Von Hans-Jürgen Geese
Im Jahre 1864 erhielt die Stadt Ulm 142 Anträge von Deutschen, die Bürger der Stadt werden wollten. Der Stadtrat prüfte diese Anträge. 9 wurden abgelehnt. Unter ihnen befand sich der Schlachter Conrad Angele, der aus finanziellen und moralischen Gründen als nicht würdig befunden wurde, ein Bürger der Stadt Ulm zu werden.
Als der Stellmacher Friedrich Vogt, ein Bürger von Ulm, eine Frau von außerhalb Ulms heiraten wollte, die bereits zwei illegale Kinder hatte, gewährte der Stadtrat der Frau das Bürgerrecht, aber nicht den Kindern.
Ulm war einst eine Freie Reichsstadt, ab 1802 bayrisch, seit 1810 württembergisch. Württemberg war zu jener Zeit ein Königreich. Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 wurde aus dem Königreich ein Bundesstaat, ein Schritt, der mit weitreichenden Souveränitätsverlusten für das Königreich verbunden war. Der Stadtrat musste jetzt nach der Pfeife von Leuten tanzen, die in Berlin hockten. Denn nach 1871 wurde aus einer Ansammlung von deutschen Nationen ein deutscher Staat.
Nation und Staat
Laut Wikipedia ist „eine Nation eine große Gruppe von Menschen, die ein bestimmtes Gebiet bewohnt. Diese Menschen haben etwas gemeinsam. Das Gemeinsame kann die Sprache sein, die Geschichte, Traditionen, die Wirtschaft, die Kultur, die Religion, die Herkunft der Menschen und manches andere.“
Was nun ist ein Staat? Lassen Sie mich als Beispiel Großbritannien nehmen. Großbritannien besteht aus 4 Nationen: Schottland, Wales, Nordirland und England. Großbritannien ist ein Staat, ein übernationales, künstliches Gebilde.
Sie haben vielleicht mitbekommen, dass alle 4 Nationen ihre Selbständigkeit von Großbritannien zurückbekommen wollen. Vor allem Schottland und England. Warum? Weil eben ein Engländer kein Schotte ist und ein Schotte kein Engländer. Die wollen nicht zusammen gehören. Und die Engländer wollen endlich ihr eigenes Parlament, was ihnen bisher verwehrt wurde. Vom Staat.
Der böse Staat: Wie konnte es sein, dass der deutsche Staat den Bürgern von Ulm die Rechte beschnitt, und wie konnte der Staat mit Namen Großbritannien den Bürgern in England das Recht verwehren, ihr eigenes Parlament zu haben?
Lassen Sie mich sogleich stracks zur Sache kommen und als Autorität in dieser ungemein wichtigen Angelegenheit den deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche anführen, der nach tiefsinnigen Überlegungen und Forschungen und allerlei Erfahrungen zu folgendem Ergebnis gelangte. Zitat: „Staat heißt das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: „Ich, der Staat, bin das Volk.“ Harte Worte. Harte Worte der Wahrheit?
Wie kam es zu diesem „Ungeheuer“ Staat in Deutschland?
Nachdem Napoleon in Europa gewütet hatte kam es zu einer langen Zeit des relativen Friedens. Die Bevölkerungszahlen explodierten geradezu. Die verbesserten Hygieneverhältnisse in den Städten senkten die Sterberate. In den Dörfern gab es bald nicht mehr genug Arbeit für all diese Menschen, die sich daher eine neue Heimat suchen mussten. Viele gingen nach Amerika. Die meisten jedoch suchten sich eine neue Heimstatt innerhalb ihrer eigenen Nation oder aber sie fanden Arbeit in einem anderen deutschen Land. Um 1800 umfasste das Gebiet Deutschlands über 300 Klein- und Mittelstaaten. Diese Zahl verringerte sich im Laufe des Jahrhunderts auf schließlich 25 Bundesstaaten im Kaiserreich.
Es mag Sie interessieren, zu wissen, dass Napoleon in Deutschland viele Bewunderer hatte. Viele Deutsche dienten in seiner Armee. Napoleon wird der Ausspruch zugeschrieben, dass jeder in seiner Armee den Marschallstab im Tornister trage. So etwas hatte es noch nie gegeben. Und, um ehrlich zu sein, es waren nicht viele deutsche Studenten, die in der Völkerschlacht bei Leipzig auf die „Franzosen“ draufhauten.
Und, um ehrlich zu sein, es waren nicht viele Deutsche, die Anfang des 19. Jahrhunderts von einer deutschen Vereinigung träumten. Das war zumeist die sogenannte Intelligenz und ein Teil des Bürgertums. Den Bauern in Pommern oder Bayern juckte das wenig. Und, um noch einmal ehrlich zu sein, selbst der deutsche Kaiser musste überzeugt werden, dass das mit der Vereinigung und mit ihm an der Spitze eine gute Idee war. Und, mein Gott, selbst der große Bismarck hielt sich bis zu seinem Tode für einen Preußen. Warum? Weil ein Preuße nun mal kein Bayer ist. Und ein Württemberger ist kein Hamburger.
In Deutschland kam 1871 zusammen, was nicht zusammen gehörte. In Deutschland kam 1945 zusammen, was nicht zusammen gehörte. In Deutschland kam 1990 zusammen was nun wirklich nicht zusammen gehörte. In jedem dieser Fälle wurde aus Nationen ein Staat. In keinem dieser Fälle wurden die Deutschen befragt ob sie das wirklich wollten. Warum wohl?
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https://www.anderweltonline.com/klartext/klartext-20231/der-staat-ist-ein-ubel-wesen/