Eid schwören müssen, dass sie nichts aussagt, sonst wollten sie sie auch ins Wasser werfen.

Wie aber der Franz ist untergegangen und das Wasser wirft ihn wieder auf, da ist der Fuchs übergeschwommen. Der Franz derwischt ihn beim Schwanz und der Fuchs zieht ihn heraus aufs Land und spricht:

»Wenn du mir nicht folgst, so wird dir’s alleweil schlecht gehen und mir noch schlechter. Habe ich dir nit gesagt, du darfst kein Rabenfleisch nit kaufen! Aber ich will dir nochmal helfen. Du musst dein Gewand, das du anhast, alles vertauschen, und wenn du auch viel ein schlechteres kriegst. Im nächsten Wald haust ein Einsiedler, zu dem gehst du und bittest ihn, dass er dir die Wurzen und Kräuter zeigt, die nahrhaft und nicht giftig sind. Der wird dich aber nit wollen aufnehmen, da musst du ihn desto mehr bitten.«

Franz ging denn auch in den Wald zu dem Einsiedler, und wie der sah, dass der Franz aus der Stadt und von feinen Leuten war, da sagte er, ein so einen Menschen könnet er nit brauchen. Der Franz bat aber immer weiter und sagte:

»Wenn ich so tu, wie’s die Leut wollen, so komm ich in die Sünd, tu ich’s aber nicht, so werde ich von dem Volk verhöhnt. Ich bitte dich gar schön, lass mich doch bei dir!«

Wie er nun auch da als Einsiedler lebte, da hat’s ihm gar fürchterlich belängt. Es kam ihm vor, ein Tag wäre länger als sonst eine Woche. Aber er musste sieben Jahre aushalten und er hielt noch länger aus. Je länger er blieb, je weniger wusste er, was für ein Monat oder Tag war und wie er im Jahr war. In der langen Zeit wuchsen ihm die Haare über den Puggel hinab und der Bart bis auf die Brust, so dass er ganz unkenntlich wurde. Und als er einmal unter einem Baum Wurzen grub und dachte, wie viel sieben Jahre werden schon um sein, der Fuchs kommt mich nimmer ablösen, ist vielleicht geschossen worden oder gefangen – wie er so nachsimuliert, da erscheint der Fuchs und sagt:

»Heute ist der siebente Jahrestag, jetzt kannst du heimgehen auf den königlichen Hof, aber nicht als Königssohn. Du musst schauen, dass du dort einen Dienst kriegst.«

Da ging Franz zu dem Verwalter auf den königlichen Hof um eine Anstellung, und weil sonst keine Stelle da war, so machte ihn der zum Hennenhalter. Da brachte er nun bald in Erfahrung, wie es dort stand: Die schöne Florigunde war immer traurig, sie sollte in acht Tagen den Robert heiraten, und wenn sie ihn nicht nahm, war ihr Leben verfallen; die Amsel lebte wohl noch, aber sie sang nicht, und der Schimmel war auch noch da, aber er war auch recht schlecht beieinander. Jetzt ist aber der Rossknecht fort vom Hof gegangen und der Franz an seinen Platz gekommen und wieder bei seinem Schimmel gewesen. Da wurde der von Tag zu Tag besser und die Amsel hob wieder an zu wischpeln und zu singen. Die Florigunde hatte den Schimmel noch alleweil recht gern und ist öfters zu ihm in den Stall gekommen und hat auch mit dem Stallknecht geredet. Einmal, als sie wieder da war, hat er ihr die Hand vorgehalten mit dem Ring. Wie sie den Ring sieht, erkennt sie den gleich und fällt in Ohnmacht. Der Franz rieb ihr geschwind die Puls‘, dass sie wieder zu sich selber kam, und fragte sie, was ihr gewesen wär. Da antwortete Florigunde:

»Ich hab einen Ring gehabt, der dem ganz gleich war, aber es ist ja nicht möglich, dass es derselbe ist; weil der, dem ich den Ring geschenkt hab, ins Wasser gefallen ist.«

Der Franz sagt aber, dass es doch sein kann, dass das ihr Ring ist, weil er der Franz ist, den seine Brüder ins Wasser gestürzt haben.

Er bat sie aber, sie sollte davon am ganzen Hof niemand nichts sagen, nur seinem Vater, dem sollte sie es einmal auf einem weiten Spaziergang offenbaren; »er wird dir den Spaziergang nicht abschlagen, weil er jetzt wieder freundlich und fröhlich ist, seit die weiße Amsel wieder singt und weil er jetzt sein Gehör wieder hat wie früher.«

Alles geschah so, und der König gab nun ein großes Fest und lud alle Herren vom Hof und auch die von auswärts dazu ein. Seine zwei Söhne waren auch dabei. Wie die Tafel zu Ende war, bedankte er sich schön für den Rat mit der weißen Amsel und dass er jetzt wieder so gut hörte wie vor und eh. Und setzte hinzu, er hätte einen Traum gehabt, den könnt er nicht von seinem Herzen bringen und möchte ihnen den erzählen: Da habe einer zwei Brüder vom Galgen ausgekauft und die zwei Brüder hätten den hernach dafür ins Wasser geworfen. Und er brächte den Traum nicht aus sich, bis er nicht wüsste, was solche Brüder für ein Urteil verdient hätten, und das möchte ihm jetzt ein jeder Tafelgast frei heraus sagen. Das taten denn auch alle und zuletzt kam es auf die zwei Brüder. Der erste sagte:

»So einer verdient, dass man eine Säge nimmt und ihn in Stücke zerschneidet.«

Der zweite sagte:

»So einer verdient, dass man vier alte Ross, die schon langsam gehen, ein jedes bei einer Hand und bei einem Fuß einspannt und ihn in vier Teile auseinander reißt.«

Da sagte der König:

»Ihr habt euch euer Urteil selbst gesprochen.«

Der Franz aber heiratete hernach die schöne Florigunde und sie lebten glücklich miteinander. Eines Tages auf einem Spaziergang, als er auf seine Frau wartete, die nachkommen wollte, erschien dem Franz der Fuchs und sagte:

»Franz, wie geht’s?«

Der Franz sagte:

»Ich bin ganz glücklich, und wenn die Himmelstür offen wär, so möchte ich nicht einmal hineingehen.«

Der Fuchs aber sagte:

»Die schwerste Prüfung musst du noch bestehen. Deine Frau wird ein liebes Büble bekommen, das musst du mit deinem Leibschwert in zwei Stücke hauen. Tust du das nicht, so wirst du mit deinen Kindern und mit deinem Königreiche nie kein Glück haben. Wenn du es aber tust, so kann deine schöne Florigunde noch mehr schöne Büblein kriegen, und wenn du einen Krieg hast, wirst du alleweil siegen, und du wirst alleweil glücklich sein und ich noch mehr.«

Damit verschwand der Fuchs. Seine Frau aber, die schöne Florigunde, wurde von gar einem lieben, schönen Büble entbunden. Und wie die Hebamme es dem König überbrachte, da nahm er das Büble bei den Füßen, zog sein Leibschwert aus der Scheide und wollte das Kind mitten voneinander hauen. Als er aber mit dem Schwert ausholte, konnte er es auf einmal nicht herunterkriegen. Er sah sich um, da stand ein weißhaariger Greis hinter ihm, der hielt das Schwert fest und sprach:

»Mein lieber Franz, es ist schon gut, der Wille ist erfüllt – willst du wissen, wer ich bin?«

Franz sagte:

»Wenn’s mir nicht schadet, so will ich’s wohl gern wissen.«

Da sagte der Greis:

»Ich bin der, den du vor der Freithofstür ausgekauft und vor der Schande bewahrt hast und hast auch den Pfarrer gezahlt und meiner Beerdigung beigewohnt. Und ich bin der Fuchs, der dich alleweil geleitet und geführt hat, und das hab ich dir getan aus lauter Dankbarkeit.«

Der Greis gab dem König den Segen und dann war er auf einmal verschwunden.

Quelle: „Österreichische Märchen“ von Ingo Reiffenstein (Hrsg.) 

Samstag, 23. März 2024

Ein Märchen zum Wochenende


Der tausendfleckige, starke Wila

Ein junger König hatte eine wunderschöne Königstochter zur Frau. Aber er hatte auch eine boshafte und falsche Mutter, die wurmte es, dass jene so überaus schön war. Sie stellte sich aber immer freundlich gegen sie.

Nun trug es sich zu, dass der junge König in den Krieg zog und seiner Mutter die Sorge für die junge Königin übertrug, denn die war schwanger. Da ließ die Alte eines Tages eine große Jagd anstellen und befahl dem Jäger, eine Flasche mit Blutstropfen von tausenderlei Tieren zu füllen. Als sie das Blut hatte, lud sie die junge Frau zum Abendmahle ein, schenkte sich ein Glas dunkeln Wein und der jungen Frau Blut ein. Dann sprach sie: „Stoßen wir an und leeren das Glas auf das Wohl des Königs, der jetzt im Kriege ist!“ Sie trank den Wein, die junge Königin das Blut. Aber diese merkte gleich, dass es Blut war, was sie getrunken hatte. Als nun die junge Frau nach einigen Tagen eines Söhnleins genas, so hatte das tausenderlei Blutflecken am Leib und Gesicht, also dass man sich mit Entsetzen von ihm abwenden musste. Aber die alte Königin hielt die Sache des Jägers wegen geheim, denn der hätte sie verraten können, und schrieb allein ihrem Sohn so und so, wie untreu ihm seine Gattin gewesen, und der befahl zurück, wie wehe es ihm auch tat, das Gericht solle über sie erkennen. Alsbald wurden sieben Könige zusammenberufen, und die meisten stimmten dafür, man solle sie hinrichten. Nur der Älteste schlug vor: man solle sie dahin und dahin in den tiefen Abgrund führen, den verschließen, da werde sie wohl umkommen und niemand werde sie weiter sehen. Das wurde auch angenommen, und die junge Königin wurde mit ihrem Kinde bald hinausgeschleppt in den Abgrund, und vor die kleine Öffnung wurde ein mächtiges Felsstück gewälzt.

Da lebte sie und nährte sich und ihr Kind kümmerlich von Kräutern und Wurzeln viele Jahre lang, und der Knabe, seine Mutter nannte ihn Wila, ward groß und stark. Eines Tages sagte er: „Mutter, ich möchte doch sehen, wohin die Bergspalte führt!“ – „Ach, mein Kind, du bist nicht stark genug, um den Stein fortzuwälzen!“ Er aber ging hin und versuchte. Doch regte und rührte sich der Fels nicht von der Stelle. Nun versuchte er jeden Tag, und nach einem Jahr fing der Stein an sich zu rühren, nach dem zweiten Jahre schon mehr, und als das dritte zu Ende ging, hatte er’s so weit gebracht, dass er den Stein leicht auf die Seite schob. „Jetzt bin ich stark genug, Mutter. Ich will dienen gehen!“ – „So gehe denn in Gottes Namen und vergiss meiner nicht. Ich bleibe hier. Wälze den Stein wieder vor, dass keine Menschenseele mich Unglückliche hier treffen kann!“ Also nahm der Knabe Abschied von seiner Mutter, wälzte den Stein wieder vor und wanderte fort, um einen Dienst zu suchen. Er war aber so stark geworden, dass er die größte Tanne im Walde ausriss und auf die Spitze stampfte, dass das Gezweig zerbrach und abfiel. Den Stumpf behielt er als Stab in der Hand. Wenn er ausatmete, blies er alles fort, und wenn er Atem holte, zog er alles an. Wenn er einmal laut schrie, so zersplitterten Steine und Bäume, auf die der Schall fuhr.

Da traf es sich, dass ein König die Straße kam, der wollte eben zu seiner Braut fahren und Hochzeit halten. Der starke Wila stellte sich in den Weg und rief: „Haltet ein wenig! wünschet Ihr keinen Knecht!“ Da sah der König aus dem Wagen heraus, und wie er den starken Wila mit den tausenderlei Blutflecken im Gesichte erblickte, so entsetzte er sich. „Nein, nein!“ rief der König und befahl weiterzufahren. Aber der starke Wila zog den Atem an, und der Wagen konnte nicht von der Stelle. „So nehmet mich doch, ich werde Euch treue Dienste leisten! Warum zaudert Ihr!“ – „Ich fürchte mich vor dir“, sprach der König, „und meine Leute würden alle davonlaufen, wenn sie dich nur sähen l“ – „Haltet mich am Tage verborgen und lasset mich nur in dunkler Nacht arbeiten!“ Der König sah, dass er nicht frei werden konnte. „So ist es mir recht!“ sprach er: „allein du musst hier warten, bis ich von der Hochzeit heimkehre!“ – „Aber ich möchte gerne auch bei der Hochzeit sein steckt mich in den Keller, dass niemand mich sieht.“ – „Lege dich denn zurück in meinen Wagen, ich will dich verbergen.“ Der König gelangte endlich in das Schloss seiner Braut und versteckte den starken Wila gleich in den Keller, gab ihm Essen und Trinken die Fülle und verschloss dann die Türe. Aber der König hatte an dem ganzen Fest keine rechte Freude, sondern saß still und traurig neben seiner fröhlichen Braut, und der Vater und die Mutter derselben und die Hochzeitsgäste verwunderten sich sehr darüber, und es war ihnen nicht recht.

Da trug es sich zu, dass die Braut, als sie mit dem Bräutigam in ihr Zimmer ging, plötzlich zusammensank und tot war. Der Verdacht fiel auf den Bräutigam, er habe sie vergiftet oder ihr ein geheimes Leid getan. Er wurde gleich festgenommen, und am folgenden Morgen sprach man über ihn das Urteil: er solle in einem einsam stehenden Turm vermauert werden. Alsbald wurde das Urteil auch vollzogen. Wila aber hatte im Keller alles gehört, und als es wieder Abend und alles ruhig war, so atmete er einmal gegen die Tür und sie fiel gleich hinaus, dann blies er die Schlossmauer durch und ging hinaus zu dem Turme, rief dem König, dass die Mauer durch den Ruf gleich einen Riss bekam, und sprach: „Wenn Ihr mir etwas versprecht, so will ich Euch retten!“ – „Und was ist das t“ fragte der König. „Ihr sollt meine Mutter zur Frau nehmen!“ – „Ist sie auch so hässlich, wie du bist?“ – „Noch tausendmal hässlicher!“ sprach Wila. „So will ich lieber hier bleiben und sterben!“ sagte der König. Wila ging fort und kam nach einiger Zeit wieder und fragte: „Wie denkt Ihr noch, Herr König?“ – „Lieber sterben!“ sprach er wieder. Aber bald kam ihn die Lust zum Leben an, dass er seinen Sinn änderte und, als Wila zum drittenmal fragte: „Wie denkt Ihr noch, Herr König?“, rief: „Ich will sie nehmen! Doch möchte ich erst nach Hause und die Hochzeitsfeier anordnen!“ – „Das kann geschehen!“ sprach Wila, „ich gehe mit Euch“, und nun tat er seinen Mund auf und stieß einen so mächtigen Schrei aus gegen den Turm, dass der sogleich barst und auseinander fiel. Der König kam gerettet heraus und zog mit Wila nach Hause. Da liefen alle Leute des Königs vom Hofe fort, als sie den tausendfleckigen Diener ihres Herrn sahen.

Der König erzählte, was ihm alles begegnet sei, wie ihn Wila gerettet und wie er ihm dafür versprochen habe, seine Mutter zum Weib zu nehmen, obgleich sie noch tausendmal hässlicher sei als jener. Da entsetzten sich die Seinigen, vor allem seine Mutter, denn sie ahnte nichts Gutes. Sie suchten den König zu überreden, er solle Wila insgeheim umbringen lassen, so werde er seines Versprechens ledig. Aber der König sprach zornig: „Was ich versprochen habe, ist versprochen, und das will ich halten. Es sei ferne von mir, dass ich so große Untreue üben sollte!“ und ließ nun Anstalten machen und das Fest bereiten. Dann zog er mit Wila fort, um seine Braut zu holen. Wie sie nun durch den Wald an die Höhle kamen, schob Wila das Felsstück fort. Der König aber zitterte im voraus vor der entsetzlichen Gestalt, die er bald sehen werde. Er hielt beide Hände vors Gesicht. Um nicht auf einmal die volle Hässlichkeit zu sehen, blickte er nur durch die Finger. Aber was sah er nur einmal? Die schönste Frau auf Gottes Erdboden saß da in tiefer Trauer. Er nahm die Hände vom Gesicht: „Ist es möglich! Weib, mein liebes Weib!“ und sank in ihren Schoß. Nachdem sie sich beide vom Wiedersehen erholt hatten, sagte die Frau:

„Siehe, das ist dein Sohn!“ und erzählte nun dem König die ganze Geschichte, wie es gekommen, dass er tausenderlei Blutflecken am Leib und im Gesicht habe und wie an allem die Mutter des Königs schuld sei. „Sie soll die wohlverdiente Strafe empfangen!“ rief der König außer sich vor Zorn, „wohlan! ziehen wir nach Hause.“

Als sie nun daheim anlangten, da hielten viele die Hände vors Gesicht, andere hatten sich versteckt, um die hässliche Braut nicht zu sehen. Nur die alte Königin sah durch die Finger, und wie sie die schöne Frau erblickte, so erkannte sie dieselbe gleich. „Huhu!“ rief sie voll Entsetzen und schlug gleich die Augen zu und sank zu Boden. Die Leute glaubten, die Alte habe sich vor der Hässlichkeit der Königsbraut so entsetzt, taten die Augen auf, um ihr beizustehen. Da erblickten sie die große Schönheit ihrer neuen Herrin und freuten sich sehr.

Der König aber ließ seine Mutter ergreifen, und das Gericht erkannte über sie, man solle sie in einen Turm vermauern, und das Urteil wurde auch gleich vollzogen, und sie musste dort den Hungertod sterben.

Nun aber ließ der König seine Weisen zusammenkommen und fragte sie, ob es keine Mittel gebe, die Blutflecken vom Leibe des starken Wila zu tilgen. „Das ist wohl möglich“, sprachen sie, „wenn alle Tiere, von denen das Blut herrührt, die Blutmale ablecken!“ Da musste der Jäger, der die Tropfen ohne zu wissen wozu, der alten Königin herbeigeschafft hatte, die tausenderlei Tiere fangen, und als diese den starken Wila geleckt hatten, war er nicht nur der stärkste, sondern auch der schönste Königssohn, und sein Name wurde berühmt in allen Landen.

Quelle: Josef Haltrich