"War das unhöflich? Es wirkte, als wollten Sie nicht, dass ich meinen Satz beende. Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine andere Meinung haben könnte als der allgemeine Mainstream." – Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán nahm am 6. September an einer Podiumsdiskussion des italienischen und pro-brüsseler Think Tanks "The European House – Ambrosetti Forum" teil. Dabei wurde er von der Moderatorin,Monica Maggioni, mit kritischen Fragen und Vorwürfen konfrontiert, die im westlichen Mainstream und in Brüssel vorherrschen. Während Orbán etwa auf Frieden mit Russland pocht, forciert Brüssel eine militärische Niederlage Russlands auf dem Schlachtfeld. Auch in anderen Bereichen, ob nun Wirtschaft, Geo- und Klimapolitik oder Migration – stehen Brüssel und Budapest auf völlig entgegengesetzten Seiten, doch Orban hält an seinen Positionen fest.
Ungarn hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne und sorgt damit für politische Unruhe im EU-Raum. So stieß Orbans Friedensmission, auf eigene Faust Gespräche mit den Führungen der NATO, Chinas, der Ukraine und Russlands zu suchen, um einen Ausweg aus dem Ukraine-Krieg zu finden, in Brüssel auf massive Kritik. Der ungarische Ministerpräsident plädiert dafür, statt stärker in die Konfrontation mit Russland zu geraten, dass die EU als politische und ökonomische Mitte zwischen Ost und West fungieren sollte, was den Frieden in der Ukraine ermöglichen würde und den wirtschaftlichen Niedergang der EU aufhalten könne.
"Wenn man vergleicht, wo wir jetzt, Anfang September, stehen, mit der Situation, in der wir uns Anfang Juli befanden, dann sind das Ausmaß der Konfrontation und die Zahl der Opfer jetzt viel höher als damals. [...] Ich bin der Meinung, dass wir bisher auf den Bedeutungsverlust der Wettbewerbsfähigkeit des Westens und insbesondere der Europäischen Union eher mit einer Art Blockbildung reagiert haben, mit wirtschaftlichen Blöcken. […] Ich denke, das läuft der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union völlig zuwider. Das liegt nicht im Interesse Europas. Unser Interesse ist es, mit dem Westen, d.h. den Vereinigten Staaten, zusammenzuarbeiten und wirtschaftlich so weit wie möglich mit dem Osten zu kooperieren. Heute mit China und sogar mit den Russen nach dem Krieg."
Ähnlich sieht es beim Thema Migration aus. Auf den Vorschlag der Moderatorin, Migration nicht als Hindernis, sondern angesichts des Bevölkerungsrückgangs als wirtschaftliche Notwendigkeit zu sehen, reagierte Orban deutlich: "Wenn man der Meinung ist, dass das Zusammenleben zweier Gesellschaften nützlich ist und eine bessere Gesellschaft hervorbringt, dann hat man das Recht, sich dafür zu entscheiden. Aber wenn andere Länder denken, dass es zu riskant ist, wegen des Terrorismus, wegen der öffentlichen Sicherheit, wegen der sozialen Belastung, und sagen: Wir wollen diese Art von neuer Gesellschaft nicht. Warum haben wir nicht das Recht, Nein zu sagen? [...] Es ist nicht Ihre Aufgabe oder die der Brüsseler Bürokraten, darüber zu entscheiden!"
Mit klaren Worten plädiert Orbán für die europäische Zusammenarbeit, aber gegen eine "politische Union" und damit die Aufhebung der nationalen Souveränität: "Ich denke, dass wir eine stärkere Zusammenarbeit in der Wirtschaftsunion brauchen, definitiv. Stärkere Zusammenarbeit bei der Marktwirtschaft. Wir sollten sie so weit wie möglich verstärken. Wenn wir über die politische Union sprechen, so brauchen wir sie überhaupt nicht, wir sollten sie vergessen. Wir brauchen keine politische Union. Das tötet die Europäische Union im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit. Das ist sozusagen ein Zersetzungsfaktor."