Das schwarze Schiff
Vor vielen, vielen Jahren wohnte in der Gemeinde von Asdal in Nörre-Kjul ein Fischer namens Peder Hansen. Er hatte nur einen Sohn, und der hieß Frederik. Als er eines Tages draußen auf dem Meer war, um zu fischen, entdeckte er ein schwarzes Schiff, daß sich mit großer Fahrt näherte. An Bord dieses Schiffes war nur ein Mann, der die Farbe des Schiffes hatte und schwarz war. Er fragte den Vater, ob er ihm nicht seinen Sohn überlassen wolle, wenn er ihn dreimal mit Goldstücken aufwiege. Wenn er auf diesen Vorschlag einging, sollte er bei seiner Rückkehr soviel Geld haben, wie er sich nur wünschen könnte. Der Vater beratschlagte sich mit seinem Sohn, und der Sohn, der ein kräftiger Bursche war, fand den Plan gut, geht an Bord des Schiffes und läßt sich wiegen. Und der Vater erhält die vereinbarte Summe somit als Zugabe noch ein paar ungeheure Edelsteine. Nun rudert der Vater an Land, und das Schiff fuhr los. Als nun der Fischer nach Hause kommt und alles erzählt, wird der Mutter ganz erbärmlich zu Mut und sie beginnt ihren einzigen Sohn zu bejammern, weil sie ja glaubt, ihn niemals wiedersehen zu können. Als sie aber das ganze Geld sieht, gibt sie sich doch zufrieden. Der Mann kauft sich den Haupthof Asdal, und wir lassen ihn dort vorläufig wohnen.
Sobald das Schiff ein paar Meilen weg war, wird es auffallend dunkel. Und es bleibt solange dunkel, bis sie Land erreichen und an einer Brücke anlegen. Der schwarze Mann sagt nun Frederik Bescheid, wie er sich zu verhalten habe. Er geht in ein Schloß, wo alles dunkel ist. Draußen vor dem Tor stehen zwei Löwen als Schildwache, rühren sich aber nicht und lassen ihn ungeschoren passieren. Der schwarze Mann hatte aber Frederik gesagt, daß er nur Hans zu rufen brauche, wenn er Hunger bekäme oder sonst eine Bequemlichkeit nötig
hätte; denn Hans wäre der Diener auf dem Schloß und sollte ihm immer zur Verfügung stehen. Nachdem er eine Zeitlang rumgelaufen war, merkte er, daß sich der Hunger einstellt, und er ruft nach Hans. Der fragte, was sein Herz befehle. - „Der will etwas zu essen haben und zwar auf der Stelle und nicht zu schlecht!“ Da führt in Hans in ein Raum, durch desen Decke ein erbärmlich kleines Loch ging, durch das so sparsames Licht drang, daß er gerade noch sehen konnte, was er aß und weiter nichts. Sobald er sich satt gegessen hatte, war es wieder dunkel wie in den anderen Zimmern. Hans sagte ihm nun, daß er ihn nur zu rufen brauche, wenn er etwas anordnen wollte; denn er würde jetzt alles für ihn tun. Als es neun schlägt, wird er schläfrig, und er ruft Hans, der ihm ein Bett zeigt, einen Stuhl und einen Tisch, auf dem er seine Kleider legen kann. Nachdem er eine gute Viertelstunde gelegen hatte, hört er, wie etwas Schleppendes ankommt, ans Bett kommt und sich ohne weiteres neben ihn hinlegt. Er bekommt zuerst einen Schreck. Doch er macht sich Mut, befühlt den Kopf und merkt, daß eine Frau neben ihm liegt. Aber er kann ihren schleppenden Schritt nicht verstehen. Und er wagt auch nicht danach zu fragen. Als er am nächsten Morgen erwacht, entdeckt er statt seiner alten Fischerkleidung, einen eleganten Anzug. Er kann ihn bei dieser Dunkelheit natürlich nicht richtig sehen, aber er merkt doch am Stoff, wie fein er ist. Sobald er sich angezogen hat, meldet sich Hans unaufgefordert und fragt, ob es dem Herrn beliebe, das Frühstück servier zu bekommen. Ja, er bekomme jetzt ein so herrliches Frühstück, wie er es noch nie zuvor erhalten hat. Nach dem Frühstück fühlte er sich bester Laune und spaziert durch das Schloß. Und als es zwölf schlägt, findet er sich im Speisesal ein, den er nun in der Dunkelheit zu finden gelernt hat, und dort bekommt er die besten Gerichte. Da fragt ihn Hans, wie er in der Nacht geschlafen habe, und ob er sich bei seinem Schlafgefährten wohl gefühlt habe.Er bejahte die Frage und meint, wenn er wüßte, wer das sei. „Ja“, sagt Hans, „da liegt der Hase im Pfeffer. Während der drei Jahre, die du hier wohnen mußt, darfst du nich ein einziges Mal sehen, wer neben dir schläft. Aber sonst bekommst du alle deine Bequemlichkeiten.“
Sobald es wieder Nacht wurde, ging er zu Bett, das heißt um neun Uhr. Aber es war ja gar kein Unterschied zwischen Tag und Nacht. Das schleppende Wesen kam wie in der vergangenen Nacht und legte sich ins Bett. Und er faßt nun ein bißchen mehr Mut und spricht sie folgendermaßen an: „Ich möchte doch gern wissen, warum ich eigentlich hier bin?“ – „Ja, das ist schon sehr wichtig.“ „Wenn man es sich nur richtig vorstellen könnte, was das alles zu bedeuten hat.“ „Ja, es kommt ja gerade darauf an, daß du weder mich noch etwas von deiner Umgebung zu Gesicht bekommst.“ – „Das ist alles sehr merkwürdig, ich habe nun zweiundzwanzig Jahre gelebt und war noch niemals so sehr der Sonne beraubt wie hier an einem einzigen Tag.“ – „Ja, ich werde dir nun die Erklärung geben, die mir erlaubt ist. Das Schloß ist, wie du siehst, verzaubert oder verhext. Und in diesem Zustand soll es eine für dich unbekannte Zeit bleiben. Indessen genießt du alle Bequemlichkeiten, die du nur haben willst, weiter. Nur Licht bekommst du nicht.“ Die ganze lange Zeit geht nun so gleichmäßig dahin. Da sagt er eines Tages zu dem Wesen im Bett, daß er sich danach sehne, seine Eltern einmal wiederzusehen, falls das möglich wäre. Ja, das kann sich machen lassen“, sagt sie, „sobald du es wünschst, wird dich Hans zum Schiff führen, und dort ist dann der schwarze Mann, nach dem du dich richten mußt.“ Am anderen Morgen, befahl er Hans in aller Frühe, einen Wagen anzuspannen und ihn hinunter zum Schiff zu fahren. Und der Befehl wurde augenblicklich ausgeführt. Sobald er an Bord ist, werden die Segel gesetzt, und nach kurzer Fahrt kommt Kjul in Sicht. Der schwarze Mann setzt ihn nun an Land und gibt ihm den Befehl, sofort wieder an Bord zu kommen, wenn auf dem Schiff der dritte Schuß gelöst wird. Kaum hatte er diesen Befehl von dem schwarzen Mann erhalten, als auch schon sein Vater und seine Mutter in einer schönen Equipage angefahren kommen. Sein Vater hatte außerdem den Adelstitel für sich und seinen Sohn gekauft. Den Eltern aber gefiel ihr Sohn über alle Maßen, weil er so ungemein galant aussah und seine Kleidung über und über mit Diamanten besetzt war.
Nun fuhren sie zum Haupthof Adal, wo er seinen Eltern alles erzählen mußte. Als er nun berichtet, daß er kein Licht haben dürfe, denkt die Mutter so bei sich: „Er könnte doch trotzdem sehen, mit wem er immer des Nachts schläft.“ Und sie steckte ihm heimlich ein Feuerzeug in die Tasche. Indessen hörte er den ersten Kanonenschuß, und da steht er auf und sagt, daß er nun wieder fort müsse. So ungern sie ihn auch fortlassen, es geht ja nicht anders. Und bald sind alle wieder am Strand. Und nachdem sie sich dort eine Viertelstunde aufgehalten haben, hören sie den zweiten und dritten Schuß, da der schwarze Mann vermutlich gemerkt hatte, daß er schon darauf wartete. Er steigt nun in die Jolle, kommt wieder an Bord, und das Schiff verschwindet. Sie legen wie beim ersten Mal an, und er kommt ins Schloß, ohne von den Löwen belästigt zu werden. Als er einen Augenblick später aber nach Hans ruft, um das Abendessen zu verlangen, steckt er eine Hand unwillkürlich in die Tasche und entdeckt das Feuerzeug. Und nun entschließt er sich, es zu benutzen, sobald er ins Bett kommt. Als es nun neun ist, geht er wie gewöhnlich zu Bett, und das schleppende Wesen findet sich wie gewöhnlich ein und legt sich auch ins Bett. Jetzt richtet er sich auf, schlägt Feuer und sieht das schönste Frauengesicht der Welt. Aber im selben Augenblick stößt sie einen schrecklichen Schrei aus und wirft ihm vor, sein Wort gebrochen zu haben. Und außerdem sagt sie ihm, daß der Fluch in drei Tagen aufgehoben wäre. Jetzt aber alles vorbei sei und die Verzauberung sicher bis ans Ende der Welt in Kraft bliebe. – „Zwar würde es jetzt wieder hell werden“, sagt sie dann, „aber der Fluch wird weiter auf dem Schloß ruhen, und ich werde mit diesen Klötzen zum Gespött der Leute herumlaufen müssen, bis zu meinem Tod.“ Am anderen Morgen kommt er ganz gut durch alle Zimmer und ihm ist, als hätte die Dunkelheit nie existiert. Aber anstatt seines eleganten Anzugs findet er nun seine Fischerkleidung wieder, mit der er sich jetzt behelfen muß. Und als er das Schloß verläßt, zeigen sich die Löwen ganz anders als vorher.
Aber er wirft ihnen ein paar Stücke Brote vor, die er noch von früher in der Tasche hatte, und die Löwen greifen danach und lassen ihn passieren. Während er nun so geht und nachdenkt, sieht er, wie ein Löwe, ein Falke und ein Hund sich eifrig um ein Aas streiten. Die Tiere forderten ihn auf, in diesem Streit zu schlichten und das Aas so zu teilen, daß jedem mit seinem Stück am besten gedient ist. Er teilt alles nun so auf, daß der Hund die Knochen bekommt, an denen er am liebsten nagt. Der Löwe, der der größte von allen ist und auch am meisten haben will, soll das Fleisch bekommen, und der Falke die Eingeweide, die sein bestes Futter sind. Nach dieser Teilung will er sich wieder auf den Weg machen. Aber die Tiere rufen ihn zurück und fragen ihn, was er für seine Bemühungen haben will. Dafür nimmt er nichts, sondern wünscht nur, daß sie sich in Zukunft immer einig sein mögen. „Ja, damit du nicht sagen kannst, daß wir undankbar sind“, sagt nun der Löwe, „will ich dir erzählen, daß ich zehnmal so stark bin wie der stärkste Löwe, und ich gebe dir das Recht, meine Gestalt anzunehmen und gebe dir hiermit zehnmal soviel Stärke wie ich selbst besitze.“ Der Hund wollte nicht minder dankbar sein. „Ich laufe zehnmal so schnell wie der beste Hund, und ich gebe dir die Macht, meine Gestalt anzunehmen, und außerdem sollst du zehnmal soviel laufen können wie ich selbst.“ Der Falke sagte: „Ich bin der stärkste Vogel im Flug, und ich gebe die hiermit zehnmal so schnellen Flug, wie ich ihn selbst habe, samt das Recht, meine Gestalt anzunehmen, wenn du es wünschst.“
Nachdem er nun die Geschenke erhalten hatte, entschließt er sich, zurück aufs Schloß zu gehen, um eventuell zu erfahren, ob dort nicht doch noch Rettung möglich sei. Er suchte die Prinzessin auf und fragt, ob sie nicht einen Rat wüßte. Und er vertraut ihr auch an, daß er die drei Geschenke bekommen hat und außerdem alles wagen will, um zu helfen. Sie sagt, daß sie heute um zehn Uhr in den Garten muß, um den Troll zu lausen. Sie wollte dann mal sehen, ob da ein Rat wäre. Inzwischen wollte sich Frederik zu einem Falken machen und sich auf einen Baum setzen, um zuzuhören. Der Troll und die Prinzessin finden sich nun unter einem Baum ein, und just in dem Augenblick, als sie ihre erniedrigende Tätigkeit beginnen will, fragt sie scheinbar so ganz nebenbei, ob jetzt keine Möglichkeit bestehe, die Verzauberung aufzuheben. „Hm“, sagte der Troll grinsend, „sicher gibt es eine solche Möglichkeit. Tief in Finnland lebt nämlich ein mächtiger Drachen, der zu seinem Frühstück immer ein paar Rentiere haben muß, und das tut er solange, wie noch eins dieser Tiere übrig ist. Inwendig in diesem Drachen ist ein Hase, und in dem Hasen ist eine Taube und in dieser Taube ist ein Ei, und in diesem Ei ist mein Herz. Kannst du dieses Ei bekommen und es auf meiner Stirn zerschlagen, ist die Verzauberung vorbei. Aber den Tag erlebst du nie!“ Jetzt lassen wir sie dort sitzen und weiter lausen. Nachdem der Falke das alles gehört hat, denkt er: die Geschichte kann sich hören lassen! Er macht sich auf den Flug und ist nach kurzer Zeit in Finnland. Kaum ist er dort angekommen, als er auch schon den Drachen entdeckt hat. Und am anderen Morgen sieht er. wo er sein Frühstück verzehren will. Sobald er sich den Rentieren nähert, läuft der Hirte ängstlich davon. Frederik ruft ihn zurück und sagt ihm, daß er ruhig warten möchte; denn er würde seine Rentiere bestimmt behalten, und dann verspricht er, solange Hirte zu sein. Der Drachen kommt herbei, und als er sich den Rentieren nähert, ruft Frederik: „Halt!“ „Was?“ sagt der Drachen, als verstünde er nicht, „willst du mein Frühstück verzehren?“ „Ja, zuerst mußt du mich fressen, bevor du ein Rentier bekommst!“ – „Wenn du dazu Lust hast, dann ist die Sache gleich getan!“
„Ja, wollen wirs doch mal versuchen“, sagt Frederik. Er verwandelte sich schnell in einen Löwen, und nach kurzem Widerstand ist der Drache überwunden. Der Löwe reißt dem Drachen nun die Eingeweide aus dem Bauch, und sofort springt ein Hase heraus. Aber augenblicklich ist Frederik ein Hund und hat den Hasen sofort gefaßt. Sobald der Hase aufgerissen ist, fliegt eine Taube aus ihm heraus. Aber Frederik hat sofort als schnellfliegender Falke die Taube im Fang, und das Ei ist in seinem Besitz. Nun fliegt er hocherfreut zum Schloß zurück und sucht die Prinzessin auf. Er gibt ihr das Ei, und am anderen Tag, als sie wie gewöhnlich in den Garten geht, wirft sie dem Troll das Ei mit solcher Gewalt gegen die Stirn, daß er rücklings hinstürzt und auf der Stelle tot ist. Und nun ist es um die Verwandlung geschehen. Sowohl der Vater der Prinzessin, als auch die Mutter und alles Hofpersonal, die vorher zu Stein verwandelt waren, haben jetzt ihre alten Gestalten wieder, und das Schloß ist das allerschönste, daß man jemals gesehen hat. Frederik bekommt die Prinzessin zur Frau, und er fährt hinüber zu seinen Eltern und holt sie, und sie feiern Hochzeit und leben viele Jahre in Glück und Frieden. Und das letzte Mal, als ich dort war, salutierten und benutzten mich, weil ich dem Konstabler im Weg stand, und als Kanonenpropfen und schossen mich herüber.
Quelle: Svend Grundtvig - Volksmärchen aus Dänemark