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Samstag, 16. März 2024

Ein Märchen zum Wochenende

Die Manekine

Es lebte einst ein weiser und gerechter König, der über ganz Ungarn herrschte; seine Gattin war eine armenische Königstochter von hoher Schönheit und übermenschlicher Güte, lange hätte man wandern müssen, um ihresgleichen zu suchen. In ihrer zehnjährigen Ehe hatte die Königin nur einer Tochter das Leben geschenkt, welche Joie hieß, weil durch ihre Geburt das ganze Land erfreut wurde. Der Tod, der auch die Großen der Erde nicht verschont, warf die Königin, noch ehe sie gealtert war, aufs Lager und verwandelte die Rosenfarbe ihres Leibes in Leichenblässe. Da sprach sie zu ihrem Gatten: »Herr, ich bitte Euch, daß ihr keine Frau nach mir heiratet. Wenn aber die Edlen Eures Landes nicht wollen, daß das ungarische Reich unserer Tochter verbleibt, und wenn Ihr Euch, um einen männlichen Erben zu erhalten, zu neuer Ehe entschließen müßt, so bitte ich Euch, daß Ihr nur eine Frau heiratet, welche mir gleicht.« Das beschwur der König und dann schied die Königin aus diesem Leben.

Kurz darauf versammelten sich die Barone und der älteste von ihnen sprach: »Das Königreich Ungarn würde in Bedrängnis geraten, wenn ein Weib es in seinen Händen hielte. Deshalb laßt uns zum König gehen und ihn von Herzen bitten, daß er nach unserem Rat eine neue Gattin nehme.« So taten sie, aber der König antwortete, er habe seiner toten Gemahlin versprochen, nie eine Frau zu nehmen, welche ihr nicht an Schönheit und Güte gleichkäme. Als die Barone solches hörten, wählten sie zwölf Boten aus, welche ausziehen sollten, um eine der toten Königin ähnliche Jungfrau zu suchen. Die Boten erschauten die Tochter von manchem König und von manchem Grafen und litten manche Pein, aber das Ziel ihres Suchens erreichten sie nicht. 

Als der König beim heiligen Weihnachtsfeste zur Tafel saß, kamen die Boten zurück und berichteten, daß sie nirgends eine Frau gefunden hätten, welche der Verstorbenen gleiche. Nun geschah es aber, daß einer der Grafen die schöne Königstochter beim Mahle bediente, und als er sie anblickte, da schien es ihm, als sei sie ihre Mutter selber, nur daß sie um vieles jünger war. Nach dem Essen sagte er also zu den Baronen: »Ihr Herren, nie wird man ein solches Weib finden, wie es der König sucht, es sei denn, daß er seine Tochter heiratet.« Da nickten die Barone zustimmend, aber der König, dem sie ihre Meinung vortrugen, lehnte ein solches Ansinnen ab. Wie aber die Großen des Landes auf der Wiederverheiratung bestanden und wie auch die Prälaten und Bischöfe ihren Dispens erteilten, da besann sich der König und bat dann, ihm bis Lichtmeß Frist zu gewähren.

Einst trat der Vater unangemeldet in Joiens Gemach, er ergriff ihre Hand und setzte sich neben sie. Darauf schaute er ihr ins Gesicht und bemerkte, daß die Natur nie ein schöneres Weib gebildet hatte. Als er aber von ihr ging, war der Funke sündiger Liebe in seiner Brust entzündet. Eines Tages ließ er seine Tochter vor sich kommen und sprach zu ihr: »Liebe Tochter, erzürne dich nicht über das, was ich dir jetzt sagen werde!« »Vater,« entgegnete diese, »Euer Wille ist mir nie mißfällig.« »Liebe Tochter,« hub der König wieder an, »ich habe deiner Mutter auf ihrem Totenbette versprochen, daß ich nach ihr keine andere Frau heiraten wolle als eine solche, die ihr gliche. Aber nur du allein kommst ihr auf der weiten Erde gleich. Sieh, meine Barone wollen nicht, daß das ungarische Reich ohne männlichen Erben bleibe, deshalb hat die Geistlichkeit mir die Erlaubnis erteilt, mich mit dir zu vermählen: du sollst gekrönte Königin von Ungarn sein!« »Vater,« antwortete die Jungfrau, »laßt diese Worte! Ich würde lieber den Tod erleiden, als meiner Seele Seligkeit verlieren.« »Töricht hast du mir geantwortet,« rief der Vater voll Zorn, »wenn du dich meinem Willen nicht fügen willst, so werde ich dich zwingen!« Ohne Abschied ging er hinaus und die Jungfrau kehrte auf den Tod betrübt in ihre Kammer zurück.

Lichtmeß kam und Barone, Ritter und Geistliche versammelten sich wieder am Hofe. Der König sagte ihnen, daß er ihrem Willen, ein anderes Weib zu nehmen, willfahren wolle, und alle waren sehr froh darüber. Joie aber hatte durch eine Späherin erfahren, daß die Großen des Landes kommen würden, sie vor den König zu holen. Als sie dieses hörte, geriet sie in große Furcht und wußte nicht, was sie tun sollte. Sie trennte sich von ihren Gefährtinnen, ohne daß diese es merkten, und eilte von Saal zu Saal. Endlich gelangte sie in einen Küchenraum, welcher mit der Hinterwand an einen Fluß grenzte. Alle die Küchenknechte waren ins Schloß gegangen, um dem Hoftag zuzuschauen, so daß Joie ganz allein war. Auf dem Anrichtetisch lag ein großes scharfes Küchenmesser, das ergriff sie und bat die Gottesmutter, daß sie ihr Kraft verleihe. Schon hörte sie, wie die Menge vor ihrer Kammer lärmte, wie man kam, um sie vor den König zu holen, da faßte sie das Messer fester und mit einem kräftigen Schlag trennte sie ihre linke Hand vom Arme und warf sie in den Fluß, dann schwanden ihr vor Schmerz die Sinne. Als sie wieder zu sich kam, wickelte sie den Stumpf in ein Tuch und trat mit totenblassem Antlitz in ihre Kammer, wo vier Grafen ihrer warteten. »Eine gute Nachricht bringen wir Euch, Jungfrau,« redeten sie diese an, »freuet Euch, Ihr sollt Königin von Ungarn werden. Der König erwartet Euch im Schloß und trägt Euch durch uns auf, unverzüglich vor ihm zu erscheinen.« Schweigend und bleich folgte die Jungfrau den vier Grafen vor den König, eine Schar Mägde begleitete sie. Der König nahm Joie bei der Hand und umarmte sie, dann bemerkte er das Blut an ihrem Arm. »Tochter,« sprach er, »was ist Euch geschehen?« »Herr,« erwiderte sie, »wohl weiß ich, was Ihr von mir verlangen wollt, aber Königin werde ich nicht. Seht, mir fehlt die linke Hand, und nach unserem Gesetz darf ein König keine Frau ehelichen, der eines ihrer Glieder fehlt.« Als der König und die Barone den Stumpf sahen, da wurde ihre Freude in Leid verwandelt. Der König merkte wohl, daß sie solches aus freien Stücken getan hatte, um sich seinem Willen zu entziehen, und er befahl voll Zorn seinem Seneschall, daß er die Jungfrau heute über drei Tage zum Feuertode führe. Die Barone erschraken sehr, aber sie wagten nicht, ihren Kummer zu zeigen. Da ging der Hoftag in Trauer und Klagen auseinander, und der König zog sich auf ein fernes Schloß zurück. Der Seneschall blieb zurück, um Joie, die im Gefängnis schmachtete, zum Scheiterhaufen zu bringen. Die Nachricht, daß Joie verbrannt werden sollte, verbreitete sich im ganzen Lande, und besonders die Armen, denen sie oft Brot und Kleider gegeben hatte, waren von Zorn und Gram erfüllt. Der Seneschall beschloß, die Jungfrau zu retten; er ließ ein Fahrzeug mit Fleisch und Wein füllen, dann ließ er drei Rosse satteln, Joie mußte das eine besteigen und der Seneschall und der Kerkermeister ritten zu ihren Seiten. So verließen sie im Dunkel der Nacht die Stadt und ritten so lange, bis sie ans Ufer des Meeres kamen. Da sprach der Seneschall zu der Jungfrau: »Ihr wißt, Herrin, daß mir der König bei meinem Leben befahl, Euch ins Feuer zu werfen. Aber das Mitleid, das ich für Euch empfinde, läßt nicht zu, daß ich Euch unter solchen Qualen sterben sehe. Ich will Euch in einem segel- und mastlosen Boot aussetzen und Euch dem Schutze Gottes anheimstellen, er möge Euch geleiten und bewahren.« »Ich bin Euch dankbar,« versetzte die Jungfrau, »daß Ihr meinen Leib vor dem Feuer gerettet habt, denn lieber will ich ertrinken, wenn es Gott gefällt, als verbrennen. Ferner bitte ich den wahren Gott von Herzen, daß er meinem Vater die Sünde, die er an mir tat, vergeben möge, und daß er ihm mehr Freuden verleihen möge, als mir beschieden sind.« Der Seneschall führte sie weinend in das Schiff, dann befahl er sie Gott und der heiligen Jungfrau und stieß den Nachen ins Meer.

Am neunten Tage landete die Jungfrau mit Gottes Hilfe an der Küste Schottlands. Es war gerade Funkensonntag, und die Einwohner des Landes trieben Kurzweil am Meeresufer. Unter ihnen befand sich auch der Profoß. Er hatte sein Gesicht zum Meer gewendet und bemerkte den Nachen, der ohne Segel und Mast herantrieb. Als das Boot an Land kam, begab sich die Menge zum Strande und der Profoß begrüßte die Fremde: »Jungfrau, der wahrhaftige Gott gebe Euch Glück und Freude!« »Herr,« entgegnete sie, »der, den Ihr anrieft, möge Euch erhören!« »Jungfrau, berichtet uns, wo Eure Heimat und wie Euer Name ist!« »Herr, ich bin eine Unglückliche, die hier ans Ufer trieb. Wenn es Euch gefällt, so rettet mich; mehr kann ich Euch nicht sagen.« »Wenn Euch jemand Unrecht tat, Schöne, so seid Ihr hier in guter Hut. Ich will Euch zu meinem Herrn führen, der König in diesem Lande ist, er ist jung und schön. Bei seiner Mutter wird es Euch wohlergehen und an nichts fehlen.« Der Profoß nahm die Jungfrau mit sich heim und führte sie am anderen Tage nach Dondieu, wo der König mit seiner Mutter weilte. Dieser saß gerade mit zweiunddreißig seiner Barone bei der Tafel, als der Profoß, die Jungfrau an der Hand haltend, eintrat. »Herr,« sagte er, »eine schöne Beute bringe ich Euch hier. Nehmt sie, die ein Schiff hertrieb, in Gnaden auf!« Der König wandte sich liebevoll an die Fremde und fragte sie nach ihrer Herkunft und ihrem Schicksal, sie aber sagte, sie wolle lieber sterben, als ihr Unglück erzählen. Da der König ihre Tränen sah, drang er nicht weiter in sie, sondern führte sie seiner Mutter zu. So blieb sie am Hofe und wurde bald ihrer Güte und Schönheit wegen allgemein beliebt; da man aber ihren Namen nicht wußte, nannte man sie die Manekine, das heißt Einhand. Je länger sie am Hofe verweilte, in desto höherem Maße kehrte ihre frühere Schönheit wieder, und je schöner sie wurde, desto mehr fühlte sich der junge König zu ihr hingezogen, bis die Bande der Liebe, die ihn fesselten, so stark wurden, daß er sie nicht mehr zerreißen konnte. Auch ihr Herz war von Liebe erfüllt, aber keiner von beiden kannte die Gefühle des anderen.

So verging ihnen ein ganzes Jahr unter schlaflosen Nächten, aber der Königinmutter, welche das schlechteste und listenreichste Weib von der Welt war, entging es nicht, daß ihre Herzen Liebe zueinander trugen und sie sprach zornig zu Manekine: »Es scheint mir, daß mein Sohn dich von Herzen liebt. Ich verbiete dir, wenn dir dein Leben lieb ist, ihm in Zukunft Gesellschaft zu leisten. Ich werde dich töten lassen, wenn er sich noch einmal mit dir sehen läßt.« Als am dritten Tage der König wieder in ihr Zimmer trat, zitterte die Jungfrau vor Furcht und weinte. Der König merkte wohl, daß sie in Kummer war und er fragte sie nach der Ursache ihres Grams. Da erzählte sie ihm das Verbot der bösen Alten. »Freundin,« erwiderte er, »beruhigt Euch! Ich will Euch vor ihr schützen und will Euch nicht länger verheimlichen, was ich bisher verborgen hielt. So wißt denn, mein süßes Lieb, daß Ihr mein Herz und mein Leben seid, all mein Gut, meine Gesundheit und meine Freude, daß ich heute und immerdar Euch gehöre.« Die Jungfrau verbarg ihre Freude über diese Worte und antwortete züchtig und bescheiden, sie sei zwar zu niedrig für seine Liebe, doch wage sie nicht, eine so große Ehre auszuschlagen. Darauf küßte sie der König wohl zwanzigmal auf den Mund, dann führte er sie in sein Schloß und ließ den Kaplan rufen; dieser aber legte ihre Hände ineinander und vermählte sie. Als die Mutter dies erfuhr, sprach sie: »Verflucht sei er, wenn er sie genommen hat, und jeder, der ihn noch als König achtet. Gar zu niedrig hat er gehandelt, daß er eine Landstreicherin, eine Hergelaufene geheiratet hat, eine Frau mit nur einer Hand!« Vierzehn Tage darauf wurde Pfingsten gefeiert, und an diesem Tage wollte der König seine junge Gemahlin krönen lassen. Zu dieser Feier berief er alle seine Vasallen aus Schottland, Cornwall und Irland und die Nachricht von seiner Vermählung verbreitete sich pfeilgeschwind im ganzen Lande. Als die Nachtigallen sangen und die Wiesen blühten, da füllten die Ritter, die Grafen und Barone mit ihren Damen die Zelte, und drei Tage lang wurde die Hochzeit gefeiert. Die Mutter des Königs aber reiste am nächsten Tage voll Grimm auf ihr Landgut, denn sie glühte vor Neid und Haß gegen die junge Königin.

Fünf Monate mochten seitdem vergangen sein, da sprach der König eines Tages zu seiner Gemahlin: »Ich bitte Euch, liebe Freundin, daß Ihr mir um meiner Ehre willen eine Reise gewährt: in Frankreich findet ein großes Turnier statt, dem ich beiwohnen muß.« »Diese Reise erschreckt mich,« erwiderte die Manekine, »denn ich bin allein in diesem Lande und Eure Mutter haßt mich.« »Ich werde Euch in solcher Hut lassen, daß Ihr weder meine Mutter noch sonst jemanden zu scheuen braucht.« Der König hatte einen Seneschall, der sein treuester Ratgeber war, diesen berief er nebst zwei anderen Rittern zu sich und sprach: »Ihr Herren, ich gehe auf kurze Zeit in ein anderes Land, um Ehre und Ruhm zu erwerben. Ihr werdet bei der Königin bleiben und sie mit eurem Leben schützen. Vor allem werdet ihr sie vor meiner Mutter behüten, damit diese ihr kein Leids antut.« Darauf nahm er Abschied von seiner Gattin und trat mit großem Gefolge die Fahrt an.

Die Königin, welche ihn bis zum Meere begleitet hatte, kehrte in Gesellschaft ihrer drei Hüter zurück. Es gab nichts mehr auf der Welt, was sie erfreuen konnte, seit sie den Anblick ihres Gemahls entbehren mußte, doch sie tröstete sich, so gut sie es vermochte, wegen der Leibesfrucht, die sie trug. Endlich gebar sie den schönsten Knaben, den die Natur jemals gebildet hat. Überall im Lande verbreitete sich die Kunde, daß die Königin entbunden habe und der Seneschall berief seine zwei Gefährten zu sich: »Ihr Herren,« sagte er, »wir müssen unverzüglich einen Boten an den König nach Frankreich schicken, der ihm die erfreuliche Nachricht überbringe.« Darauf nahm er ein Pergament, denn er verstand Romanisch und Latein, und begann zu schreiben, wie folgt: »Dem Könige von Schottland, seinem Herrn, dem Gott Freude und Ehre gebe, entbietet Gruß und Freundschaft der Seneschall, den er zurückließ, sein Land und sein Weib zu schirmen. Ich tue Euch zu wissen, daß meine Herrin mit einem Knaben niederkam, wie ihn schöner kein Mensch je ersah, und Eure Liebste ist bei guter Gesundheit. Das Kindlein aber heißt Johannes. Solches tun wir Euch zu wissen. Aber kehrt um Gottes willen, wenn es Euch gefällt, schleunigst zurück, denn meine Herrin hat große Sehnsucht nach Euch und vergeht schier vor Gram.« Darauf versiegelte er den Brief und übergab ihn einem Boten. Dieser machte sich auf den Weg und gelangte am zweiten Tage nach Evoluic, wo die Mutter des Königs sich aufhielt. Der Bote trat in ihr Haus, denn er wußte nichts von dem Hasse, den sie gegen die junge Königin trug. Die Alte begrüßte den Boten und fragte ihn, wohin er gehe. Als sie den Zweck seiner Reise erfahren hatte, ließ sie ihm einen starken Wein reichen, und er trank so lange, bis er seiner Sinne nicht mehr mächtig war. Da lachte die böse Alte, und während der Trunkene schlief, durchsuchte sie seine Taschen, bis sie die Kapsel mit dem Briefe fand, dann rief sie ihren Schreiber und ließ sich den Brief vorlesen. Der Inhalt mißfiel ihr und sie ließ einen anderen anfertigen, in welchem zu lesen war, daß der Seneschall seinem Herrn Gruß entbiete und daß er ihm voll Zorn und Schmerz unfrohe Nachricht zu wissen tue: »Herr, Eure Gattin hat entbunden, aber nie im Leben sah man ein so scheußliches Geschöpf wie das, welches sie unter ihrem Herzen trug. Es hat vier Füße, ist ganz behaart und seine Augen liegen tief im dicken Kopf. Sobald es geboren war, entschlüpfte es wie eine Schlange seinen Wärterinnen, und diese wagten kaum, es wieder zu ergreifen. Alle Eure Untertanen sind in Schrecken und Verwunderung. Nun tut uns Euren Willen kund, was mit einem solchen Erben geschehen soll.« Darauf versiegelte sie den Brief wieder, legte ihn in die Kapsel und trug diese wieder dahin, wo sie sie gefunden hatte. Als der Bote ausgeschlafen hatte, machte er sich wieder auf den Weg, und die böse Alte befahl ihm, auf dem Rückwege wieder bei ihr vorzusprechen.

Der Bote gelangte nach Frankreich, suchte seinen Herrn auf und übergab ihm den Brief. Der König brach das Siegel auf und fast schwanden ihm die Sinne, als er den Inhalt des Schreibens las. Damit die Leute seine Verwirrung nicht bemerken sollten, zog er sich in sein Gemach zurück und las den Brief immer wieder von neuem. Er raufte seine Haare, zerriß sein Gewand, und Tränen entströmten seinen Augen. Als er sich ein wenig beruhigt und mit seinen Begleitern Rats gepflogen hatte, nahm er Pergament und Tinte und schrieb: »Der König von Schottland gebietet den dreien, denen er seine Geliebte in Hut gab, daß diese in ihrem Wochenbette gut gepflegt werde. Wenn ihnen ihr Leben lieb ist, sollen sie seine teure Gattin und das, was sie geboren hat, so wert halten wie ihren eignen Leib. Zu Fasten wird der König zurückkehren und dann seinen weiteren Willen kundtun.« Darauf versiegelte er den Brief und übergab ihn dem Boten, welcher sogleich den Rückweg antrat.

Als die böse Alte ihn kommen sah, war sie sehr froh; sie erwiderte freundlich seinen Gruß und fragte ihn nach dem Wohlergehen des Königs. Darauf ließ sie ihm wieder starken Wein auftragen, und er trank so lange, bis er vor Trunkenheit in Schlaf verfiel. Als die dunkle Nacht gekommen war, schlich sich die Alte in die Kammer des Boten, nahm ihm den Brief und ließ ihn sich von ihrem Schreiber vorlesen. Als sie hörte, daß der König seine Heimkehr zu Fasten in Aussicht stellte und daß bis dahin die Manekine gut gepflegt, bedient und geehrt werden sollte und ihre Leibesfrucht mit ihr, da wurde sie mißmutig und ließ sogleich ein anderes Schreiben aufsetzen. Der Schreiber mußte antworten, daß der König seinem Seneschall gebiete, er solle unverzüglich die Königin zum Feuertode führen, sobald sie ihr Wochenbett verlassen habe, und mit ihr das, was sie geboren habe. Denn er habe wenig erfreuliche Neuigkeiten über die Manekine erfahren, wohl wisse er, warum sie nur eine Hand habe und nicht umsonst sei sie so verstümmelt. »Verbrennt sie ohne Zaudern, wenn Euch Euer Leben lieb ist!« so schloß das Schreiben. Als es vollendet war, legte der Schreiber das Wachs wieder auf, ohne daß das Siegel verletzt wurde und verschloß den Brief in die Kapsel des schlafenden Boten.

Nach dreimonatlicher Abwesenheit kehrte der Bote nach Dondieu zurück und überreichte dem Seneschall das Schreiben. Die drei Beschützer erkannten das Siegel des Königs und erbrachen den Brief, als sie ihn aber gelesen hatten, da verwunderten sie sich sehr und weinten und seufzten. Dann berieten sich die drei Getreuen untereinander und sprachen: »Den Willen unseres Herrn müssen wir erfüllen, wenn wir auch Kummer und Mitleid im Herzen tragen.« Die Nachricht, daß der König befohlen habe, sein Weib und sein Kind zu verbrennen, verbreitete sich bald im Lande und alles Volk verwunderte sich und fluchte dem König. Der Königin aber verheimlichte man den Befehl, bis sie ihr Wochenbett, das einen vollen Monat dauerte, verlassen hatte. Eines Tages rief sie den Seneschall zu sich und sprach: »Seneschall, mein Herz ist gramerfüllt über das lange Ausbleiben meines geliebten Herrn. Ist der Bote noch nicht zurück? Wisset, daß mein Herz schlimme Nachricht ahnt. Ich werde nie mehr froh sein, bis ich meinen Herrn wiedersehe. Oh, sagt es mir, wenn Ihr etwas von ihm wißt!« Der Seneschall antwortete mit Tränen in den Augen: »Oh, liebe Frau, es ist so weit gekommen, daß der König Euch haßt, wenn ich auch nicht weiß, warum. Lange haben wir es Euch verheimlicht, aber einmal müßt Ihr es erfahren. Unser Herr hat uns wissen lassen, daß wir, wenn uns unser Leben lieb ist, Euch und Euren Knaben auf dem Scheiterhaufen verbrennen müssen. Da er zu den Fasten zurückkehrt und Euch dann nicht mehr lebend vorfinden will, so muß innerhalb dreier Tage sein Befehl vollzogen sein.« Da erschrak die junge Königin und ihr Herz krampfte sich zusammen. »Was habe ich getan, großer Gott,« klagte sie, »daß ich so harten Tod erleiden soll? Womit hat es mein Kind verdient, daß es sterben muß?« Dann fiel sie vor dem Seneschall auf die Knie und bat ihn, ihr Kind zu schonen, wenn er auch mit ihr täte, was er wolle. Der Seneschall versprach ihr, sich mit seinen beiden Gefährten zu beraten. Da besprachen sie sich miteinander, und der Seneschall riet, sie wollten die Manekine so ziehen lassen, wie sie gekommen sei, auf einem mast- und segellosen Schiff, und sie der Hut Gottes anheimstellen. Ferner wollten sie Bilder aus Holz schnitzen lassen, die der Königin und ihrem Söhnlein glichen und diese vor allem Volke verbrennen, damit sie sich vor Strafe bewahrten. Als diese Vorbereitungen beendet waren, hießen sie die Königin mit ihrem Kind auf einen Zelter steigen und führten sie in die Verbannung. Am dritten Tage kamen sie an das Ufer des Meeres, wo das Schiff bereit stand. »Lieber Herr,« sagte die Königin, »ich danke Euch, daß Ihr mich vor dem Feuer bewahrt habt. Ich bitte Euch, grüßt meinen Herrn, den König, und sagt ihm, daß ich ihn immer noch über alles auf der Welt liebe. Gott vergebe ihm seine Schuld und schenke ihm Ehre und Glück. Sehet, die Liebe der Menschen ist eitel, so verleihe mir Gott seine Huld, die unwandelbar ist und ohne Haß.« Der Seneschall führte sie weinend in das Schiff, dann befahl er sie Gott und der heiligen Jungfrau und stieß den Nachen ins Meer.

Am neunten Tage landete die Barke am Ufer des Tiber. Ein Senator nahm die Manekine mit ihrem Kinde auf. Als der König heimkehrte, erfuhr er den Betrug und ließ seine Mutter lebendig einmauern, dann machte er sich auf die Suche nach seiner Frau. Nach siebenjähriger Wanderung gelangte er nach Rom und der Trauring führte das Wiedererkennen zwischen den beiden Gatten herbei. In Rom fand sich auch Joiens Vater ein, welcher, von Gewissensbissen gequält, beim Papst Vergebung für seine Sünden suchen wollte. Schließlich fand die Königin durch ein Wunder in einer Quelle ihre abgehauene Hand, welche auf das Gebet des heiligen Vaters sich wieder mit ihrem Arm vereinigte.

Quelle: Ernst Tegethoff - Französische Volksmärchen 

Samstag, 9. März 2024

Ein Märchen zum Wochenende

Der grüne Ritter

Und ein andermal war in einem andern Königreiche ein anderer König und eine andere Königin. Sie hatten nur ein einziges Kind und das war eine kleine Prinzessin, und die war noch ganz klein, als ihre Mutter zum Sterben krank wurde. Als die Königin nun merkte, daß sie nur noch kurze Zeit zum Leben übrig habe, rief sie den König und sagte: »Mein lieber Herr und Gatte! Damit ich ruhig sterben kann, mußt du mir ein Ding versprechen, und das ist, daß du unserm Kinde nie etwas abschlägst, worum es dich bittet, wenn dir die Erfüllung der Bitte irgend möglich ist.« Das versprach ihr der König auch, und bald darauf starb sie.

Der König trauerte im innersten Herzen um sie und vermißte sie mit Schmerzen; und nur das Töchterchen war sein einziger Trost. Die Prinzessin wuchs daheim bei ihm auf und die Erfüllung der Versprechens, das er der Königin gemacht, fiel ihm ungemein leicht: er schlug dem Kinde nie eine Bitte ab. Dadurch wurde es zwar ein wenig verwöhnt und verzärtelt, aber sonst war es doch ein recht gutes und liebes Kind, dem nur die Mutter bei der Erziehung fehlte, weshalb es auch oft so eigenthümlich und trübsinnig war. Die Prinzessin hatte keine Lust zu Spiel und Scherzen wie andere Kinder ihres Alters; aber allein im Wald und im Garten zu wandeln, das liebte sie, und Blumen und Vögel wie überhaupt alle Arten von Thieren liebte sie ebenfalls und außerdem las sie sowohl Gedichte als Geschichten sehr gerne.

In der Nähe wohnte da die Witwe eines Grafen, die eine Tochter hatte, welche ein wenig älter als die Prinzessin war. Das war aber kein gutes, sondern ein eitles, selbstsüchtiges und hartherziges Mädchen. Aber sie war klug, wie auch ihre Mutter, und konnte sich gut verstellen, wenn sie dabei nur ihre Rechnung fand. Die Gräfin-Witwe wußte es so einzurichten, daß ihre Tochter oft und viel mit der kleinen Prinzessin zusammenkam und Mutter und Tochter gaben sich alle erdenkliche Mühe, ihr zu gefallen. Sie thaten alles, was sie nur konnten, um der Prinzessin ein Vergnügen zu bereiten und sie aufzumuntern und bald konnte diese eine der beiden gar nicht mehr entbehren.

Und das war es, was die Gräfin-Witwe wollte; und als sie sah, daß sie es wirklich dahin gebracht, ließ sie eines Tages der Prinzessin von ihrer Tochter unter vielen Thränen erzählen, daß sie nun von einander scheiden müßten, weil sie und ihre Mutter weit fort in ein anderes Land zögen. Da lief die kleine Prinzessin sogleich zur Gräfin-Witwe und sagte, daß sie mit ihrer Tochter nicht fortreisen dürfte, weil sie ohne sie nicht sein könnte und sich zu Tode grämen würde, wenn sie sie doch verließen. Da that die Gräfin-Witwe als wäre sie darüber sehr gerührt und sagte zur Prinzessin, daß es nur ein Mittel gäbe, sie im Lande festzuhalten und das wäre, – daß sie der König heiratete. Dann könnten beide, Mutter und Tochter, immer bei ihr bleiben und sie wußten gar nicht, wie schön sie ihr die Zukunft ausmalen sollten und wie gut sie es dann haben würde, wenn dies geschähe.

Da ging die Prinzessin zu dem König ihrem Vater hinauf und bettelte und bat ihn, daß er sich mit der Gräfin-Witwe verheiraten möchte, weil diese sonst fortreisen und sie die einzige Freundin, die sie hätte, verlieren würde und sich deshalb zu Tode grämen müßte. »Du würdest es wohl bereuen, wenn ich es thäte,« sagte der König, »und ich mit dir, denn ich habe gar keine Lust zu heiraten und am allerwenigsten ein Vertrauen zu der gleißnerischen Gräfin und ihrer gleißnerischen Tochter.« Aber die Prinzessin hörte nicht auf zu weinen und zu bitten, bis er ihr endlich ihre Bitte zu erfüllen versprach. Und dann freite er um die Gräfin-Witwe, die sogleich ihr Jawort gab. Es wurde Hochzeit gehalten und die Gräfin war jetzt Königin und der jungen Prinzessin Stiefmutter geworden.

Damit war aber auch ihre Liebenswürdigkeit augenblicklich zu Ende. Sie that nichts anderes mehr, als ihre Stieftochter quälen, plagen und drillen, während sie es ihrer eigenen Tochter an gar nichts fehlen ließ. Die Tochter kümmerte sich jetzt auch nicht mehr im geringsten um die Prinzessin und that ihr etwas Böses an, wo sie nur konnte.

Dem König, der dies alles leicht bemerken konnte, ging es sehr zu Herzen, denn er liebte seine Tochter innig, daher sagte er auch einmal zu ihr: »Ach ja, mein armes Töchterchen, dir geht es jetzt wahrlich nicht gut und du wirst das, worum du mich so sehr gebeten, gewiß schon oft bereut haben. Aber jetzt ist es zu spät und ich habe es dir auch gleich vorausgesagt. Ich hielt es nun für das Beste, wenn du von uns fort und hinaus auf die Insel in mein Sommerschloß zögest, dort hättest du doch Ruhe und Frieden.« Die Prinzessin bedankte sich hierfür bei ihrem Vater, und so hart es ihr auch ankam, sich von ihrem Vater zu trennen, so war es doch einmal unbedingt nothwendig, denn bei dieser bösen Stiefmutter und boshaften Stiefschwester konnte sie es durchaus nicht mehr aufhalten. Und so zog sie denn mit ein paar Hofdamen hinaus auf die Insel in das Sommerschloß und ihr Vater kam zu Zeiten hie und da hinaus zu ihr und besuchte sie, und er mußte es sich auch selbst gestehen, daß sie es hier, seit sie die böse Stiefmutter bekommen, weitaus besser habe, als daheim.

So wuchs sie da draußen zu einer lieblichen Jungfrau empor, rein und unschuldig, aufgeweckt und nachdenklich, lieb und gut sowohl gegen Menschen, als gegen Thiere. Aber wirklich von Herzen froh war sie niemals, sie war schwermüthig und empfand immer eine unstillbare Sehnsucht nach etwas Besserem, als sie hier auf dieser Welt gefunden. Da kam eines Tags ihr Vater zu ihr hinaus, um ihr »Lebewohl« zu sagen, weil er für längere Zeit verreisen mußte, und zwar zu einer großen Königsversammlung, zu der sich viele Könige, Fürsten, Grafen und Ritter aus vielen Reichen einfanden.

Der König wollte gerne seine Tochter aufheitern, darum sagte er im Scherz zu ihr, daß er sich jetzt recht genau unter der Rittern und Königssöhnen, die alle zur Versammlung kämen, umschauen werde, ob keiner unter ihnen sei, der gut genug und würdig wäre, ihr Bräutigam zu werden, denn sie war ja jetzt ein sehr hübsches, erwachsenes Mädchen, das schon an einen Freier denken durfte. Da sagte die Prinzessin darauf: »Ich danke dir, Vater! wenn du den grünen Ritter siehst, dann kannst du ihn grüßen und ihm sagen, wie sehr ich mich nach ihm sehne; denn nur er und kein anderer kann mich von meinen Qualen erlösen.«

Dabei dachte die Prinzessin an den Kirchhof mit den vielen grünen Grabhügeln, denn sie sehnte sich ja nur nach dem Sterben. Aber das verstand der König nicht, er wunderte sich nur über den wunderlichen Gruß an einen fremden Ritter, dessen Namen er noch nie gehört; aber er war ja gewöhnt, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, deshalb sagte er nur, daß er nicht vergessen wolle den Gruß auszurichten, sobald er nur mit dem Ritter zusammentreffen werde. Damit nahm er zärtlich Abschied von seiner Tochter und reiste zur Königsversammlung.

Dort waren viele junge Ritter, Grafensöhne und Prinzen; aber kein einziger war darunter, den man den »grünen Ritter« hieß, so daß der König den Gruß von seiner Tochter nicht ausrichten konnte. Da begab er sich endlich auf den Heimweg und er hatte eine weite Reise über hohe Berge, breite flüsse und durch dichte Wälder zu machen. Und als der König eines Tags mit seinem Gefolge durch solch‘ einen dichten, großen Wald ritt, kamen sie zu einem weiten, offenen Platz im Walde, auf welchem eine große Schaar von Wildschweinen in tausendfacher Anzahl herumlief, aber es waren doch keine ganz wilden Thiere, sie waren gezähmt und wurden von einem Hirten in Jägertracht bewacht, welcher, umgeben von seinen Hunden auf einem Hügel saß und eine Pfeife hatte, auf deren Ruf alle Thiere horchen und gehorchen mußten.

Der König wunderte sich über diese große Herde von gezähmten Wildschweinen und ließ den Hirten fragen, wem und zu wessen Herrschaft sie gehörte. Sie gehört dem »grünen Ritter«, antwortete der Hirt. Da spitzte der König die Ohren und es fiel ihm ein, um was ihn seine Tochter gebeten. Er ritt nun selbst zu dem Hirten hin und fragte, ob der grüne Ritter hier in der Nähe wohnte. »Nein,« antwortete er, »er wohnt weit von hier, gegen Osten. Wenn Ihr aber in dieser Richtung fort reitet, könnt Ihr seine andern Hirten antreffen und die werden Euch den Weg zu ihm schon zeigen.«

Da ritt der König mit seinem Gefolge gegen Osten weiter und sie ritten drei Tage durch einen großen Wald, bis sie wieder zu einer großen, rings vom Wald umgrenzten Ebene kamen, auf der große Herden von Elenthieren und Wildochsen weideten, die von einem Hirten in Jägertracht bewacht und von ihm mit einer Pfeife gehütet und gelenkt wurden. Er saß auf einem Hügel, von seinen Hunden umgeben, und der König ritt zu ihm hin und fragte ihn, wessen Eigenthum alle diese Herden seien. »Sie gehören alle dem ‚grünen Ritter‘,« erwiderte er. »Wo wohnt er denn?« fragte der König darauf. »Weiter gegen Osten,« antwortete der Hirt, »reitet nur gerade aus, so kommt Ihr hin.«

Da ritt der König mit seinem Gefolge wieder weiter gerade aus gegen Osten; und sie ritten drei Tage lang durch einen großen Wald, bis sie zu einer offenen, grünen Ebene kamen, auf welcher ungeheure Herden von Hirschen und Hindinnen, Rehen und Hasen weideten; und inmitten der Ebene saß der Hirt in Jägertracht, umgeben von seinen Hunden, auf einem Hügel und alle Thiere horchten und gehorchten dem Rufe seiner Pfeife. Zu dem ritten sie hin und fragten, wer der Herr über alle diese Wälder und Thiere wäre. »Das ist der grüne Ritter,« antwortete der Hirt, »und Ihr habt nicht mehr besonders weit zu ihm, nur noch eine Tagereise durch den Wald gegen Osten.«

Da ritt der König noch einen ganzen Tag auf grünen Wegen durch lauter grüne Wälder. Dann kamen sie zu einem großen Schloß, welches auch ganz grün war, denn sowohl Mauern als Dächer waren mit Schlingpflanzen bedeckt. Als sie vor das Schloß ritten, kam gleich eine Menge von Dienern und Stallknechten daher, die alle wie Jäger vom Kopf bis zum Fuß in Grün gekleidet waren, die sie empfingen und ins Schloß geleiteten und ihrem Herrn meldeten, daß der König von dem und dem Königreiche mit seinem Gefolge da sei, um ihm einen Gruß auszurichten. Und da kam dann der Herr des Schlosses selbst, das war der grüne Ritter, ein großer und hübscher junger Mann, der ebenfalls ganz grün wie ein Jäger gekleidet war. Er hieß seine Gäste willkommen und lud sie zu seiner Tafel ein und sie wurden fürstlich bewirthet.

Da sagte der König: »Du wohnst sehr abseits und weit erstreckt sich deine Herrschaft und ich mußte einen großen Umweg machen, um den Wunsch meiner Tochter erfüllen zu können. Als ich zur Königsversammlung ritt, bat sie mich nämlich, den grünen Ritter zu grüßen und ihm zu sagen, wie sehr sie sich nach ihm sehne, denn nur er und kein anderer könne sie von ihren Qualen erlösen. – Es ist dies zwar ein sehr sonderbarer Auftrag für mich gewesen,« fuhr der König fort, »aber meine Tochter ist gescheidt und gut und viel gescheidter und besser als ich; und außerdem versprach ich ihrer Mutter am Todtenbett, daß ich unserm einzigen Kinde nie eine Bitte abschlagen werde; und so erfüllte ich ihr auch diese Bitte und kam her zu dir, um mich dieses meines Auftrags zu entledigen.«

Darauf sagte der grüne Ritter: »Deine Tochter ist schwermüthig und hat gewiß nicht an mich gedacht, als sie dir den Gruß auftrug, denn von mir kann sie ja noch gar nie reden gehört haben; sie hat wohl nur an den Kirchhof mit den vielen grünen Grabhügeln gedacht und dort hofft sie allein Ruhe zu finden. – Aber vielleicht kann doch auch ich ihre Qualen lindern. Nimm dieses kleine Buch und bitte sie, wenn sie trüben Sinnes ist, in den Abendstunden ihr Fenster gegen Osten zu öffnen und in dem Buch zu lesen. Es wird ihren Sinn erleichtern.«

Und damit gab er dem König ein kleines grünes Buch; der konnte aber gar nichts darin lesen, denn er kannte die Buchstaben, mit denen es geschrieben war, nicht; aber er nahm es zu sich und dankte dem grünen Ritter für die Güte und die gastfreundliche Aufnahme. Es that ihm sehr leid, daß er sowohl sich, als dem grünen Ritter so viele Ungelegenheiten bereitet, da die Prinzessin diesen gar nicht gemeint hatte.

Sie mußten hier über Nacht bleiben und der grüne Ritter hätte sie noch länger behalten, aber der König sagte ihm am nächsten Morgen »Lebewohl!« und ritt mit seinem Gefolge denselben Weg, den er gekommen: sieben geschlagene Tage durch des Ritters grüne Wälder, bis sie wieder miteinander zu seiner Wildschweinherde kamen und von da aus zogen sie geradenwegs heim.

Gleich das erste mal, als der König wieder auf die Insel hinausfuhr, brachte er der Prinzessin das kleine grüne Buch mit und sie war sehr verwundert darüber, als ihr der Vater von dem grünen Ritter erzählte, und ihr seine Grüße und das Buch brachte, denn sie hatte ja nicht im geringsten an einen wirklichen, lebendigen Ritter gedacht. Aber noch am selben Abend, als ihr Vater fort war, öffnete sie ihr gegen Osten gelegenes Fenster, schlug das Buch auf und begann darin zu lesen. Sie kannte sowohl die Buchstaben, als auch die Sprache, wiewohl es nicht ihre Muttersprache war; sie fing also zu lesen an: es waren lauter Gedichte und das erste in dem Buch begann folgendermaßen:

»Der Wind hat sich am Meer erhoben,

Und saust durch alle Wälder droben,

Indes die Welt rings schlafumwoben;

– Wer will dem Ritter sich verloben?«

Als sie die erste Zeile las, hörte sie deutlich, wie der Wind über das Wasser hinbrauste und bei der zweiten rauschte es in allen Bäumen, dessen Kronen von dem Lufthauch hin- und herbewegt wurden, bei der dritten nickten ihre Hofdamen und schliefen zugleicherzeit ein, und alles in und außer dem Schlosse fiel in einen tiefen Schlummer. Und als sie die vierte Zeile las, kam der grüne Ritter selbst als Vogel durchs Fenster zu ihr geflogen.

Darauf nahm er seine menschliche Gestalt an, grüßte sie freundlich und bat sie, nicht vor ihm zu erschrecken. Er sei der grüne Ritter, welchen der König besucht und von dem er das Buch bekommen hätte; und sie selbst habe ihn mit dem Lesen herbeigerufen. Sie könne frei über alles, was ihr Herz bedrücke, mit ihm sprechen und dies würde ihr auch das Gemüth erleichtern, sagte er. Und die Prinzessin fühlte gleich ein so großes Zutrauen zu ihm, daß sie sich ihm gegenüber setzte und ihr Herz ausschüttete; und er redete ihr so milde und so klar und verständnißinnig zu, daß sie sich dabei unendlich wohl und glücklich fühlte, wie noch nie zuvor.

Dann sagte der grüne Ritter zu ihr, daß es jedesmal, so oft sie das Buch aufschlagen und jene Verse lesen werde, gerade wie am heutigen Abend gehen würde: nämlich, daß alle Menschen auf der Insel, die Prinzessin ausgenommen, in tiefen Schlaf fallen müßten, dann käme er sogleich zu ihr, wiewohl er gar weit entfernt von ihr wohnte. Und dann sagte er ihr auch noch, daß er immer sehr gerne zu ihr kommen wollte, wenn sie ihn nur zu sehen wünschte. Jetzt aber möge sie das Buch wieder zumachen und sich für heute zur Ruhe begeben.

Und im selben Augenblick als sie das Buch schloß, war der grüne Ritter verschwunden und dann erwachten ihre Hofdamen und alle Menschen in und außer dem Schlosse wieder. Darauf ging sie ins Bett und träumte von dem Ritter und von allem, was er zu ihr gesagt hatte. Als sie am folgenden Morgen aufwachte, war ihr sehr leicht ums Herz und sie war so froh, wie sie noch niemand vorher gesehen, und jetzt ging es von Tag zu Tag besser mit ihr. Sie bekam rothe Wangen, welche sie auch früher nie gehabt hatte; und sie lachte und scherzte so, daß sich alle über diese Veränderung, die mit ihr vorgegangen, wundern mußten.

Der König sagte, daß ihr nach des grünen Ritters Rath die Abendluft und das kleine Buch wirklich recht gut gethan hätten; und sie sagte dasselbe. Was aber niemand wußte, das war das, daß die Prinzessin jeden Abend, sobald sie in ihrem Buch las, Besuch von dem grünen Ritter bekam und dann gar viel mit ihm plauderte. Als er das dritte mal bei ihr war, gab er ihr einen goldenen Ring und verlobte sich mit ihr. Aber erst wenn drei Monate verflossen wären, sagte er, könne er zu ihrem Vater gehen und um ihre Hand anhalten und dann werde er sie auch sogleich als seine liebe Frau heimführen.

Inzwischen erfuhr auch der Prinzessin Stiefmutter, wie sie draußen auf der Insel gedieh und herrlich aufgeblüht sei und daß sie jetzt so gesund und froh wäre, wie niemals zuvor. Darüber wunderte sich die Stiefmutter, noch mehr aber ärgerte sie sich, denn sie hatte ja immer geglaubt, daß die Prinzessin an der Auszehrung leide, und daher wartete sie nur darauf, daß diese recht bald sterben sollte, damit ihre eigene Tochter Prinzessin und Erbin des Reiches werden könnte. Dann, glaubte sie, würde sich schon ein König oder ein Prinz finden, welcher sie heiraten möchte.

Sie schickte nun eines Tages ihr Kammerfräulein auf die Insel hinüber, um der Prinzessin einen Besuch abzustatten, denn sie sollte schauen, daß sie es herausbekomme und ausspioniren, was der Grund dieser merkwürdigen Veränderung sei. Am nächsten Tag kam das Kammerfräulein zurück und meldete der Königin, daß der Prinzessin das so gesund sein solle, daß sie sich allabendlich an das offene Fenster setze und in einem Buch lese, welches sie von einem fremden Prinzen zum Geschenk bekommen habe. Sie selbst sei aber von der Abendluft schläfrig geworden und in einen tiefen Schlaf gefallen, und so ginge es jeden Abend auch den Hofdamen, welche sagten, daß sie davon rein noch die Gicht bekommen müßten, während die Prinzessin immer frischer, fröhlicher und blühender werde, als sie je gewesen. Da schickte die Königin am andern Tag ihre Tochter hinüber. »Passe auf alles, besonders aber auf die Prinzessin gut auf«, sagte die Königin. »Mit dem Fenster muß es ganz bestimmt eine eigene Bewandtniß haben. Man sollte doch nicht glauben, daß da eine Mannsperson hineinkommt.« Die Tochter kam am darauffolgenden Tag wieder zurück und konnte auch nichts anderes erzählen, als das Kammerfräulein, denn sie war ebenfalls in Schlaf gefallen, als sich die Prinzessin ans Fenster setzte und zu lesen anfing.

Da mußte die Stiefmutter am dritten Tag selbst hinüber, um bei der Prinzessin nachzuschauen. Und dort sprach sie so zuckersüß mit ihr, welche Freude sie darüber empfinde, sie so froh und munter zu sehen. Und sie fragte sie aus, so gut sie nur konnte, aber es war nichts aus ihr herauszubekommen. Dann ging sie zu dem nach Osten liegenden Fenster hin, an welchem die Prinzessin abends zu sitzen und zu lesen pflegte und schaute es von außen an und schaute es auch von innen an, aber sie konnte durchaus nichts besonderes daran finden oder entdecken. Es lag sehr hoch über der Erde, aber es wuchsen grüne Schlingflanzen bis hinauf, so daß doch vielleicht jemand ans Fenster kommen konnte. Daher nahm die Königin eine kleine Scheere, bestrich diese mit einem scharfen Gift, das sie bei sich trug und befestigte die Scheere dann im Fensterrahmen, die Spitzen nach oben gerichtet, aber so, daß es niemand sah und auch niemand sehen konnte. Als es nun Abend wurde und die Prinzessin sich ans Fenster setzte, das kleine grüne Buch in die Hand nahm und aufschlug, sagte die Königin wohl zu sich, daß sie sich jetzt recht zusammen nehmen wollte, um ja nicht wie die andern einzuschlafen, aber es half ihr nicht im geringsten. Als die Prinzessin das Gedicht in fremder Sprache las, da fielen der Königin die Augendeckel zu und sie schlief wie ein Stein und mit ihr die Hofdamen und alle, die in und außer dem Schlosse sich befanden.

Und im gleichen Augenblick kam der grüne Ritter in seiner Vogelgestalt zum Fenster herein, ungesehen und ungehört von allen, ausgenommen von der Prinzessin. Sie sprachen zusammen davon, daß jetzt nur noch eine Woche zu den drei Monaten fehle und daß er dann am hellichten Tage an ihres Vater Hof gehen und um sie freien werde. Dann wolle er sie heimführen und sie würde allzeit bei ihm sein in dem grünen Schloß, das mitten in dem großen Waldreich, über das er herrschte, lag und von dem er ihr früher schon so viel erzählt hatte. Es war zwar weit, weit entfernt von hier, aber er flog als Vogel doch den ganzen Weg jeden Abend hieher und wieder zurück, denn er flog so schnell, daß er fast gar keine Zeit dazu verbrauchte.

Dann nahm der grüne Ritter wieder zärtlichst Abschied von seiner Braut, nahm seine Vogelgestalt an und flog zum Fenster hinaus. Aber er flog so niedrig durch dasselbe, daß er an die Scheere, die die Königin im Fensterrahmen befestigt hatte, anstreifte und sich das eine Bein daran ritzte. Er stieß einen Schrei aus, war aber im selben Augenblick auch schon verschwunden. Die Prinzessin, die ihn gehört hatte, sprang auf, dabei fiel ihr das Buch aus der Hand, auf den Boden und schloß sich zufällig und sie stieß ebenfalls einen gellenden Schrei aus, der die Königin und alle Hofdamen aufweckte. Die umringten sie alle und fragten sie, was ihr geschehen sei. Sie antwortete, es sei nichts gewesen, sie wäre nur vielleicht ein wenig eingeschlummert und von einem schweren Traum erschreckt worden. Aber sie wurde von der Stunde an krank und fieberte, so daß sie sogleich zu Bett gebracht werden mußte. Die Königin schlich sich sogleich zum Fenster, um ihr Scheerchen wegzunehmen, sie sah, daß Blut daran klebte, steckte es dann in die dazu gehörige kleine Scheide, verbarg es unter ihrer Schürze und nahm es mit sich nach Hause.

Die Prinzessin konnte aber in der Nacht nicht schlafen und war auch am nächsten Tag noch ganz elend, aber gegen Abend stand sie doch auf, um, wie sie sagte, frische Luft zu schöpfen. Und so setzte sie sich an das offene, ostwärts gelegene Fenster und schlug das Buch auf und las wie gewöhnlich:

»Der Wind hat sich am Meer erhoben,

Und saust durch alle Wälder droben,

Indes die Welt rings schlafumwoben;

– Wer will dem Ritter sich verloben?«

Und der Wind brauste und die Bäume rauschten und bewegten sich und alles mußte einschlafen, sie selbst ausgenommen, – aber es kam kein Ritter.

So ging es dann einen Tag wie den andern. So sehr sie auch wartete und sich sehnte und so viel sie las und sang – es kam kein grüner Ritter. Da wurden ihre rothen Wangen wieder bleich und ihr froher Sinn wurde wieder trübe; und sie siechte hin, zum Schmerze ihres Vaters, aber zur heimlichen Freude ihrer bösen Stiefmutter.

Eines Tags wankte die Prinzessin allein durch den Schloßgarten auf der Insel und setzte sich auf eine Bank unter einem hohen Baum und da blieb sie lange in traurigen und trüben Gedanken sitzen; und währenddem kam zuerst ein Rabe und dann noch einer geflogen. Beide setzten sich auf einen Baumast über dem Haupte der Prinzessin und schwätzten miteinander; und diese verstand alles, was sie miteinander sprachen. Der eine sagte: »Es ist doch wirklich ein Jammer, so mitansehen zu müssen, wie unsere Prinzessin hier herumgeht und sich um ihren Liebsten zu Tode grämt.« – »Ja,« erwiderte der andere, »und sie wäre doch die einzige, die ihm, der von der Scheere der Königin vergiftet, krank liegt, helfen könnte.« – »Wie denn?« fragte der erste. – »Ja,« antwortete der Gefragte, »Gift muß gegen Gift helfen! und drüben im Hofe des Königs, westlich von der Scheune liegt in einer Grube unter einem Stein eine Natter mit neun Jungen. Könnte die Prinzessin diese bekommen und sie dann ihrem Liebsten drei Tage hintereinander in sein Essen kochen, und zwar jeden Tag drei Junge, dann könnte er wieder genesen. Aber sonst giebt es keinen Rath mehr für ihn.«

Sobald die Nacht kam, schlich sich die Prinzessin zum Schlosse hinaus und zum Strand hinunter. Dort fand sie ein kleines Boot und ruderte in demselben an den Königshof hinüber. Sie fand auch den Stein in der Grube und wälzte ihn hinweg, so schwer er auch war, und fing die neun jungen Nattern glücklich zusammen, die darunter lagen, band sie in ihre Schürze und wanderte fort auf dem Weg, den, wie sie wußte, ihr Vater gezogen, als er von der Königsversammlung kam.

So wanderte sie zu Fuße Wochen und Monate lang, über hohe Berge und durch dichte Wälder und endlich kam sie zu demselben Schweinehirten in Jägertracht, den ihr Vater damals getroffen. Er wußte, wie schwer krank sein Herr, der grüne Ritter, in seinem Heim darniederlag und zeigte ihr den Weg ostwärts durch den tiefen Wald bis zu dem zweiten Hirten, und von dem kam sie zu dem dritten, und dann endlich zu dem grünen Schloß, in dem der Ritter wohnte und krank lag von dem Gifte, das er im Blute hatte, so daß er niemanden kannte und mit niemandem sprach und sich nur in Angst und Schmerzen im Bette wälzte. Man hatte zwar aus allen Weltenden Aerzte zu ihm gerufen, aber keiner konnte ihm auch nur die geringste Linderung verschaffen.

Die Prinzessin ging in die Küche und fragte, ob sie hier nicht in Dienst treten könnte; sie wollte abspülen und bei allem mithelfen und den andern an die Hand gehen, überhaupt alles, was man von ihr verlangte, thun, wenn sie nur die Erlaubniß bekäme, dableiben zu dürfen. Das erlaubte ihr der Koch; und weil sie gar so anstellig, flink und willig zu jeder Arbeit war, konnte sie der Koch bald recht gut leiden. Ja, er hatte sogar schon ein wenig ein Auge auf sie geworfen, deshalb gewährte er ihr gerne, wenn sie ihn um etwas bat.

Da sagte sie eines Tags zum Koch: »Heute mußt du die Suppe für den kranken Herrn von mir zubereiten lassen. Ich weiß ganz gut, wie sie gekocht werden muß; aber ich will allein kochen dürfen und niemand darf mir in den Topf gucken.« Er erlaubte ihr es und so kochte sie denn drei von den jungen Nattern in die Suppe hinein, die zu dem grünen Ritter hinaufgebracht wurde. Und als er diese Suppe gegessen hatte, legte sich das Fieber so weit, daß er doch seine Leute wieder erkannte und vernünftig sprechen konnte; da ließ er den Koch zu sich rufen und sagte, daß ihm die heutige Suppe so gut gethan; ob er sie gekocht habe? »Ja,« antwortete der Koch, denn es dürfe niemand andres als er selbst die Speisen für den Herrn zubereiten. Da bat ihn der grüne Ritter, ja dafür zu sorgen, daß er morgen von derselben Suppe bekomme.

Nun mußte der Koch selbst die Prinzessin bitten, am nächsten Tag die Suppe für den Herrn zu bereiten; und sie kochte dann abermals drei junge Nattern hinein; davon wurde der grüne Ritter so wohl, daß er wieder von seinem Bett aufstehen konnte. Und alle Aerzte wunderten sich und konnten durchaus nicht begreifen, wie das zuging; aber sie sagten, daß jetzt endlich die Mittel, die sie ihm seit einem Monat eingegeben, wirkten; und sie glaubten ganz gewiß, daß ihr Patient jetzt doch noch davon komme.

Am dritten Tage mußte das Küchenmädchen wieder die Suppe bereiten und sie kochte die drei letzten jungen Nattern hinein. Und sobald sie der Kranke gespeist hatte, fühlte er sich vollkommen frisch und gesund. Er sprang auf und ging munter umher und wollte nun selbst in die Küche gehen, um dem Koch zu danken: denn der sei doch sein bester Doctor gewesen, sagte er.

Als er in die Küche hinunter kam, war der Koch gerade nicht da, er fand nur ein Mägdlein, welches am Herd stand und abspülte. Aber er erkannte dieses Mägdlein sogleich und nun ging ihm auch ein Licht auf, wie das Ganze zusammenhing. Und er schloß sie in seine Arme und sagte: »Du bist es also gewesen, die mir das Leben gerettet und mich von dem Gift geheilt hat, das mir ins Blut drang, als ich mich bei meinem letzten Besuch bei dir an deinem Fensterrahmen ritzte.« Sie konnte es ja nicht leugnen und war nun überglücklich und er war es auch. Sie hielten dann ihre Hochzeit auf dem grünen Schloß und da leben sie wahrscheinlich noch miteinander und herrschen über alle grünen Wälder.

Quelle: Svend Grundtvig - Dänische Volksmärchen 

Samstag, 2. März 2024

Ein Märchen zum Wochenende

Die drei Wunder der Welt

Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne. Als er alt und krank wurde, erklärten ihm die Ärzte, er könne nur genesen, wenn jemand ihm die drei Wunder der Welt herbeischaffe.

Der älteste Sohn sagte: »Vater, laß mich es versuchen.«

Und der Vater antwortete: »Nein, Sohn, das kann nicht sein. Du bist derjenige, der einmal die Krone erben wird.«

Der junge Mann gab aber so lange keine Ruhe, bis der Vater einwilligte und er sich auf die Suche begeben konnte. Als der älteste Sohn nach den drei Wundem der Welt ausschaute, kam er an einer Höhle vorbei, in der wohnten Diebe; die griffen sich ihn, zerrten ihn in die Höhle und hielten ihn dort gefangen.

Als nun der Älteste nach ziemlich langer Zeit noch nicht heimgekehrt war, sagte der Nächste: »Vater, mein Bruder kommt nicht zurück. Laßt mich ziehen und schauen, ob ich ihn finden und für Euch die drei Wunder der Welt mitbringen kann.«

Der Vater sagte: »Nein, mein Sohn, das kann nicht sein. Da dein Bruder nicht heimgekehrt ist, bist du derjenige, der einmal das Reich regieren wird.«

Aber der Mittlere bettelte so lange, bis der Vater auch ihm schließlich erlaubte, in die weite Welt zu ziehen.

Er sah sich hier und da um. Aber dann geschah mit ihm dasselbe wie mit dem Ältesten. Er kam zu eben dieser Höhle. Die Diebe griffen sich ihn und zerrten ihn hinein, und er traf seinen Bruder, den sie dort schon gefangenhielten.

So manches Jahr ging ins Land. Die beiden ältesten Prinzen waren immer noch nicht heimgekehrt, da trat der jüngste vor den Vater hin und sprach: »Vater, meine beiden Brüder sind verschollen. Erlaubt mir, daß ich nach ihnen suche und schaue, ob ich nicht für Euch die drei Wunder der Welt finde.«

»Unmöglich«, antwortete ihm der Vater. »Jetzt, da du es bist, der die Krone erben wird, lasse ich dich nicht in die weite Welt ziehen.«

Der jüngste bat und bettelte. Er sagte, König könne er immer noch werden, wenn seine Brüder nicht heimkämen und der Vater an seiner Krankheit sterben werde. Für einen angehenden König sei es gewiß von Nutzen, wenn er zuvor viel von der Welt gesehen habe.

Dagegen ließ sich schwer etwas einwenden, und also ließ der Vater am Ende auch den Jüngsten ziehen.

Er wanderte lange, ehe er eine Höhle erreichte, das war die Höhle der Luft. Eine alte Frau kam heraus. Das war die Mutter der Luft, und sie sprach zu ihm: »Sag mir, wer hat dich diesen Weg geschickt?«

Er antwortete: »Ich bin auf der Suche nach den drei Wundern der Welt.«

Und die alte Frau rief: »Sohn, da kommt der, welcher die drei Wunder der Welt sucht, um seinen Vater zu heilen.«

Und die Luft sprach: »Ich kann ihm dabei nicht helfen. E soll weiter ziehen. Nur mein Bruder, der Sonnenmann, dessen Strahlen überall hinreichen, kann so etwas wissen. Er soll meinem Bruder, dem Sonnenmann, sagen, ich hätte ihn geschickt, und er möge ihm doch bitte helfen, die drei Wunder der Welt zu finden.«

Am nächsten Tag brach der junge zur Höhle der Sonne auf.

Nachdem er viele Tage und Nächte gelaufen war, erreichte er diesen Ort und bat um ein Nachtquartier. Da kam wieder eine alte Frau heraus und sprach zu ihm: »Wer hat dich diesen Weg geschickt?«

Und er antwortete. »Ich bin ausgezogen, um die drei Wunder der Welt zu finden und um meinen Vater wieder gesund zu machen. Und bei der Luft war ich schon. Dort hieß es, der Sonnenmann solle mir den Weg weisen.«

Da hieß ihn die alte Frau, sich in einer Kiste verbergen, und sprach zu ihm: »Bleib da drinnen, denn sonst würde mein Sohn, der Sonnenmann, dich versengen.«

Dann kam der Sonnenmann und sprach: »Es riecht nach Menschenfleisch. Wo ist der Fremdling, damit ich ihn verbrennen kann?«

»Sohn«, sagte die alte Frau, »er ist ein armer junge, der die drei Wunder der Welt sucht. Er ist von deinem Bruder, der Luft, hergeschickt worden ist. «

Darauf erwiderte der Sonnenmann: »Dann soll er hervorkommen, denn ich kann ihm auch nicht helfen. Den Weg zu den drei Wundern der Welt kann ihm nur meine Schwester weisen. Er soll weiterziehen und ihr sagen, daß ich ihn geschickt habe.«

Am nächsten Tag brach der junge zur Suche nach der Höhle der Mondfrau auf. Er reiste durch viele Königreiche, ohne daß er zu ihr gelangte, aber schließlich kam er nach vielen Tagen und den Nächten, die dazu gehören, doch an der Höhle der Mondfrau an.

Eine alte Frau trat heraus und sagte: »Nenn mir jene, die dich hierher geschickt haben?«

Er sagte: »Ich bin gekommen, um die drei Wunder der Welt zu suchen, die meinen Vater heilen können.«

Da sprach die alte Frau: »Gut, aber versteck dich dort in der Ecke, denn wenn meine Tochter, die Mondfrau, kommt und dich hier findet, würde sie dich verschlingen.«

Die Mondfrau kam leuchtend über den Himmel und rief: »Hier riecht es nach Menschenfleisch. Wo ist das Menschenkind? Ich will es verschlingen.«

Die alte Frau aber sprach: »Nicht doch, Tochter. Es ist doch nur ein armer junge, den dein Bruder, die Sonne, geschickt hat.«

Und die Mondfrau sagte: »Wenn das so ist, wenn er nach den drei Wundern der Welt sucht, um seinen Vater zu heilen, dann soll er hervorkommen. Nur, mein Bruder, der König der Vögel, kann ihm verschaffen, wonach er sucht. Er zieht ständig durch die Welt. Der junge soll zu ihm gehen und ihm sagen, daß ich ihn geschickt habe.«

Also brach der junge am nächsten Tag wieder auf, er lief und lief, bis er zu der Höhle kam, in der der König der Vögel lebte.

Als eine alte Frau heraustrat, sprach sie: »Sage mir, wer dich geschickt hat?«

Darauf er: » Die Mondfrau schickt mich. Ich komme, um nach den drei Wundern der Welt zu suchen, damit will ich meinen Vater heilen, der schon lange schwer krank ist.«

Und die alte Frau antwortete ihm: »Stell dich dort in die Ecke, denn wenn mein Sohn, der König der Vögel, heimkommt und dich hier findet, wird er dich zum Abendessen fressen.«

Der König der Vögel kam und rief gleich: »Hier riecht es nach Menschenfleisch. Wo steckt das Menschenkind? Ich will es zum Abendessen verspeisen.«

»Nicht doch, Sohn«, sagte die alte Frau, »es ist doch nur ein armer Junge, den uns deine Schwester, die Mondfrau, geschickt hat, weil er nach den drei Wundern der Welt sucht.«

»Dann soll er wieder gehen, denn ich kann sie ihm auch nicht verschaffen«, sagte der König der Vögel, »dererlei wissen nur meine Untertanen, die überall herumkommen.«

Dann gingen sie alle schlafen.

Am nächsten Tag, sehr zeitig, wurde der Junge geweckt, und der König der Vögel sagte: »Ich werde jetzt ein paar Vögel von jeder Art rufen. Du stelle dich mitten unter sie und frage sie, wo du die Wunder der Welt finden kannst. Du mußt zu ihnen sagen: >Ihr kleinen Vögel, die ihr auf der Welt überall hinkommt, könnt ihr mir bitte sagen, wo die drei Wunder der Welt zu finden sind?< Wenn du das dreimal gesagt hast, und sie antworten nicht darauf, dann wissen sie es auch nicht.«

Alle Vögel, die der König gerufen hatte, kamen. Der Junge stellte sich unter sie und fragte dann dreimal: »Ihr Vögel, die ihr überall hinfliegt, sagt mir, wißt ihr, wo ich die drei Wunder der Welt finden kann?«

Keiner der Vögel antwortete, denn sie wußten es nicht. Der lahmende Adler war noch nicht da. Als er endlich eintraf, fragte ihn der König der Vögel: »Kleiner Adler, warum hat es bei dir so lange gedauert?«

Und der Adler sprach: »Weil ich von den drei Wundern der Welt gefressen habe.«

Da sagte der König der Vögel zu dem Jungen: »Hier kommt endlich einer, der dir den Weg zu den drei Wundern der Welt weisen kann.«

Und er fragte den lahmenden Adler: »Traust du dir zu, diesen Jungen dorthin zu bringen, wo er die drei Wunder der Welt finden kann?«

Der Junge stieg auf den Rücken des Adlers, und auf der anderen Seite des Meeres setzte der Vogel den Jungen auf den Weg zu einem Schloß ab und sprach zu ihm: »In diesem Schloß wirst du die drei Wunder der Welt finden.«

Der Junge brach allein in Richtung auf das Schloß auf. Er wanderte dahin, bis er an ein kleines Haus kam. Er klopfte an die Tür, eine Frau kam heraus und fragte, was er wolle. Als der Junge ihr sagte, er suche ein Nachtlager und sei im übrigen auf der Suche nach den drei Wundern der Welt, sagte ihm die Frau: »Eine gute Unterkunft findest du hier schon, aber die Sache hat einen Haken.«

»Und der wäre?«

»Vor drei Tagen ist mein Mann gestorben. Die Leiche liegt immer noch unter der Treppe. Ich habe nicht die fünf Duros, um die Beerdigung zu bezahlen.«

Da sagte der junge: »Hier hast du zweihundert Reales, das wird für ein ordentliches Begräbnis reichen.«

Also wurde der Mann begraben, der Junge kam zu einem Nachtlager, und am nächsten Tag schlug er den Weg zum Schloß ein.

Als er nun endlich am Schloßtor ankam, strich ein Fuchs heran und sagte zu ihm: »Schau in die große Halle. Dort findest du einen Vogel, einen Käfig, eine Frau und Kleider. In einem Stall etwas weiter entfernt steht ein Pferd. Nimm von all diesen Dingen nur eines.«

Der Junge betrat ganz glücklich die Halle und sah, daß der Fuchs ihn nicht getäuscht hatte. Er wollte den Vogel nehmen und den Käfig stehen lassen, da begann der Käfig zu sprechen und sagte zu ihm: »Was willst du mit einem Vogel ohne einen Käfig?«

Er rannte also mit Käfig und Vogel davon, doch ein Riese, der das Schloß bewachte, wurde auf ihn aufmerksam und rief: »Achtung und Alarm. Hier ist einer, der die drei Wunder der Welt stehlen will.«

Da kamen Soldaten, ergriffen den Jungen und warfen ihn in ein Verließ; sie schlugen ihn und trieben Löwen in den Raum, damit sie ihn auffressen. Als er nun dort saß, kam wieder der Fuchs und sprach: »Habe ich dir nicht gesagt, du solltest von den Dingen nur eines nehmen? Denke daran, ich kann dir nur dreimal helfen, dann aber nicht mehr.«

Er half ihm aus dem Kerker und sagte ihm, er solle diesmal unbedingt so verfahren, wie er es ihm geraten habe. Der Junge kam wieder zurück ins Schloß und wollte die Frau mitnehmen, die aber sagte: »Willst du mich ohne Kleider hier fortholen?«

Da griff er sich auch die Kleider, aber als er durch die Tür hinauswollte, stand da wieder der Riese und brüllte, wie er schon zuvor gebrüllt hatte: »Achtung und Alarm. jemand will uns die Wunder der Welt stehlen.«

Und wieder ergriffen die Wachen den Jungen. Sie verprügelten ihn, warfen ihn in den Kerker und trieben die Löwen herein. Wieder erschien das Füchslein und sagte: »Nun kann ich dir nur noch einmal helfen. Geh jetzt in, den Stall und nimm das Pferd, aber nicht den Sattel.«

Der Junge tat wie ihm geheißen, und der Sattel sprach: »Warum nimmst du das Pferd und läßt mich zurück?«

Er führte das Pferd ungesattelt hinaus, und draußen standen schon der Käfig mit dem Vogel und die Frau in ihren Kleidern. Und er ritt mit dem Pferd, der Frau und dem Vogel davon, und dies waren die Wunder der Welt.

Auf der Straße heimwärts traf er seine beiden Brüder. Als sie sahen, daß er die drei Wunder der Welt bei sich trug, nahmen sie sie ihm fort und ließen ihnen mutterseelenallein zurück. Sie gingen zu ihrem Vater, gaben ihm die drei Wunder, und er wurde geheilt. Der Vater fragte sie, ob sie etwas von ihrem jüngeren Bruder gehört hätten. Da erwiderten sie, nachdem, was ihnen zu Ohren gekommen sei, treibe er sich in der Welt herum, stehle und töte. Der Vater gab Befehl, ihn zu fangen und ihn heimzubringen, lebendig oder tot. Man fand ihn. Aber daheim wurde er gleich in den Kerker geworfen, und da die Brüder behaupteten, er sei ein Dieb und ein Mörder, sollte er gehängt werden. Da zeigte sich das Füchslein in der Gestalt eines Mannes und klärte den König darüber auf, wer tatsächlich die drei Wunder der Welt gefunden hatte.

Da erzählte der jüngste Sohn dem Vater, was er alles erlebt hatte, wie die beiden anderen Brüder ihn auf der Landstraße getroffen und ihm die drei Wunder fortgenommen hätten. Der Fuchs, der in Menschengestalt erschienen war, erklärte, er sei jener Tote, dessen Frau der jüngste Sohn das Geld für das Begräbnis gegeben habe. Da der Junge ihm geholfen habe, in der Erde seine Ruhe zu finden, sei er ihm in der Not auch zu Hilfe gekommen. Nun aber dürfe er nicht länger auf der Erde verweilen.

Kaum hatte er das gesagt, war er auf der Stelle verschwunden.

Der Vater sagte seinem Jüngsten, er werde seine beiden älteren Brüder enterben, denn es hatte sich ja erwiesen, daß sie böse waren und Lügner dazu. Und also bekam der Jüngste die Krone und das Reich. Die Frau, die er aus dem Zauberschloß mitgebracht hatte, heiratete er.

Sie wurden glücklich, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.

Quelle: Andalusische Märchen 

Samstag, 24. Februar 2024

Ein Märchen zum Wochenende

Der gelernte Jäger

Es war einmal ein junger Bursch, der hatte die Schlosserhantierung gelernt und sprach zu seinem Vater, er wollte jetzt in die Welt gehen und sich versuchen. “Ja”, sagte der Vater, “das bin ich zufrieden”, und gab ihm etwas Geld auf die Reise. Also zog er herum und suchte Arbeit.

Auf eine Zeit, da wollt ihm das Schlosserwerk nicht mehr folgen und stand ihm auch nicht mehr an, aber er kriegte Lust zur Jägerei. Da begegnete ihm auf der Wanderschaft ein Jäger in grünem Kleide, der fragte, wo er herkäme und wo er hin wollte. Er wäre Schlossergesell, sagte der Bursch, aber das Handwerk gefiele ihm nicht mehr, und hätte Lust zur Jägerei, ob er ihn als Lehrling annehmen wollte. “O ja, wenn du mit mir gehen willst.” Da ging der junge Bursch mit, vermietete sich etliche Jahre bei ihm und lernte die Jägerei. Danach wollte er sich weiter versuchen, und der Jäger gab ihm nichts zum Lohn als eine Windbüchse, die hatte aber die Eigenschaft, wenn er damit einen Schuss tat, so traf er unfehlbar.

Da ging er fort und kam in einen sehr großen Wald, von dem konnte er in einem Tag das Ende nicht finden. Wie’s Abend war, setzte er sich auf einen hohen Baum, damit er aus den wilden Tieren käme. Gegen Mitternacht zu, deuchte ihn, schimmerte ein kleines Lichtchen von weitem, da sah er durch die Äste darauf hin und behielt in acht, wo es war. Doch nahm er erst noch seinen Hut und warf ihn nach dem Licht zu herunter, dass er danach gehen wollte, wann er herabgestiegen wäre, als nach einem Zeichen. Nun kletterte er herunter, ging auf seinen Hut los, setzte ihn wieder auf und zog geradewegs fort. Je weiter er ging, je größer ward das Licht, und wie er nahe dabei kam, sah er, dass es ein gewaltiges Feuer war, und saßen drei Riesen dabei und hatten einen Ochsen am Spieß und ließen ihn braten. Nun sprach der eine: “Ich muss doch schmecken, ob das Fleisch bald zu essen ist”, riss ein Stück herab und wollt es in den Mund stecken, aber der Jäger schoss es ihm aus der Hand. “Nun ja”, sprach der Riese, “da weht mir der Wind das Stück aus der Hand”, und nahm sich ein anderes. Wie er eben anbeißen wollte, schoss es ihm der Jäger abermals weg; da gab der Riese dem, der neben ihm saß, eine Ohrfeige und rief zornig: “Was reißt du mir mein Stück weg?”

“Ich habe es nicht weggerissen”, sprach der andere, “es wird es dir ein Scharfschütz weggeschossen haben.” Der Riese nahm sich das dritte Stück, konnte es aber nicht in der Hand behalten, der Jäger schoss es ihm heraus. Da sprachen die Riesen: “Das muss ein guter Schütze sein, der den Bissen vor dem Maul wegschießt, so einer wäre uns nützlich”, und riefen laut: “Komm herbei, du Scharfschütze, setze dich zu uns ans Feuer und iss dich satt, wir wollen dir nichts tun; aber kommst du nicht, und wir holen dich mit Gewalt, so bist du verloren.” Da trat der Bursch herzu und sagte, er wäre ein gelernter Jäger, und wonach er mit seiner Büchse ziele, das treffe er auch sicher und gewiss. Da sprachen sie, wenn er mit ihnen gehen wollte, sollte er’s gut haben, und erzählten ihm, vor dem Wald sei ein großes Wasser, dahinter stände ein Turm, und in dem Turm säss eine schöne Königstochter, die wollten sie gern rauben. “Ja”, sprach er, “die will ich bald geschafft haben.” Sagten sie weiter: “Es ist aber noch etwas dabei, es liegt ein kleines Hündchen dort, das fängt gleich an zu bellen, wann sich jemand nähert, und sobald das bellt, wacht auch alles am königlichen Hofe auf;. und deshalb können wir nicht hineinkommen; unterstehst du dich, das Hündchen tot zu schießen?”

“Ja”, sprach er, “das ist mir ein kleiner Spaß.” Danach setzte er sich auf ein Schiff und fuhr über das Wasser, und wie er bald beim Land war, kam das Hündlein gelaufen und wollte bellen, aber er kriegte seine Windbüchse und schoss es tot. Wie die Riesen das sahen, freuten sie sich und meinten, sie hätten die Königstochter schon gewiss, aber der Jäger wollte erst sehen, wie die Sache beschaffen war, und sprach, sie sollten draußen bleiben, bis er sie riefe.

Da ging er in das Schloss, und es war mäuschenstill darin, und schlief alles. Wie er das erste Zimmer aufmachte, hing da ein Säbel an der Wand, der war von purem Silber, und war ein goldener Stein darauf und des Königs Name; daneben aber lag auf einem Tisch ein versiegelter Brief, den brach er auf, und es stand darin, wer den Säbel hätte, könnte alles ums Leben bringen, was ihm vorkäme. Da nahm er den Säbel von der Wand, hing ihn um und ging weiter; da kam er in das Zimmer, wo die Königstochter lag und schlief; und sie war so schön, dass er still stand und sie betrachtete und den Atem anhielt. Er dachte bei sich selbst: “Wie darf ich eine unschuldige Jungfrau in die Gewalt der wilden Riesen bringen, die haben Böses im Sinn.” Er schaute sich weiter um, da standen unter dem Bett ein paar Pantoffeln, auf dem rechten stand ihres Vaters Name mit einem Stern und auf dem linken ihr eigener Name mit einem Stern. Sie hatte auch ein großes Halstuch um, von Seide, mit Gold ausgestickt, auf der rechten Seite ihres Vaters Name, auf der linken ihr Name, alles mit goldenen Buchstaben. Da nahm der Jäger eine Schere und schnitt den rechten Schlippen ab und tat ihn in seinen Ranzen, und dann nahm er auch den rechten Pantoffel mit des Königs Namen und steckte ihn hinein.

Nun lag die Jungfrau noch immer und schlief, und sie war ganz in ihr Hemd eingenäht; da schnitt er auch ein Stückchen von dem Hemd ab und steckte es zu dem andern, doch tat er das alles, ohne sie anzurühren. Dann ging er fort und ließ sie ungestört schlafen, und als er wieder ans Tor kam, standen die Riesen noch draußen, warteten auf ihn und dachten, er würde die Königstochter bringen. Er rief ihnen aber zu, sie sollten hereinkommen, die Jungfrau wäre schon in seiner Gewalt; die Tür könnte er ihnen aber nicht aufmachen, aber da wäre ein Loch, durch welches sie kriechen müssten.

Nun kam der erste näher, da wickelte der Jäger des Riesen Haar um seine Hand, zog den Kopf herein und hieb ihn mit seinem Säbel in einem Streich ab, und zog ihn dann vollends hinein. Dann rief er den zweiten und hieb ihm gleichfalls das Haupt ab, und endlich auch dem dritten, und war froh, dass er die schöne Jungfrau von ihren Feinden befreit hatte, und schnitt ihnen die Zungen aus und steckte sie in seinen Ranzen. Da dachte er: “Ich will heim gehen zu meinem Vater und ihm zeigen, was ich schon getan habe, dann will ich in der Welt herumziehen; das Glück, das mir Gott bescheren will, wird mich schon erreichen.”

Der König in dem Schloss aber, als er aufwachte, erblickte er die drei Riesen, die da tot lagen. Dann ging er in die Schlafkammer seiner Tochter, weckte sie auf und fragte, wer das wohl gewesen wäre, der die Riesen ums Leben gebracht hätte. Da sagte sie: “Lieber Vater, ich weiß es nicht, ich habe geschlafen.” Wie sie nun aufstand und ihre Pantoffeln anziehen wollte, da war der rechte weg, und wie sie ihr Halstuch betrachtete, war es durchschnitten und fehlte der rechte Schlippen, und wie sie ihr Hemd ansah, war ein Stück heraus. Der König ließ den ganzen Hof zusammenkommen, Soldaten und alles, was da war, und fragte, wer seine Tochter befreit und die Riesen ums Leben gebracht hätte.

Nun hatte er einen Hauptmann, der war einäugig und ein hässlicher Mensch, der sagte, er hätte es getan. Da sprach der alte König, so er das vollbracht hätte, sollte er seine Tochter auch heiraten. Die Jungfrau aber sagte: “Lieber Vater, dafür, dass ich den heiraten soll, will ich lieber in die Welt gehen, so weit als mich meine Beine tragen.” Da sprach der König, wenn sie den nicht heiraten wollte, sollte sie die königlichen Kleider ausziehen und Bauernkleider antun und fortgehen; und sie sollte zu einem Töpfer gehen und einen Handel mit irdenem Geschirr anfangen. Da tat sie ihre königlichen Kleider aus und ging zu einem Töpfer, und borgte sich einen Kram irden Werk; sie versprach ihm auch, wenn sie’s am Abend verkauft hätte, wollte sie es bezahlen.

Nun sagte der König, sie sollte sich an eine Ecke damit setzen und es verkaufen. Dann bestellte er etliche Bauernwagen, die sollten mitten durchfahren, dass alles in tausend Stücke ginge. Wie nun die Königstochter ihren Kram auf die Straße hingestellt hatte, kamen die Wagen und zerbrachen ihn zu lauter Scherben. Sie fing an zu weinen und sprach: “Ach Gott, wie will ich nun dem Töpfer bezahlen.”

Der König aber hatte sie damit zwingen wollen, den Hauptmann zu heiraten, statt dessen ging sie wieder zum Töpfer und fragte ihn, ob er ihr noch einmal borgen wollte. Er antwortete nein, sie sollte erst das vorige bezahlen. Da ging sie zu ihrem Vater, schrie und jammerte und sagte, sie wollte in die Welt hineingehen. Da sprach er: “Ich will dir draußen in dem Wald ein Häuschen bauen lassen, darin sollst du dein Lebtag sitzen und für jedermann kochen, du darfst aber kein Geld nehmen.” Als das Häuschen fertig war, ward vor die Türe ein Schild gehängt, darauf stand geschrieben: “Heute umsonst, morgen für Geld.” Da saß sie lange Zeit, und sprach es sich in der Welt herum, da säße eine Jungfrau, die kochte umsonst, und das stände vor der Türe an einem Schild. Das hörte auch der Jäger und dachte: “Das wäre etwas für dich, du bist doch arm und hast kein Geld.” Er nahm also seine Windbüchse und seinen Ranzen, worin noch alles steckte, was er damals im Schloss als Wahrzeichen mitgenommen hatte, ging in den Wald und fand auch das Häuschen mit dem Schild: “Heute umsonst, morgen für Geld.”

Er hatte aber den Degen umhängen, womit er den drei Riesen den Kopf abgehauen hatte, trat so in das Häuschen hinein und ließ sich etwas zu essen geben. Er freute sich über das schöne Mädchen, es war aber auch bildschön. Sie fragte, wo er herkäme und hin wollte, da sagte er: “Ich reise in der Welt herum.” Da fragte sie ihn, wo er den Degen her hätte, da stände ja ihres Vaters Name darauf. Fragte er, ob sie des Königs Tochter wäre. “Ja”, antwortete sie. “Mit diesem Säbel”, sprach er, “habe ich drei Riesen den Kopf abgehauen”, und holte zum Zeichen ihre Zungen aus dem Ranzen, dann zeigte er ihr auch den Pantoffel, den Schlippen vom Halstuch und das Stück vom Hemd. Da war sie voll Freude und sagte, er wäre derjenige, der sie erlöst hätte.

Darauf gingen sie zusammen zum alten König und holten ihn herbei, und sie führte ihn in ihre Kammer und sagte ihm, der Jäger wäre der rechte, der sie von den Riesen erlöst hätte. Und wie der alte König die Wahrzeichen alle sah, da konnte er nicht mehr zweifeln und sagte, es wäre ihm lieb, dass er wüsste, wie alles zugegangen wäre, und er sollte sie nun auch zur Gemahlin haben; darüber freute sich die Jungfrau von Herzen. Darauf kleideten sie ihn, als wenn er ein fremder Herr wäre, und der König ließ ein Gastmahl anstellen.

Als sie nun zu Tisch gingen, kam der Hauptmann auf die linke Seite der Königstochter zu sitzen, der Jäger aber auf die rechte; und der Hauptmann meinte, das wäre ein fremder Herr und wäre zum Besuch gekommen. Wie sie gegessen und getrunken hatten, sprach der alte König zum Hauptmann, er wollte ihm etwas aufgeben, das sollte er erraten: Wenn einer spräche, er hätte drei Riesen ums Leben gebracht, und er gefragt würde, wo die Zungen der Riesen wären, und er müsste zusehen, und wären keine in ihren Köpfen, wie das zuginge? Da sagte der Hauptmann: “Sie werden keine gehabt haben.”

“Nicht so”, sagte der König, “jedes Getier hat eine Zunge”, und fragte weiter, was der wert wäre, dass ihm widerführe. Antwortete der Hauptmann: “Der gehört in Stücken gerissen zu werden.” Da sagte der König, er hätte sich selber sein Urteil gesprochen, und ward der Hauptmann gefangen gesetzt und dann in vier Stücke zerrissen, die Königstochter aber mit dem Jäger vermählt. Danach holte er seinen Vater und seine Mutter herbei, und die lebten in Freude bei ihrem Sohn, und nach des alten Königs Tod bekam er das Reich.

Quelle: Brüder Grimm 

Samstag, 17. Februar 2024

Ein Märchen zum Wochenende

Der Bäcker auf dem Glockenturm zu Mora

Es war einmal ein Bäcker in Mora, der Rune Thorvaldsson hieß, ein durch und durch schlechter Mensch war und von Lug und Betrug lebte. Er verhöhnte andere Menschen, kannte in seinem Leben weder Buße noch Reue. Selbst Ostern, wenn seine Kunden nach Ostergebäck fragten und schöne, pastellfarbene Gebäcke erwarteten, fing er an, heidnische Gebäcke in Runenform zu backen sowie kleine Hexen, die auf dem Besen zum Blåkulla ritten. Weihnachten lief die Sache bei ihm ähnlich ab. Da buk er Symbole und Runen, die mit Odins wilder Jagd während der Raunächte zusammenhingen. Die Erwachsenen seiner Kunden kauften ihm diese Gebäcke nicht ab und so verschenkte er sie an nichtsahnende Kinder. Aber damit war es nicht genug. Wenn es nur einfaches Gebäck gewesen wäre, das war es aber bei weitem nicht. In den Nächten weihte er sein Gebäck den alten Göttern und teilweise dem Leibhaftigen, bevor er es an die Kinder verschenkte. Als er nun starb, wollte man seine Seele deshalb nicht im Himmel haben und so schickte man sie zurück auf die Erde. Er merkte aber nicht, dass er gestorben war und kehrte so in sein altes Haus zurück. Anders als bei den Geistern, die des Nachts und um Mitternacht spukten, spukte er dagegen um die Mittagszeit, da es zu seinen Lebzeiten auch so war, dass er in den frühen Morgenstunden arbeitete und tagsüber schlief.

In den frühen Morgenstunden buk er als Geist steinhartes Brot und Gebäck, mit dem er die Einwohner aus einer Dachluke seines Hauses bewarf, wenn sie vorüber eilten. Seinen Nachfolger in der Backstube schlug er permanent mit dem Brotschieber oder versuchte, ihn in den Ofen zu schieben, wenn der es wagte, in den Backofen bei offener Ofenklappe zu blicken. Die ganze Lage wurde langsam für alle, in seiner ehemaligen Backstube und auch für die Nachbarn um sein Haus, unerträglich.

So beschloss man Abhilfe zu schaffen und sah sich nach einem Pastor um, der einer Austreibung mächtig war. Als man endlich einen gefunden hatte, der dazu in der Lage war, kam dieser auch schnell, noch vor dem Weihnachtsfest, angereist.

Der ehemalige Wohnraum von Rune Thorvaldsson über der Backstube und auch die Backstube selbst wurden zunächst geweiht. Der Pastor begann alsbald die entsprechenden Gebete zu sprechen, um ihn von dort zu vertreiben. Das gelang ihm auch zunächst. Rune musste wohl oder übel seine Wohnung und Spukstätte verlassen. Der Pastor vergaß aber, den Bannspruch zu sprechen. Keinen Tag später war Rune wieder in seiner alten Wohnung und spukte schlimmer als je zuvor, zumal es gerade die Nächte vor den Rauhnächten waren und die alten Götter wieder mächtiger wurden. Jetzt wurde er unverschämter als zuvor, da er ja wusste, wie man ihn als Geist aus seiner alten Wohnung austreiben konnte.

Der Pastor wurde erneut gerufen, nur jetzt war Rune schlauer und ließ sich nicht so einfach vertreiben. Den Austreibungen wich er aus, indem er von einer Ecke in die andere Zimmerecke flüchtete, als der Pastor damit begann. Schließlich entwich er durch den Fensterspalt, um zur Tür wieder hereinzukommen. Kurzum, es sah so aus, als ob der Pastor keinen Erfolg haben würde. Der musste zu einer List greifen und stärkere Beschwörungen sowie Gebete anwenden. Er dichtete jetzt vor der erneuten Austreibung zuvor alle Spalten, Fensterspalten ab, die die Wohnung aufwies, selbst die Ofenrohre wurden verschlossen. Lediglich das Schlüsselloch an der Wohnungstür wurde offengelassen, davor stand aber der bestellte Schmied, der kräftig genug war, den Geist des Bäckers festhalten zu können, wenn der entwich und randalierend um sich schlagen sollte.

So begann der Pastor erneut mit der Austreibung. Der Geist des Bäckers wurde wütend und fing an, den Pastor mit Gegenständen aus seiner Wohnung zu bewerfen, konnte den Raum aber nicht verlassen, da selbst die kleinste Fuge abgedichtet war. Danach versuchte er es durch den Ofen und polterte lange im Ofenrohr herum, aber es gab einfach keinen Ausweg für ihn. Zuletzt versuchte er es durch das Schlüsselloch seiner Wohnung. Hier stand aber der Schmied davor, der zudem eine leere Tonflasche mit der Öffnung zum Schlüsselloch hielt. Hier fuhr der Geist des Bäckers hinein. Ehe er sich versah, hatte der Schmied die Flasche verkorkt, der Pastor hatte einen Bann über die Wohnung und auch über den Korken der Flasche gesprochen. Damit saß der Geist in der Flasche fest und konnte auch nicht mehr in die Wohnung zurück.

Als es später Nachmittag wurde, wollte der Pastor noch seinen Amtskollegen in Mora besuchen, ihm vom Erfolg seiner Austreibung berichten und mit ihm den abendlichen Gottesdienst feiern. Da er die Flasche mitnahm, sie aber mit dem unreinen Geist nicht mit in die Kirche nehmen konnte und wollte, stellte er sie auf den Stufen des Glockenturmes von Mora ab, wobei der Glockenturm ein eigenes und freistehendes Gebäude war.

Hier freute sich der Glöckner über die scheinbar schöne Flasche Bier, die ihm der Pastor wohl mitgebracht und scheinbar auf die Stufen gestellt hatte: „Gerade richtig, so ein Trunk nach dem Läuten“, dachte der noch, als er den Aufstieg in seinen Turm begann. Als die Glocken nach dem Läuten gerade ausklangen, dachte der Pastor auf einmal wieder an seine Flasche und auch daran, dass er dem Glöckner ja gar nicht Bescheid gesagt hatte. Aber da war es schon zu spät. Er lief gerade aus der Kirche, stracks auf den Turm zu, als er einen lauten Knall hörte. Der Glöckner hatte nichtsahnend die Flasche geöffnet und der Geist des Bäckers hatte sie so schnell verlassen, dass sie mit einem Schlag zerbarst. Als er jetzt zum Turm blickte, sah er den Geist des Bäckers frech auf einer Glocke des Turms sitzen und Grimassen schneiden. Das einzige, was der Pastor jetzt noch unternehmen konnte, war es, den Geist auf den Turm zu bannen. Befreien konnte er den Turm vom Geist nicht mehr, da man einen Glockenturm mit all seinen Öffnung nicht abdichten kann. So kann es auch heute noch passieren, dass die Glocken vom Turm von Mora erklingen, wenn sie gar kein Mensch geläutet hat oder vom Turm auch ein schallendes Gelächter zu hören ist, um andere Menschen zu verhöhnen. Das passiert natürlich, wir kennen Rune Thorvaldsson ja, besonders wenn die Menschen die Gottesdienste zu Weihnachten oder zu Ostern besuchen wollen. Viele der Bewohner wissen um den Spuk vom Turm und blicken erst gar nicht hinauf, wenn sie dieses Gelächter hören und bestrafen Rune so, indem sie über ihn hinweg hören. Einen Vorteil hat es jedoch schon. Rune kann vom Turm aus niemanden mehr mit hartem Brot und Gebäck bewerfen, er wird auf dem Turm auch sonst nicht so viele Gegenstände finden, die er als Wurfgeschoss verwenden kann. So sitzt er bis heute auf dem Turm gefangen und überlegt, wie und mit welcher List er in seine Backstube zurückkehren kann.

Quelle: Larissa Tjärnväg - Märchen aus Schweden 

Samstag, 10. Februar 2024

Ein Märchen zum Wochenende

Der Goldapfel

Es waren einmal eine Königin und ihre Schwägerin, und jede von ihnen hatte eine Tochter. Die der Königin war schön, doch die andere war es nicht. Als die Tochter der Königin schon ziemlich groß war, sagte sie eines Tages zu ihrer Muhme: »Werdet Ihr mich nicht bald zum Besuche des Königs, meines Bruders, begleiten?« »Sobald du willst«, entgegnete die Muhme. Als sie abreisten, steckte die Königin, welche das Zaubern verstand, einen kleinen Goldapfel in den Ärmel ihrer Tochter, damit sie sofort benachrichtigt würde, wenn das Kind in irgendeine Gefahr geriete. Die Muhme nahm einen Esel mit Tragkörben und setzte ihre Nichte in den einen Korb und ihre Tochter in den andern; dann reisten sie ab.

Als sie schon ziemlich weit waren, wünschte die Tochter der Königin abzusteigen, um aus einer Quelle zu trinken. Während sie sich niederbeugte, glitt der Goldapfel aus ihrem Ärmel und fiel ins Wasser. Das kleine Mädchen wollte ihn vermittelst eines Stockes herausziehen, aber das gelang ihr nicht. »Marsch!« sagte die Muhme, »eil dich! glaubst du, ich will auf dich warten?« Im gleichen Augenblick sagte der Goldapfel: »Ach, ich höre es, ich höre es!« »Wie?« sprach die Muhme, »deine Mutter hört dich auf eine so große Entfernung? Komm, mein Herzchen, mein liebes Kind, ich will dir helfen, wieder auf den Esel zu steigen.«

Zwei Meilen weiter wünschte das kleine Mädchen wieder abzusteigen, um zu trinken. Die Muhme erlaubte es ihm sehr widerwillig. »Eile dich!« sagte sie zu ihr, »glaubst du, ich bin dazu da, daß ich fortwährend auf dich warte?« »Ach, ich höre es, ich höre es!« sagte der Goldapfel. »Wie?« sprach die Muhme, »deine Mutter hört dich auf eine so große Entfernung? Komm, mein liebes Kind, ich will dir helfen, wieder auf den Esel zu steigen.«

Ein wenig später wünschte das kleine Mädchen wieder abzusteigen, denn es verspürte großen Durst. »Also willst du auf dem ganzen Wege nichts tun als halt machen?« sagte die Muhme in sehr übler Laune zu ihr. In demselben Augenblick sprach der Apfel ganz leise: »Ach, ich höre es, ich höre es!« »Sie wird nicht mehr lange horchen«, dachte die Muhme.

Als man nicht mehr weit vom Schlosse des Königs entfernt war, sagte sie zu dem kleinen Mädchen: »Wenn du sagst, daß du die Schwester des Königs bist, so töte ich dich.« Der König ging ihnen entgegen: »Guten Tag, liebe Muhme!« »Guten Tag, lieber Neffe!« Er betrachtete unausgesetzt das schönste der beiden Kinder. »Das sind zwei hübsche kleine Mädchen,« sagte er, »welches davon ist meine Schwester?« »Diese ist es«, sagte die Muhme und wies auf ihre Tochter. »Und jenes Kind?« »Das ist meine Tochter,« erwiderte die Muhme, »du mußt sie arbeiten lassen!« »Oh, sprach der König, was für ein Geschäft sollte ich einem Kinde geben?« »Wenn du keine Arbeit für sie hast, so reise ich morgen ab.« »Gut, sie mag die Gänslein hüten!«

Am Abend gab die Muhme dem armen Kinde nichts zum Essen und ließ es sich in den Stall auf ein wenig Stroh niederlegen. Am andern Morgen gab sie ihm ein Stück Brot, das war trocken wie ein Zündholz und bestand aus Gerste und Hafer, und hinein hatte sie Gift getan. Das kleine Mädchen ging also mit seinen Gänslein fort und kam auf einen Anger. »Kommt, meine kleinen Gänslein, kommt und freßt das Brot, das sie mir zu meinem Frühstück gegeben haben. Nun ist es schon ein ganzer Tag, daß ich beim König, meinem Bruder, angekommen bin, aber ich habe noch nichts gegessen noch getrunken.« Die Gänslein fraßen das Brot nicht, sie merkten es wohl, daß Gift darin war. Als der Tag zur Neige ging, kam das Kind voll Schmutz und ganz durchnäßt zurück und ging in den Stall, wo es sich neben dem Esel niederlegte. Die Muhme gewahrte es und sagte zum Könige, er müsse diesen Esel töten. »Ihr wollt, daß man dieses arme Tier töten soll, welches von unsern Eltern kommt?« »Wenn Ihr es nicht tut, so werde ich nicht länger hier bleiben.« Der König ließ also den Esel töten und man nagelte den Kopf ans Scheunentor.

Indessen war das kleine Mädchen mit den Gänslein auf den Anger gegangen; ihre Muhme hatte ihr ein Stück Brot mitgegeben wie am Tage zuvor; sie war sehr betrübt und kam fast um vor Hunger. »Kommt, meine kleinen Gänslein, kommt und freßt das Brot, das sie mir zu meinem Frühstück gegeben haben. Nun sind es schon zwei Tage, daß ich beim König, meinem Bruder, angekommen bin, aber ich habe noch nichts gegessen noch getrunken.«

Am andern Tage gab ihr die Muhme wieder ein Stück Brot aus Gerste und Hafer, in welchem Stroh und Gift war, und sie ging wieder mit ihren Gänslein auf den Anger. Der König hatte sich hinter einen Baum versteckt, um zu horchen, was sie sagen würde. »Kommt meine kleinen Gänslein, kommt und freßt das Brot, das sie mir zu meinem Frühstück gegeben haben. Nun sind es schon drei Tage, daß ich beim König, meinem Bruder, angekommen bin, aber ich habe noch nichts gegessen noch getrunken. Ach, wenn der König, mein Bruder, wüßte, wie ich behandelt werde!« »Komm, mein Liebling!« rief der König, »ich bin dein Bruder!« Er nahm sie in seine Arme und führte sie ins Schloß. Darauf befahl er sechs Männern, einen großen Reisighaufen aufzuschichten, und darauf ließ er seine Muhme verbrennen. Deren Tochter wurde Kammerfrau bei der jungen Prinzessin und sie lebten alle glücklich.

Quelle: Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen

Samstag, 3. Februar 2024

Ein Märchen zum Wochenende

Der kleine Wurzelprofessor

Es war einmal ein kleiner Wurzelprofessor, der stand im Walde und war ganz aus Wurzeln. Der Körper, die Arme und Beine waren Wurzeln und auch der Kopf. Der kleine Wurzelprofessor war nur ein unendlich kleines Stückchen eines großen hohen Baumes, dessen Gipfel er nie gesehen - und den er leugnete. Die Vögel, die obenauf dem Gipfel des Baumes ihre Nester bauten, setzten sich dem kleinen Wurzelprofessor oft gerade auf die Nase uns sangen ihm die herrlichsten Lieder vor vom Gipfel des großen hohen Baumes, von dem er selber ja doch nur ein unendlich kleines Stückchen war.

Aber der kleine Wurzelprofessor glaubte es auch dann nicht, wenn sie's ihm in beide Ohren gleichzeitig hineinschrien. Auch ein Eichhörnchen, das in beruflichen Angelegenheiten täglich am Stamm des Baumes hinauflief, hatte dem kleinen Wurzelprofessor von all den Wundern erzählt, die es oben zu sehen gab. "Es sind Wunder über Wunder" , sagte das Eichhörnchen, "und über allem ist der Himmel." - "Das alles gibt es ja gar nicht" ,sagte der kleine Wurzelprofessor, "denn wie soll es etwas geben, was ich nicht beleuchtet habe?"

Der kleine Wurzelprofessor konnte nämlich leuchten und ich will auch erzählen, wie es gekommen war, dass er so leuchten konnte. Weil er doch festgewachsen war und gar nicht vom Fleck konnte, so hatte er nichts weiter getan, als bloß immer gedacht, Und so viel hatte er gedacht, dass er allmählich einen ganz verfaulten Kopf bekommen hatte. Nun war doch der Kopf aus Holz und jeder weiß, dass faules Holz im Finstern leuchtet. So leuchtete auch der Kopf des kleinen Wurzelprofessors - und seitdem war er sehr froh!

Nur durfte es sonst nicht zu hell sein und der Mond durfte nicht scheinen, den er nicht kannte - und den er leugnete. Am Anfang war es ja noch nicht so besonders bedeutend, aber im Laufe der Jahre leuchtete er doch schon so sehr, dass bei seinem Schein die Regenwürmer ganz bequem ihren Weg finden und die Hamster ihre Einnahmen aufschreiben konnten. Aber natürlich musste es - damit der kleine Wurzelprofessor wirklich leuchtete - immer schon sehr dunkel sein. So stand der kleine Wurzelprofessor auch in einer stillen Nacht wie immer da und dachte und leuchtete so vor sich hin.

Die Nacht war aber keine gewöhnliche Nacht. Denn am Himmel stand der Stern der Liebe. Die Nacht war keine gewöhnliche Nacht. Denn ein Dichter führte seine Liebste heim in den Märchenwald, der seine Heimat war. Und als er mitten im tiefsten Märchenwald angekommen war, wo die sieben silbernen Quellen sind, da küsste er seine Liebste auf den Mund und setzte ihr eine seltsame Krone auf den Scheitel. Das war eine von den Kronen, die es auf der ganzen Erde nicht gibt und die nur ein Dichter seiner Liebsten ins Haar flechten kann.

Der Stern der Liebe an Gottes Himmel aber schien auf Beide nieder und sein Licht verfing sich in der Krone auf des Mädchens Scheitel. Da flammte die Krone auf in tausend wunderbaren Farben, die schöner waren als alle Farben der Erde. Denn das Mädchen war des Dichters Liebste und es war die Krone der Unsterblichkeit, die es trug.

Davon fing der ganze Märchenwald an zu leuchten, die Nixen tauchten aus den dunklen Wassern auf, die Elfen warfen sich heimlich und leise ihre Schleier zu und von Ferne läuteten die Glocken versunkener Städte. Auch die Tiere des Waldes kamen alle herbei, um zuzusehen, die Frösche sangen Loblieder und sogar die Pilze nahmen ihre großen Hüte ab und grüßten nach allen Seiten.

Denn eines Dichters Liebste ist Königin im ganzen Märchenland! ...

Nur der kleine Wurzelprofessor sah nichts vom Dichter und seiner Liebsten, nichts vom Stern der Liebe und nichts von der Krone der Unsterblichkeit. Er stand und leuchtete so vor sich hin und dachte: all der Glanz im Himmel und auf der Erde käme einzig und allein nur davon her, dass er so heftig leuchte.

Quelle: Manfred Kyber 

Samstag, 27. Januar 2024

Ein Märchen zum Wochenende

Der verzauberte See

Im westlichen Irland war ein See und ohne Zweifel ist er noch daselbst, in dem zu verschiednen Zeiten mehrere junge Leute ertranken. Was dieses Ereignis besonders merkwürdig machte, war, daß man die Leichname der Ertrunkenen niemals wieder fand. Das Volk geriet darüber in Verwunderung und allmählich erlangte der See einen schlimmen Ruf. Schreckvolle Geschichten wurden erzählt, einige behaupteten, in dunkler Nacht leuchteten die Fluten wie Feuer, andere wollten schauerliche Gestalten über den See haben gleiten sehen, jedermann gab zu, daß ein seltsamer Schwefelgeruch aus ihm hervorsteige.

Es lebte in geringer Entfernung von diesem See ein junger Pächter namens Roderich Keating, Bräutigam mit einem der schönsten Mädchen der ganzen Gegend. Eben war er von Limerick, wo er einen Trauring gekauft hatte, im Geleit zweier oder dreier von seiner Bekanntschaft zurückkehrend, an dem Gestade des Sees angelangt, als diese mit ihm über Gretchen Honan ihren Scherz zu treiben begannen. Einer erwähnte sogar, daß der junge Delaney, ein Nebenbuhler, in des Bräutigams Abwesenheit um die Gunst der Geliebten würbe; aber Roderichs Vertrauen auf seine Verlobte war so fest, daß er, ohne im geringsten durch diese Rede beunruhigt zu werden, mit der Hand in die Tasche griff, den Trauring hervorzog und ihn bedeutungsvoll umherblickend in die Höhe hielt. Indem er so den Ring, als ein wahres Siegeszeichen zwischen Zeigefinger und Daumen umdrehte, entfiel er seiner Hand und rollte in den See hinab. Roderich sah ihm mit der höchsten Bestürzung nach, weniger seines Wertes, obgleich er eine halbe Guinee dafür gegeben hatte, als der schlimmen Vorbedeutung wegen; das Wasser war so tief, daß man des Rings schwerlich wieder habhaft werden konnte. Seine Gefährten lachten ihn aus; vergeblich suchte er durch das Anerbieten ansehnlicher Belohnung sie zu bewegen, nach dem Ring unterzutauchen, sie waren sowenig zu dem Wagstücke geneigt, als Roderich selbst; die Erzählungen, die sie als Kinder vernommen hatten, schwebten ihrem Gedächtnis vor und abergläubische Furcht erfüllte die Brust eines jeden.

»Muß ich also nach Limerick umkehren einen andern Ring zu kaufen?« rief der junge Pächter, »zehnmal soviel als der Ring kostet, will es keiner darum wagen?«

Unter den Umstehenden befand sich ein Mensch, den man allgemein für blödsinnig und nicht recht bei Troste hielt, er war aber unschuldig wie ein Kind und pflegte in der Gegend hin und her von einem Ort zum andern zu gehen. Als er so ansehnlichen Lohn ausrufen hörte, erklärte Paddin, denn das war sein Name, wolle ihm Roderich Keating geben, was er den andern verheißen hätte, so getraue er sich wohl nach dem Ring unterzutauchen. Und Paddin schaute, während er sprach, eben so begierig nach der Lustfahrt hin als nach dem Geld.

»Ich halte dich beim Wort« sprach Roderich und augenblicklich seinen Rock abziehend, ohne weiter eine einzige Silbe zu verlieren, stürzte sich Paddin häuptlings in den See. Wie tief er hinein kam, läßt sich nicht genau berichten, aber er ging und ging und ging durch das Wasser fort, bis das Wasser vor ihm wich und er auf ein trockenes Land gelangte. Himmel, Luft, Tageslicht und alles andere waren da gerade so wie hier bei uns; er sah einen reizenden Grund, wodurch ein zierlicher Weg führte nach einem großen, mit stattlichen Treppen umgebenen Hause. Sobald er sich von seinem Staunen erholt hatte, unter dem Wasser so trocknes und anmutiges Land zu finden, schaute er genauer um und was sollte er anders erblicken, als die ertrunkenen Jünglinge, die sich in diesem Lustort beschäftigten, als wäre ihnen niemals ein Übel zugestoßen. Einige mähten Gras, einige schafften Kiessand auf den Weg oder taten andere leichte Arbeiten, und vollbrachten alles auf so gute Art und so munter, als wären sie niemals ertrunken. Dann sangen sie mit großer Lust Lieder, worin sie die Frau vom Hause wegen ihrer Schönheit und ihres Reichtums priesen, wogegen nichts in der Welt bestehen könne. Paddin konnte sich nicht enthalten, ihnen zuzusehen, einige darunter, bevor sie im See ertrunken waren, hatte er gut gekannt; aber er war stumm wie ein Fisch, dachte dafür sein Teil, und kein Sterbenswörtchen kam über seine Lippen. So ging er nach dem großen Haus zu, ganz unbefangen, als habe er nichts gesehen, was der Rede wert gewesen, dabei wünschte er gar sehr, zu wissen, wer die junge Frau wäre, von welcher die jungen Männer in ihrem Gesang so viel Wesens gemacht hatten.

Als er nah zu dem Tor des großen Hauses gelangt war, trat aus der Küche eine gewaltig dicke Frau heraus, wie eine Biertonne auf zwei Beinen. Daher bewegte sie sich und Zähne ragten aus ihrem Munde, nicht geringer als Pferdezähne.

Sie kam auf ihn zu und sagte: »Guten Morgen, Paddin.«

»Guten Morgen, Frau«, antwortete er.

»Was bringt Euch hierher?« fragte sie.

»Ich komme wegen Roderich Keatings Goldring.«

»Hier ist er«, sagte Paddins dicke Freundin, mit einem Lächeln auf ihrem Gesicht, das sich bewegte, wie kochender Haferbrei.

»Ich danke Euch«, antwortete Paddin und nahm den Ring aus ihrer Hand. »Es ist nicht nötig, daß ich hinzufüge, der Herr gebe Euch sein Gedeihen! Denn ihr seid bereits wohlbeleibt genug. Aber wollt Ihr so gut sein und mir sagen, führt der Weg, auf welchem ich gekommen bin, auch wieder zurück?«

»Kamt Ihr denn nicht, mich zu heiraten?« schrie die dicke Frau ganz außer sich.

»Diesmal nicht, mein Schatz, wann ich wiederkomme«, antwortete Paddin. »Ich werde für meinen Gang hierher gut bezahlt und muß machen, daß ich Antwort bringe, oder die werden Wunder denken, was aus mir geworden sei.

»Bekümmert Euch um kein Geld«, sagte die dicke Frau, »wenn Ihr mich heiratet, so sollt Ihr für euer Lebtag in dem Haus wohnen und an nichts Mangel leiden.«

Paddin sah deutlich, daß, da er einmal im Besitz des Ringes sei, die dicke Frau weiter keine Gewalt habe, ihn zurückzuhalten. Ohne also länger auf ihre Worte zu achten, wandelte er ganz gelassen den Gang wieder herab und schaute sich dabei um; denn er hatte, die Wahrheit zu sagen, keine sonderliche Lust, die dicke Hexe zu heiraten. Als er zu dem Gatter kam, stürzte er, ohne nur guten Tag zu sagen, hinaus und fand das Wasser, welches ihm entgegen kam. Er sprang hinein und arbeitete sich in die Höhe und es war wunderbar genug, da man den Paddin nach der entgegengesetzten Seite des Sees hatte wegschwimmen sehen; doch er gelangte bald ans Ufer und erzählte dem Roderich Keating und den andern Burschen, die da standen und auf ihn gewartet hatten, alles was ihm begegnet war. Roderich zahlte ihm auf der Stelle fünf Guineen für diesen Ring und mit diesem Geld in der Tasche deuchte sich Paddin so reich, daß er nicht Lust hatte zurückzukehren und die dicke Frau zu heiraten, die in dem Grund des Sees in dem schönen Hause saß. Er dachte, sie hat ja unter der Menge junger Leute die Wahl, wenn ihr die Lust ankommen sollte, einen Mann zu nehmen.

Quelle: Brüder Grimm - Irische Elfenmärchen