Vanessa, Pierre und Anne-Lise gehören zur unteren Mittelschicht. 2018 schlossen sie sich den Gilets Jaunes an. Die prekäre Lage der Mittelschicht und ihre Angst vor dem sozialen Abstieg haben sie dazu bewogen, ihrem Ärger Luft zu machen und zugleich darüber nachzudenken, wie eine gerechtere Gesellschaft in Frankreich aussehen könnte.
Die untere Mittelschicht spielt heute eine zentrale Rolle bei den sozialen Unruhen, die unsere demokratischen Systeme erschüttern. Ein Jahr nach den ersten Demonstrationen der Gelbwesten erzählen Anne-Lise, Vanessa und Pierre ihre Geschichten. Sie haben sich bei Protesten im Umkreis der kleinen südfranzösischen Gemeinde Manosque kennengelernt. Sie eint die Angst vor dem sozialen Abstieg und die Überzeugung, dass sie ihre Gleichbehandlung erkämpfen müssen.
Anne-Lise ist 37 und hat zwei Töchter. Ihr Mann ist Luftfahrttechniker und oft beruflich unterwegs. Sie selbst arbeitet als Pflegekraft im Krankenhaus von Manosque und kämpft an vorderster Front gegen die Corona-Pandemie. Sie arbeitet nachts und tagsüber widmet sie sich ihrem politischen Engagement: In ihrem Heimatort möchte Anne-Lise nun bei den Kommunalwahlen antreten.
Vanessa ist 42, ledig und lebt in einem kleinen Haus in einem Dorf unweit des Durance-Kanals. Mit 35 verließ sie ihre Heimat in Nordfrankreich und begann ein Psychologiestudium. Heute arbeitet sie in einer Klinik für medizinische Psychologie in Apt. Für nur 1.500 Euro monatlich nimmt sie täglich über 60 Kilometer Fahrt in Kauf. Vanessa ist erfüllt von einer Wut, der sie durch ihr politisches Engagement Luft zu machen sucht. Dieses Jahr hat sie hautnah miterlebt, wie sich die Situation immer mehr verschlechterte: Viele ihrer Patienten gerieten durch die Krise ins Straucheln. Vanessa kämpft für eine Gesellschaft, die sich stärker für die vom Schicksal weniger Begünstigten einsetzt.
Pierre, 43 und Metallarbeiter von Beruf, lebt mit seinem 13-jährigen Sohn auf einem alten Bauernhof in der Nähe von Manosque. Gemeinsam nehmen die beiden an den Gelbwesten-Protesten teil. Seit über einem Jahr hat Pierre bei allen Aktionen der Gruppe mitgemacht und keinen Tag Urlaub genommen. Er prangert die immer größer werdende Kluft zwischen den Eliten und dem Rest der Gesellschaft an und träumt von einer gerechteren Welt und einer besseren Zukunft für seinen Sohn.