Der Zaubertopf und die Zauberkugel
In einem Dorf lebte vorzeiten ein armer Kirchendiener, der nur mit Mühe sein und seiner Familie Leben fristete. Seine Frau handelte mit Eiern, die sie nach der nahe gelegenen Stadt trug, wo sie für den Erlös Nahrungsmittel kaufte. Aber plötzlich verlor sie fast alle Hühner, und sie sah sich genötigt, auch das letzte noch zu verkaufen.
Am nächsten Morgen ging sie nach der Stadt mit einem Korb auf dem Rücken, in welchem sich die Henne befand. Sie mußte über einen steilen Berg gehen und setzte sich unterwegs nieder, um ein wenig auszuruhen. Plötzlich sprang aus dem Gebüsch ein Männchen hervor, welches einen großmächtigen weißen Bart hatte. Es trat näher zu der erschrockenen Frau und fragte, wohin sie gehe.
Sie antwortete: „Nach der Stadt, um meine einzige Henne zu verkaufen.“
Das Männchen erwiderte: „Wenn du willst, so gebe ich dir einen Topf für die Henne.“
Die Frau lachte über diesen Antrag und sagte: „Du mußt nicht glauben, daß ich nicht weiß, was ein Topf und was eine Henne wert ist.“
Das Männchen aber entgegnete: „Lach nicht zu früh, es wird sich erst zeigen, ob die Henne oder der Topf wertvoller ist; wenn du übrigens nicht willst, zwingen kann ich dich nicht.“ Die Frau besann sich noch einige Zeit und willigte endlich in den Tausch ein.
Das Männchen verschwand und kam nach einiger Zeit mit einem rußigen Topf zurück und sprach: „Mit diesem Topf kannst du alles herbeischaffen, was du nur wünschst. Wenn du ihn gebrauchen willst, so stell ihn in den Schatten, bedecke ihn und sprich: ‚Fülle dich, Topf‘, und du wirst sehen, daß der Topf gehorcht; nur hüte dich, ihn je zu reinigen oder von der Sonne bescheinen zu lassen.“
Die Frau nahm den Topf in Empfang, versprach, alle Vorsichtsmaßregeln zu beachten, und entfernte sich.
Sobald sie zu Hause ankam, wollte sie sich überzeugen, ob der Topf auch wirklich diese Eigenschaften besitze. Sie ging damit in den Schatten, bedeckte ihn und sprach: „Fülle dich, Topf, mit Milch.“ Sie nahm den Deckel weg und der Topf war bis an den Rand mit Milch gefüllt. Sie suchte nun ihren Mann auf, um ihm ihr Glück zu erzählen.
Lange Zeit hatte der Topf der Familie gute Dienste geleistet, aber nach jedem Gebrauch wurde er schwärzer und glänzte wie Ebenholz. Die Frau rieb daher eines Tages den schwarzen Topf blank und stellte ihn an die Sonne. Als er trocken war, glänzte er wie pures Gold. Die Frau war darüber sehr erfreut und wollte den Topf in das Zimmer tragen, aber kaum hatte sie die Hand nach dem Topf ausgestreckt, als sie auch schon einen so derben Schlag erhielt, daß sie ohnmächtig niederstürzte. Als sie wieder zu sich kam, sah sie, daß der Topf verschwunden war. Jetzt erst erinnerte sie sich, daß sie das Gebot übertreten habe, und an die Stelle des Überflusses trat wiederum die Not. Deshalb sagte die Frau zu ihrem Mann, er solle auch einmal in die Stadt gehen, Vielleicht begegne er jenem Männchen.
Der Kirchendiener ging zu seinem Nachbar, kaufte von ihm ein Lamm und trieb es nach der Stadt. Als er auf dem Berg ankam, setzte er sich auf derselben Stelle nieder, wo vor einiger Zeit seine Frau ausgeruht hatte. Er blieb einige Zeit sitzen, aber es wollte sich kein Männchen zeigen. Endlich stand er auf und ging weiter, da rauschte es plötzlich im Gebüsch, und das Männchen stand vor ihm.
„Wohin eilst du?“ fragte es.
Der Kirchendiener, der schnell das Kreuz machte, antwortete mit zitternder Stimme: „Ich treibe dieses Lamm nach der Stadt, um es zu verkaufen.“
Das Männchen sagte hierauf: „Deine Mühe ist vergebens, denn heute sind so viele Schafe auf dem Markt, daß das deinige ganz unbeachtet bleiben wird; aber wenn du willst, so gebe ich dir eine Kugel dafür.“
„Aus diesem Tausch kann nichts werden“, sagte der Kirchendiener, „denn wenn ich mein Lamm verkaufe, so kann ich mir genug Kugeln kaufen.“
Darauf sagte das Männchen zum Kirchendiener, der sich indessen ein wenig gefaßt hatte: „Sprich nicht so voreilig, ich weiß nicht, ob du dir solche Kugeln kaufen kannst, wie ich sie besitze; wenn du aber nicht willst, so behalte dein Lamm, ich brauche es nicht.“
Der Kirchendiener, der jetzt an den Topf dachte, ging endlich auf den Tausch ein.
Das Männchen verschwand und kam nach einiger Zeit mit einer Kugel wieder, die aus Holz zu sein schien. Sodann sprach es zum Kirchendiener: „Wenn du diese Kugel gebrauchen willst, so lege sie auf die Erde und sprich: ‚Kugel, sei höflich, und nimm die Mütze ab‘; du wirst die Wirkung dann schon sehen. Jedoch hüte dich, wenn du die Kugel gebrauchst, etwas offen zu lassen.“
Der Kirchendiener nahm die Kugel in die Hand, aber er konnte sie kaum halten, so schwer war sie. Er band sie nun in ein Tuch und eilte voller Freude nach Hause.
Zu Hause angekommen, beschloß er den Versuch zu machen, schloß alle Fenster und Türen, legte die Kugel auf die Erde und sprach: „Kugel, sei höflich, und nimm die Mütze ab!“
Die Kugel fing an zu rollen, und zwar immer stärker und stärker, und endlich teilte sie sich in zwei Teile, und eine Menge kleiner Männchen hüpften aus derselben heraus und bedeckten den Tisch mit goldenem Geschirr und köstlichen Speisen; sodann verschwanden sie wieder in die Kugel.
Die Familie setzte sich nun zum Mahl und ließ es sich wohl schmecken. Kaum hatten sie gegessen, so teilte sich die Kugel, und dieselben Männchen, die früher den Tisch gedeckt hatten, räumten ab und verschwanden mit dem goldenen Geschirr in die Kugel, die sich, als alle drinnen waren, wieder schloß.
Lange besaß die Familie diese Kugel, und man ging mit ihr vorsichtiger um als mit dem Topf. Allein nach und nach wurde es im Ort bekannt, daß der Kirchendiener eine Zauberkugel besitze, und es kam auch zu den Ohren des Klostervorstehers. Dieser ließ den Kirchendiener vor sich kommen und befragte ihn, ob das, was man von ihm spreche, wahr sei. Anfangs wollte der Kirchendiener mit der Farbe nicht heraus, als ihm aber der Vorsteher mit Entlassung drohte, gestand er alles der Wahrheit gemäß. Der Vorsteher befahl dem Kirchendiener, die Kugel zu bringen. Der gehorchte, und nachdem er erklärt hatte, wie man mit der Kugel zu Werke gehen müsse, entließ ihn der Vorsteher mit der Versicherung, ihm eine einträglichere Stelle zu verschaffen.
Allein diese ließ sehr lange auf sich warten, und der Kirchendiener entschloß sich, noch einmal auf den Berg zu gehen und das Männchen um eine andere Kugel zu bitten. Er kaufte deshalb zwei Ochsen und trieb sie nach der Stadt. Wie er auf dem Berg ankam, ruhte er aus. Aber kaum hatte er sich niedergesetzt, so war auch schon das Männchen da.
Es fragte ihn: „Kommst du wieder eine Kugel holen?“
„Ja“, war die Antwort des Kirchendieners. „Ich möchte aber gern eine noch bessere Kugel haben, deshalb habe ich zwei Ochsen mitgenommen.“
„Du sollst sie haben“, antwortete das Männchen, verschwand und brachte eine etwas größere Kugel als das vorige Mal. Diese gab es dem Kirchendiener mit den Worten: „Was du zu tun hast, weißt du.“
Der Kirchendiener bejahte es und entfernte sich. Als er zu Hause ankam, schloß er alle Türen und Fenster, legte die Kugel auf den Boden und sagte: „Kugel, sei höflich, und nimm die Mütze ab!“
Die Kugel fing an zu rollen, und zwar immer schneller und schneller, und teilte sich endlich; aber welcher Schrecken – statt der kleinen Männchen mit goldenen Schüsseln kamen zwei Riesen mit ungeheuren Knütteln aus der Kugel und schlugen alle so unbarmherzig, daß sie ohnmächtig auf dem Boden herumlagen. Dann kehrten sie wieder in die Kugel zurück.
Der erste, der sich von der Ohnmacht erholt hatte, war der Kirchendiener, und dieser beschloß, sich an seinem Vorgesetzten furchtbar zu rächen. Er nahm die Kugel und ging zu demselben, allein er erhielt keinen Einlaß, weil Gäste da wären. Das war dem Kirchendiener noch erwünschter; er ließ nämlich dem Vorsteher des Klosters melden, daß er nun eine weit bessere Kugel besitze. Dieser ließ ihn sogleich rufen und forderte ihn auf, das Kunststück vor der ganzen Gesellschaft zu zeigen.
Der Kirchendiener legte die Kugel auf den Boden und sprach: „Kugel, sei höflich, und nimm die Mütze ab!“
Die Kugel teilte sich in zwei Teile, und die zwei Riesen fielen mit ihren Knütteln über die wehrlosen Gäste her und schlugen sie so derb, daß sie wie Mücken am Boden herumlagen. Nur der Vorsteher hatte die Besinnung nicht ganz verloren und schrie fortwährend zu dem Kirchendiener, er solle die zwei Teufel zur Ruhe bringen. Allein der Kirchendiener entgegnete ihm: „Nicht früher werden sie ruhen, bis ich meine alte Kugel habe.“
„Da ist der Schlüssel zu jenem Kasten, und in diesem ist die Kugel“, sprach der Vorsteher, und die beiden Riesen zogen sich in die Kugel zurück.
Der Kirchendiener ging zu dem Kasten hin, sperrte ihn auf, nahm die Kugel und ging mit beiden nach Hause.
Er benützte die kleinere Kugel noch lange Zeit. Eines Tages hatte er seine Freunde zu sich geladen, und als alle beisammen waren, nahm er die Kugel, legte sie auf den Boden und sprach: „Kugel, sei höflich, und nimm die Mütze ab!“
Die Kugel fing an zu rollen. Aber während sie rollte, trat jemand in die Stube, und die Kugel flog durch die offene Tür ins Freie. Alle stürzten hinaus und liefen der Kugel nach, aber diese rollte immer schneller und teilte sich endlich, worauf eine Unzahl kleiner Männchen aus der Kugel herauskamen und mit allerlei Goldsachen davoneilten. Und zwar liefen die Männchen auf die Berge, wo sie jetzt noch das Gold hüten.
Auch die andere Kugel war durch die offene Tür hinausgeflogen und hatte sich ebenfalls geteilt. Allein aus dieser kamen keine Männchen, sondern nur eine Schar Riesen, welche ebenfalls ins Gebirge flüchteten. Und dort halten sie sich noch immer auf.
Quelle: Theodor Vernaleken, Kinder- und Haus- Märchen aus Österreich, Wien 1863