Der Gang in die Mühle
Es war einmal eine Frau, die hatte einen großen Sohn, aber er war nicht recht bei Verstand, und sie konnte ihn nirgends hinschicken mit einem Auftrag, denn er konnte sich nie merken, was man ihm gesagt hatte.
Eines Tages wollte sie gerne zwei Scheffel Buchweizen aus der Mühle haben und dachte, das könne er doch wenigstens besorgen, und sagte zu ihm: »Kannst du mir aus der Mühle zwei Scheffel Buchweizen holen?« – »Ja, freilich«, sagte er. »Aber vergiß es nicht!« sagte sie. Nein, er wolle es nicht vergessen, sagte er, denn er gab immer pünktlich Antwort. »Du solltest es unterwegs immer vor dich hinsagen!« Also ging er hin und sprach immer vor sich hin: »Zwei Scheffel. Zwei Scheffel. Zwei Scheffel.« Aber schließlich sprach er so laut, daß jeder es hören konnte.
Da kam er an einem Mann vorbei, der Korn säte. Als der hörte, was der Bursche sagte, ärgerte er sich, denn er hatte sieben Tonnen gesät, und nun schien ihm der Bursche vorauszusagen, daß er nur zwei Scheffel ernten würde. »Du Lausekerl, ich will dir helfen!« und damit gab er ihm etliche Hiebe. »Untersteh dich, so zu sagen!« – »Ja, was soll ich denn sonst sagen?« – »Du sollst sagen: Gott, gib hundertfach!« Das war ihm recht, und er ging seiner Wege und sagte in einem fort: »Gott, gib hundertfach! Gott, gib hundertfach!«
Da kam er an einem Gehöft vorbei, wo man eben Jagd auf die Ratten machte. Als ihn da die Leute so rufen hörten, wurden sie ganz wütend, weil er ihnen das Hundertfache wünschte, und so bekam er wieder einen Buckel voll Schläge. »Halt dein Maul, du Lausekerl, mit solchem Gerede!« sagten sie, als sie ihn losließen. »Ach ja, ich will schon«, sagte der Bursche und flennte jämmerlich, »aber, was soll ich denn sagen?« – »Du sollst sagen: Weg mit dem Teufelszeug!« – Dazu war er wohl bereit und ging weiter und rief, wie er gehört hatte: »Weg mit dem Teufelszeug! Weg mit dem Teufelszeug!«
Da kam er bald darauf an einem Leichenzug vorbei. Als die Leute hörten, was der Bursche rief und was er da über den Toten sagte, wurden sie so zornig, daß sie ihn am Schlafittchen packten und gehörig versohlten. »So darfst du nicht sagen, du Lump!« schrien sie und zogen ihm noch ein paar Tüchtige über. Da fragte er ganz jämmerlich, was er denn eigentlich sagen sollte? »So trägt man einen Toten zu Grab!« sagten sie ihm. Dazu war er bereit und ging wieder seines Weges weiter, aber nun rief er: »So trägt man einen Toten zu Grab! So trägt man einen Toten zu Grab!«
Da begegnete er einem, der ging auch rasch seines Weges und hatte einen Windhund mit sich, den er verkaufen wollte. Als er hörte, was der Bursche da rief, ärgerte er sich, denn er meinte, er wolle ihn verspotten. Und er packte den Burschen und gab ihm eine Tracht Prügel. »Was brauchst du Lumpenkerl das zu rufen! Nun sollst du es nur noch einmal probieren!« – »Aber, was soll ich denn sonst sagen?« fragte er. »Du mußt sagen: So führt man einen Hund zum Markt!« gab er zur Antwort. Das wollte er gern sagen und ging weiter und rief, was er nun gelernt hatte: »So führt man einen Hund zum Markt! So führt man einen Hund zum Markt!«
Da kam er an einen Hof, wo man eben die Tochter auf den Wagen hob. Sie war als Hochzeiterin gekleidet und fuhr zur Trauung in die Kirche. Als die Leute hörten, was der Bursche rief, meinten sie, er schelte die Braut einen Hund, und sie packten ihn und prügelten ihn fürchterlich und gaben ihm zu verstehen, daß er nur nicht probieren solle, seinen Ruf zu wiederholen. »Ja, was soll ich denn sonst sagen?« jammerte der arme Bursche, der nun schon ganz mürbgeschlagen war. – »Du sollst sagen: Hier ist Freude im Hause!« sagten die Leute. Dazu war er bereit und ging seines Weges und rief, so schön er konnte – es war doch ein jämmerliches Geflenne – »Hier ist Freude im Hause! Hier ist Freude im Hause!«
Schließlich kam er an einen Hof, der stand in hellen Flammen, und es standen viele Leute herum und versuchten zu löschen. Als sie hörten, was der Bursche rief, wurden sie auch zornig. »So darfst du nicht sagen!« brüllten sie. »Du elender Hund! Willst du sagen, daß hier Freude im Hause ist? Bei dem schrecklichen Unglück, das passiert ist!« Und sie wurden seiner habhaft, denn einer solchen Menge konnte er nicht entkommen, auch wenn er gewollt hätte, und so bekam er noch die schlimmste Tracht von allen Prügeln, die ihm bisher geblüht hatten. »Aber, was soll ich denn sagen?« jammerte der Bursche. – »Du sollst sagen: Gott, still Wetter und Wind!« Das ließ er sich gesagt sein und ging seiner Wege und rief den Spruch.
Schließlich kam er an die Mühle. Da stand der Müller und rückte an den Flügeln, denn die Mühle wollte nicht gehen, weil es windstill war, und darüber war der Müller sehr ärgerlich, weil er viel zu mahlen hatte. Deshalb fuhr er auf den Burschen los, als er ihn rufen hörte: »Mußt du elender Kerl auch noch kommen und so rufen!« Und auch hier setzte es wieder einige hintenüber. Aber der Bursche war nun so verprügelt und erschrocken, daß er gleich zu weinen anfing, und das wurde so heftig, daß er rein vergaß, was er zuletzt gesagt hatte, und was er besorgen sollte, das hatte er schon längst vergessen.
Der Müller konnte nichts aus ihm herausbekommen, obgleich er ihn kreuz und quer ausfragte. Schließlich kam er darauf zu sagen: »Wer hat denn gesagt, du solltest rufen: Gott, still Wetter und Wind?« Das wußte er noch; es seien die Leute gewesen auf dem Hof, der in Flammen stand. »Sie haben mich geschlagen und gesagt, ich sollte nicht so rufen.« »Wie solltest du denn nicht rufen?« Nun fiel ihm auch das wieder ein. »Ich sollte nicht sagen: Hier ist Freude im Haus.« »Wer hat denn gesagt, du solltest das rufen?« Das wußte er auch noch: »Das haben mich die Leute in dem Hof geheißen, wo man eine Frau auf den Wagen hob, denn sie haben mich geschlagen und gesagt, ich dürfe nicht so rufen.«
»Was hast du denn da gesagt?« forschte der Müller weiter.
»Ich sagte in einem fort: So führt man einen Hund zum Markt.« – »Und wer hat dich denn das gelehrt?« – »Das hat einer getan, der führte einen Hund«, sagte der Bursche, »er hat mich auch geschlagen und gesagt, ich solle nicht so rufen.« – »Was hast du denn da gesagt?« – »Ich sagte immerzu: So trägt man die Toten zu Grab«, sagte der Bursche; er konnte nun antworten wie geölt, nachdem der Müller am richtigen Ende zu fragen angefangen hatte.
»Wer hat dich denn geheißen, so zu rufen?« – »Das waren die Leute in einem Haus am Weg, da trug man eben einen toten Mann hinaus, und sie haben mich geschlagen und gesagt, ich dürfe nicht so rufen.« – »Na, was hast du denn da gerufen?« – »Ich habe immerzu gerufen: Weg mit dem Teufelszeug!« – »Und wer hat dich denn geheißen, so zu rufen?« »Das waren die Leute in einem Hof, die Ratten totschlugen«, sagte der Bursche, »sie haben mich geschlagen und gesagt, ich solle nicht so rufen.« – »Was hast du denn da gesagt?« – »Wart ein wenig, jetzt fällt es mir ein, da ging ich meines Weges und sagte: Gott, gib hundertfach, und das ärgerte sie.« – »Aber nun laß mich wissen, wer hat dich denn das gelehrt?« – »Das war ein Mann, der sagte, ich solle so rufen; er ging auf dem Feld neben der Straße und säte und ärgerte sich, als ich kam und schlug mich und sagte, ich dürfte nicht so rufen.« – »Aber, was hast du denn da gerufen?« sagte der Müller.
»Da habe ich gesagt: Zwei Scheffel! Zwei Scheffel! Halt, zwei Scheffel Buchweizen sollte ich holen!«
Nun bekam der Bursche seine zwei Scheffel Buchweizen, und damit ist die Geschichte aus.
Quelle: Dänemark: Klara Stroebe: Nordische Volksmärchen