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Samstag, 26. Dezember 2020

Ein Weihnachtsmärchen


Tonys Weihnachtsstern
 
Tony war kaum auf der Welt, da verließ sein Vater die kleine Familie. Er wollte ein freier Mann sein, und nicht für eine Familie sorgen. Tonys Mutter Monika musste schauen, wie sie alleine mit dem Kind zurechtkam. Tony entwickelte sich gut, war ein braves Kind, das seiner Mutter viel Freude machte. Ehe er sich versah, wurde er schon eingeschult.

Es war sein großer Tag, stolz trug er die große Schultüte, die prall gefüllt war. Seine Mutter tat alles, um ihn nicht spüren zu lassen, dass er ohne Vater aufwuchs.

Nun konnte sie sich Arbeit suchen, denn das liebe Geld reichte weder vor noch hinten. An den Vormittagen verkaufte sie frisches Obst und Gemüse auf dem Wochenmarkt. In der Küche stand jetzt immer eine Obstschale mit frischen Früchten.

Eines Tages geschah es. Mutter lernte einen Mann kennen. Er war Busfahrer und hieß Karl. Bald darauf zogen sie in sein Haus. Tony hatte die Mutter jetzt nicht mehr für sich alleine. Wenn Karl von der Arbeit kam, war sie in der Küche mit Essenkochen beschäftigt. Früher war es die Zeit, in der sich seine Mutter intensiv mit Tony beschäftigte. Sie hatten viel Spaß beim Würfelspiel, oder sie gingen Schwimmen. Manchmal dachte Tony: "Wie kann ein fremder Mann mir meine Mutter wegnehmen, oder hat sie mich nicht mehr lieb? Die Mutter spürte, dass Tony unglücklich war. Sie gab sich Mühe, ihrem Sohn viel Aufmerksamkeit zu schenken, doch ihm reichte es nicht. Karl sorgte gut für ihn und seine Mutter, doch Zuwendung konnte er von Karl nicht erwarten. Er war nicht in der Lage, die Vaterrolle zu übernehmen. Sie kamen sich nicht näher.

Tony begleitete die Mutter gerne zum Einkauf. An diesem Tag war es sehr warm und schwül. Die Mutter hatte bei solchem Wetter oft Atembeschwerden, darum trug sie stets ihr Asthmaspray bei sich. Tony gab sich Mühe, mit Mutter den langsamen Schritt zu halten, er alleine lief viel schneller.

Endlich hatten sie den Rückweg geschafft. Als sie gerade den Hausflur betraten, brach die Mutter bewusstlos zusammen. Tony war in großer Not. Er weinte nicht sondern schrie: "Mama, was ist mit dir, bitte mach doch deine Augen auf!"

Karl war bei der Arbeit und der Junge total hilflos. Er rannte auf die Straße und schrie: "Hilfe, meine Mama liegt am Boden!" Dann rannte er wieder zu ihr, schüttelte sie, und versuchte mit seinen kleinen Fingern ihre Augen zu öffnen.

Die Nachbarin hatte Tonys Hilferufe gehört, benachrichtigte die SMH, die kurz darauf seine Mutter ins Krankenhaus fuhr.

Tony blieb bei der Nachbarin, die unverzüglich seinen Stiefvater Karl benachrichtigte. Bevor Karl eintraf, bekam Tony die schreckliche Nachricht, dass das Herz seiner Mutter aufgehört hatte zu schlagen. Tonys Schmerz war unermesslich. Nun stand er alleine da.

Karl gab ihm zu verstehen, dass er nicht für ihn sorgen werde. Außerdem sollte Tony in den Keller ziehen, wenn er weiter in diesem Haus wohnen wolle. "Dann sehe ich ihn wenigstens nicht so oft", dachte Tony trotzig. Also trug er das Wenige, was er besaß, in den Keller. Hier standen ein altes Bett mit fleckiger Matratze und der alte Holzofen seiner Mutter.

Von seinem Großvater hatte er eine Mundharmonika und einen alten Hut geerbt. Tony wünschte sich, dass Großvater jetzt bei ihm wäre. Den Hut drehte er auf seiner Hand und sprach zu sich selbst: "Inzwischen bin ich dreizehn Jahre alt und kann für mich selbst sorgen."

Entschlossen zog Tony am nächsten Tag los. In die Schule ging er nicht mehr, dafür stand er nun Tag für Tag am Marktplatz und musizierte. Vor ihm lag Großvaters alter Hut.

Die Leute auf der Straße sahen ihn mitleidig an, ab und zu warf jemand ein Geldstück in seinen Hut. Bevor es dunkel wurde, machte er sich immer auf den Heimweg. Wenn er zu Hause ankam, schmerzten seine Füße in den ausgetretenen Sandalen. Müde wusch er sich in der Waschküche und setzte sich aufs Bett. Er leerte seinen Hut und begann die Einnahmen zu zählen. Diesmal würde sie für Brot, Butter und ein wenig Speck reichen. Er ließ sich auf sein Bett fallen und dachte darüber nach, wie viele Abende er bisher hungrig eingeschlafen war.

Mit dem Herbst begann Tonys schwerste Zeit. Aber er hatte es kommen sehen und einiges an Geld gespart. Die trüben Regentage verbrachte er im Keller, den er nur verließ, um Brot zu kaufen. Nun schmolz sein Erspartes schneller dahin als er geglaubt hatte.

Doch die Adventszeit kam und es ging wieder aufwärts. Der Weihnachtsmarkt war eröffnet, genau dort, wo Tony immer musizierte. Auf dem Weihnachtsmarkt herrschte Trubel. Die Menschen waren großzügiger und freundlicher als sonst, da fiel auch schon mal eine größere Geldmünze in seinen Hut. Der Duft von Bratäpfeln und gebrannten Mandeln erinnerte Tony an glücklichere Zeiten in seinem Leben, an Mutter und seinen geliebten Großvater. Sie fehlten ihm so sehr.

Tony war aufgefallen, dass immer zur Adventszeit ein Stern am Himmel erschien, der besonders groß und hell leuchtete. Zudem blinkte er in unterschiedlichen Abständen. Nach Weihnachten war er erloschen. Er dachte immer an Mutter und wünschte sich, dass sie dieser Stern sei, der auf ihn acht gäbe. Tony spielte diesmal so lange auf seiner Mundharmonika, bis er seine Füße nicht mehr spürte, seine Lippen taub und seine Hände blau wurden.

Dieser vierte Advent kam und sollte Tonys Leben eine Wende geben. Vier Tage blieben noch bis Heiligabend, dann kam die schmerzlichste Zeit, die er am liebsten verschlafen hätte. Doch Tony stand wieder an seinem Platz, als ein gut gekleideter Fremder mit seiner Frau und drei Kindern vor ihm stehen blieb. Er sah Tony lange ins Gesicht und legte ihm einen großen Geldschein in den Hut mit den Worten: "Du brauchst dringend Winterschuhe und warme Strümpfe, nach drei Tagen werde ich wieder nach dir sehen." Die Familie ging ihres Weges, aber die Kinder drehten sich nach ihm um und winken ihm zum Abschied.

Bei sich zu Hause holte der Mann seine Fotoalben aus dem Schrank. Seine Frau setzte sich zu ihm und fragte: "Martin, kommt dir der kleine Mundharmonikaspieler nicht auch bekannt vor?" Martin sah seine Frau nachdenklich an und sagte: "Ja, Britta, sieh dir diese Fotos an, dieser Musikant könnte wirklich Tony sein! Ich habe ihm in die Augen gesehen und diese Augen kann ich nicht vergessen, es sind die gleichen wie die von Monika!" "Ja, und wie die von dir!" Martin war sich fast sicher, dass dieser Junge sein Neffe Tony war. "Britta, wenn dieser Junge wirklich der Sohn von Monika ist, dann können wir nicht zulassen, dass er auf dem Marktplatz musiziert!"

"Martin, hast du gesehen, wie schmal der Junge aussah? Wir sollten ihn sehr bald zu uns holen!" Martin fasste einen Entschluss: “Morgen bin ich auf Dienstreise, aber danach werden wir Tony bei uns aufnehmen. Er gehört schließlich zur Familie."

Als Tony im Laden gegenüber warme Stiefel und Wollsocken gekauft hatte, gab es keinen glücklicheren Musikanten auf dieser Welt als ihn. Er blickte zum Himmel, und der Stern leuchtete heller als je zuvor. Dann bemerkte er einen fremden Mann neben sich. Seine Hände waren tätowiert und er hatte eine Glatze. Der Fremde stellte sich zu Tony in den hellen Sternenschein.
"Willst du wissen, was der Stern dir zu sagen hat?" "Ja, unbedingt! Kannst du denn seine Zeichen deuten?", fragte Tony neugierig. "Ja", sprach der Glatzkopf, "der Stern sendet Morsezeichen, als Seemann musste ich alle lesen und senden können."

Für Tony war das so spannend, dass er kaum abwarten konnte, endlich zu erfahren, was es mit dem Stern und dem Lichtkreis auf sich hatte. Der Fremde sah starr zum Himmel, er sagte: "Der Stern hat eine Botschaft für dich; deine Mutter liebt dich und das Glück wird dich finden!" Dann war der Fremde auf einmal verschwunden. Wie benebelt trat Tony seinen Heimweg an, er konnte nicht begreifen, was er erlebte.

Zuhause vor der Haustüre wartete Karl auf ihn: "Ein Brief vom Jugendamt ist gekommen. Morgen besucht dich ein Herr Reiter, der mit dir über die Schule sprechen möchte. Ist wohl dein Schuldirektor. Ihm wurde gemeldet, dass du schon lange nicht mehr am Unterricht teilgenommen hast!" Tony wurde bleich und fragte: "Was passiert denn jetzt mit mir, muss ich ins Heim?" "Das weiß ich doch nicht!", antwortete Karl gleichgültig.

Tony ging in den Keller. Er wusste, dass er von diesem Mann keine Hilfe zu erwarten hatte. Er legte sich aufs Bett und grübelte: "Wenn ich liebe Pflegeeltern bekäme, dann hätte ich nichts dagegen von Karl wegzukommen, sollte ich aber in ein Heim gesteckt werden, laufe ich weg."

Herr Reiter war pünktlich. Karl führte ihn in den Keller zu Tony. Freundlich reichte er dem Jungen seine Hand und kam direkt zur Sache. "Tony, ich weiß, du hast Schlimmes erfahren müssen. Solche Erlebnisse können einen jungen Menschen wie dich, aus der Bahn werfen. Zur Schule musst du aber trotzdem gehen. Zurzeit sind Weihnachtsferien, aber danach musst du wieder zum Unterricht! Außerdem kannst du in diesem Kellerloch nicht bleiben. Es wäre besser, du würdest von einer Pflegefamilie aufgenommen werden. Nach Weihnachten, du wirst sehen, wird alles gut." Tony nickte nur! Der Mann verabschiedete sich und ging.

Am nächsten Morgen bevor die Geschäfte ihre Türen öffneten, war Tony bereits in der Stadt. Er hatte ja jetzt Stiefel und Socken an den Füßen, aber seine Hose war durchlöchert. Auf warmen Füßen stand er den ganzen Tag auf dem Marktplatz. Das Geschäft lief heute nicht so gut, aber es langte fürs Essen. Am Abend stellte er seine neuen Stiefel neben sein Bett und schlief zufrieden ein.

Am Morgen waren die Stiefel verschwunden. Weinend fragte er Karl danach, der grinste Tony an: "Ach, die Dinger musste ich verkaufen, sonst hätte ich meine Spielschulden nicht begleichen können." Tony war traurig und wütend zugleich.

Drei Tage waren vergangen, wieder stand Tony in kaputten Sandalen auf dem Marktplatz. Es war Heiligabend und sein Herz blutete, als er die vielen Kinder an den Händen ihrer Eltern vorbeigehen sah.

Jemand legte einen Arm um seine Schulter. Tony drehte sich um und sah den freundlichen Fremden. Der lächelte ihn an und sagte: "Tony, pack deine Sachen zusammen, du kommst mit mir!" "Aber ich kenne Sie doch gar nicht!", antwortete er. "Doch, wir kennen uns, nur wirst du mich vergessen haben, alles andere erfährst du später bei uns zu Hause!" Tony fuhr mit. Was hatte er schon zu verlieren? Schlechter als bei Karl wird es ihm nicht ergehen können.

An der Haustüre warteten schon die Kinder auf ihn. Tony wurde freundlich aufgenommen. Für ihn war alles vorbereitet; ein eigenes Zimmer, neue Kleidung, sogar das erste Wannenbad seit langem. Nachdem er gründlich gebadet hatte, wartete im Esszimmer der Rest der Familie auf ihn.

An den Wänden hingen zahlreiche Fotos und Tony stockte der Atem. Auf einem der Fotos war seine Mutter mit den Großeltern abgebildet. Die Großmutter hatte einen kleinen Jungen auf ihrem Schoß. Tony bemerkte nicht, dass er beobachtet wurde.

"Tony, der kleine Junge auf dem Foto, dass bin ich, dein Onkel Martin. Deine Mutter war meine Schwester Monika. Erst vor kurzem habe ich erfahren, was geschehen war und für uns stand fest, dass wir für dich da sein werden." Tony fragte mit zittriger Stimme: "Warum warst du nicht da, als es meiner Mutter so schlecht ging?" "Ich bin Archäologe und war lange Zeit zu Ausgrabungen in Ägypten; nun bin ich aber wieder hier! Auch wusste ich nicht, dass sie wieder verheiratet war und auch nicht mit wem”, versuchte Martin die bedrückte Stimmung zu lockern.

Martins Frau brachte Getränke. "Ja! Tony, meine Frau ist deine Tante Britta, dann hast du noch zwei Cousinen, Nina und Mona und Cousin Chris. Wir sind, wenn du möchtest, deine neue Familie. Ich sah dich auf dem Markt. Du bist meiner Schwester wie aus dem Gesicht geschnitten, aber sicher war ich mir nicht. Da habe ich Erkundigungen über dich eingezogen und dann ging alles recht schnell."

Für Tony kam so viel Glück auf einmal vor wie ein Traum. Nach langer Zeit durfte er wieder ein schönes Weihnachtsfest erleben in Wärme und Geborgenheit. Von diesem Tag an verlief sein Leben in geordnete Bahnen. Er wuchs zu einem fleißigen, jungen Mann heran.

Seinen Weihnachtsstern sah Tony nie wieder, aber er wusste, hoch da oben, da ist Mutter und passt auf ihn auf.

Autor: Cilia Bless

2 Kommentare:

  1. Ganz herzlichen Dank für diese Geschichte. Sie hat vielleicht einen Damm in mir zum Einsturz gebracht, den ich um mich gebaut habe. Endlich wieder man richtig weinen. Ich hoffe das reicht, für unsere schöne Zukunft.

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    1. Liebe Henriette, mir ging es ganz ähnlich. Weinen befreit, das habe ich ganz gut bemerkt. Denken wir weiterhin positiv und glauben an eine schöne und bessere Zukunft. Sie wird kommen!

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