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Samstag, 23. März 2024

Ein Märchen zum Wochenende


Der tausendfleckige, starke Wila

Ein junger König hatte eine wunderschöne Königstochter zur Frau. Aber er hatte auch eine boshafte und falsche Mutter, die wurmte es, dass jene so überaus schön war. Sie stellte sich aber immer freundlich gegen sie.

Nun trug es sich zu, dass der junge König in den Krieg zog und seiner Mutter die Sorge für die junge Königin übertrug, denn die war schwanger. Da ließ die Alte eines Tages eine große Jagd anstellen und befahl dem Jäger, eine Flasche mit Blutstropfen von tausenderlei Tieren zu füllen. Als sie das Blut hatte, lud sie die junge Frau zum Abendmahle ein, schenkte sich ein Glas dunkeln Wein und der jungen Frau Blut ein. Dann sprach sie: „Stoßen wir an und leeren das Glas auf das Wohl des Königs, der jetzt im Kriege ist!“ Sie trank den Wein, die junge Königin das Blut. Aber diese merkte gleich, dass es Blut war, was sie getrunken hatte. Als nun die junge Frau nach einigen Tagen eines Söhnleins genas, so hatte das tausenderlei Blutflecken am Leib und Gesicht, also dass man sich mit Entsetzen von ihm abwenden musste. Aber die alte Königin hielt die Sache des Jägers wegen geheim, denn der hätte sie verraten können, und schrieb allein ihrem Sohn so und so, wie untreu ihm seine Gattin gewesen, und der befahl zurück, wie wehe es ihm auch tat, das Gericht solle über sie erkennen. Alsbald wurden sieben Könige zusammenberufen, und die meisten stimmten dafür, man solle sie hinrichten. Nur der Älteste schlug vor: man solle sie dahin und dahin in den tiefen Abgrund führen, den verschließen, da werde sie wohl umkommen und niemand werde sie weiter sehen. Das wurde auch angenommen, und die junge Königin wurde mit ihrem Kinde bald hinausgeschleppt in den Abgrund, und vor die kleine Öffnung wurde ein mächtiges Felsstück gewälzt.

Da lebte sie und nährte sich und ihr Kind kümmerlich von Kräutern und Wurzeln viele Jahre lang, und der Knabe, seine Mutter nannte ihn Wila, ward groß und stark. Eines Tages sagte er: „Mutter, ich möchte doch sehen, wohin die Bergspalte führt!“ – „Ach, mein Kind, du bist nicht stark genug, um den Stein fortzuwälzen!“ Er aber ging hin und versuchte. Doch regte und rührte sich der Fels nicht von der Stelle. Nun versuchte er jeden Tag, und nach einem Jahr fing der Stein an sich zu rühren, nach dem zweiten Jahre schon mehr, und als das dritte zu Ende ging, hatte er’s so weit gebracht, dass er den Stein leicht auf die Seite schob. „Jetzt bin ich stark genug, Mutter. Ich will dienen gehen!“ – „So gehe denn in Gottes Namen und vergiss meiner nicht. Ich bleibe hier. Wälze den Stein wieder vor, dass keine Menschenseele mich Unglückliche hier treffen kann!“ Also nahm der Knabe Abschied von seiner Mutter, wälzte den Stein wieder vor und wanderte fort, um einen Dienst zu suchen. Er war aber so stark geworden, dass er die größte Tanne im Walde ausriss und auf die Spitze stampfte, dass das Gezweig zerbrach und abfiel. Den Stumpf behielt er als Stab in der Hand. Wenn er ausatmete, blies er alles fort, und wenn er Atem holte, zog er alles an. Wenn er einmal laut schrie, so zersplitterten Steine und Bäume, auf die der Schall fuhr.

Da traf es sich, dass ein König die Straße kam, der wollte eben zu seiner Braut fahren und Hochzeit halten. Der starke Wila stellte sich in den Weg und rief: „Haltet ein wenig! wünschet Ihr keinen Knecht!“ Da sah der König aus dem Wagen heraus, und wie er den starken Wila mit den tausenderlei Blutflecken im Gesichte erblickte, so entsetzte er sich. „Nein, nein!“ rief der König und befahl weiterzufahren. Aber der starke Wila zog den Atem an, und der Wagen konnte nicht von der Stelle. „So nehmet mich doch, ich werde Euch treue Dienste leisten! Warum zaudert Ihr!“ – „Ich fürchte mich vor dir“, sprach der König, „und meine Leute würden alle davonlaufen, wenn sie dich nur sähen l“ – „Haltet mich am Tage verborgen und lasset mich nur in dunkler Nacht arbeiten!“ Der König sah, dass er nicht frei werden konnte. „So ist es mir recht!“ sprach er: „allein du musst hier warten, bis ich von der Hochzeit heimkehre!“ – „Aber ich möchte gerne auch bei der Hochzeit sein steckt mich in den Keller, dass niemand mich sieht.“ – „Lege dich denn zurück in meinen Wagen, ich will dich verbergen.“ Der König gelangte endlich in das Schloss seiner Braut und versteckte den starken Wila gleich in den Keller, gab ihm Essen und Trinken die Fülle und verschloss dann die Türe. Aber der König hatte an dem ganzen Fest keine rechte Freude, sondern saß still und traurig neben seiner fröhlichen Braut, und der Vater und die Mutter derselben und die Hochzeitsgäste verwunderten sich sehr darüber, und es war ihnen nicht recht.

Da trug es sich zu, dass die Braut, als sie mit dem Bräutigam in ihr Zimmer ging, plötzlich zusammensank und tot war. Der Verdacht fiel auf den Bräutigam, er habe sie vergiftet oder ihr ein geheimes Leid getan. Er wurde gleich festgenommen, und am folgenden Morgen sprach man über ihn das Urteil: er solle in einem einsam stehenden Turm vermauert werden. Alsbald wurde das Urteil auch vollzogen. Wila aber hatte im Keller alles gehört, und als es wieder Abend und alles ruhig war, so atmete er einmal gegen die Tür und sie fiel gleich hinaus, dann blies er die Schlossmauer durch und ging hinaus zu dem Turme, rief dem König, dass die Mauer durch den Ruf gleich einen Riss bekam, und sprach: „Wenn Ihr mir etwas versprecht, so will ich Euch retten!“ – „Und was ist das t“ fragte der König. „Ihr sollt meine Mutter zur Frau nehmen!“ – „Ist sie auch so hässlich, wie du bist?“ – „Noch tausendmal hässlicher!“ sprach Wila. „So will ich lieber hier bleiben und sterben!“ sagte der König. Wila ging fort und kam nach einiger Zeit wieder und fragte: „Wie denkt Ihr noch, Herr König?“ – „Lieber sterben!“ sprach er wieder. Aber bald kam ihn die Lust zum Leben an, dass er seinen Sinn änderte und, als Wila zum drittenmal fragte: „Wie denkt Ihr noch, Herr König?“, rief: „Ich will sie nehmen! Doch möchte ich erst nach Hause und die Hochzeitsfeier anordnen!“ – „Das kann geschehen!“ sprach Wila, „ich gehe mit Euch“, und nun tat er seinen Mund auf und stieß einen so mächtigen Schrei aus gegen den Turm, dass der sogleich barst und auseinander fiel. Der König kam gerettet heraus und zog mit Wila nach Hause. Da liefen alle Leute des Königs vom Hofe fort, als sie den tausendfleckigen Diener ihres Herrn sahen.

Der König erzählte, was ihm alles begegnet sei, wie ihn Wila gerettet und wie er ihm dafür versprochen habe, seine Mutter zum Weib zu nehmen, obgleich sie noch tausendmal hässlicher sei als jener. Da entsetzten sich die Seinigen, vor allem seine Mutter, denn sie ahnte nichts Gutes. Sie suchten den König zu überreden, er solle Wila insgeheim umbringen lassen, so werde er seines Versprechens ledig. Aber der König sprach zornig: „Was ich versprochen habe, ist versprochen, und das will ich halten. Es sei ferne von mir, dass ich so große Untreue üben sollte!“ und ließ nun Anstalten machen und das Fest bereiten. Dann zog er mit Wila fort, um seine Braut zu holen. Wie sie nun durch den Wald an die Höhle kamen, schob Wila das Felsstück fort. Der König aber zitterte im voraus vor der entsetzlichen Gestalt, die er bald sehen werde. Er hielt beide Hände vors Gesicht. Um nicht auf einmal die volle Hässlichkeit zu sehen, blickte er nur durch die Finger. Aber was sah er nur einmal? Die schönste Frau auf Gottes Erdboden saß da in tiefer Trauer. Er nahm die Hände vom Gesicht: „Ist es möglich! Weib, mein liebes Weib!“ und sank in ihren Schoß. Nachdem sie sich beide vom Wiedersehen erholt hatten, sagte die Frau:

„Siehe, das ist dein Sohn!“ und erzählte nun dem König die ganze Geschichte, wie es gekommen, dass er tausenderlei Blutflecken am Leib und im Gesicht habe und wie an allem die Mutter des Königs schuld sei. „Sie soll die wohlverdiente Strafe empfangen!“ rief der König außer sich vor Zorn, „wohlan! ziehen wir nach Hause.“

Als sie nun daheim anlangten, da hielten viele die Hände vors Gesicht, andere hatten sich versteckt, um die hässliche Braut nicht zu sehen. Nur die alte Königin sah durch die Finger, und wie sie die schöne Frau erblickte, so erkannte sie dieselbe gleich. „Huhu!“ rief sie voll Entsetzen und schlug gleich die Augen zu und sank zu Boden. Die Leute glaubten, die Alte habe sich vor der Hässlichkeit der Königsbraut so entsetzt, taten die Augen auf, um ihr beizustehen. Da erblickten sie die große Schönheit ihrer neuen Herrin und freuten sich sehr.

Der König aber ließ seine Mutter ergreifen, und das Gericht erkannte über sie, man solle sie in einen Turm vermauern, und das Urteil wurde auch gleich vollzogen, und sie musste dort den Hungertod sterben.

Nun aber ließ der König seine Weisen zusammenkommen und fragte sie, ob es keine Mittel gebe, die Blutflecken vom Leibe des starken Wila zu tilgen. „Das ist wohl möglich“, sprachen sie, „wenn alle Tiere, von denen das Blut herrührt, die Blutmale ablecken!“ Da musste der Jäger, der die Tropfen ohne zu wissen wozu, der alten Königin herbeigeschafft hatte, die tausenderlei Tiere fangen, und als diese den starken Wila geleckt hatten, war er nicht nur der stärkste, sondern auch der schönste Königssohn, und sein Name wurde berühmt in allen Landen.

Quelle: Josef Haltrich

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