Der gute Peter und seine falschen Brüder
Ein Bauer hatte zwei Söhne, die ließ er in der Stadt erziehen. Denn er wollte aus ihnen etwas machen. Als beide ausgelernt hatten und von der Schule heimkehrten, freute sich der Vater sehr. Allein den Söhnen gefiel es bald zu Hause nicht, sie sprachen daher untereinander: „Wir wollen unsern Vater überreden, dass er uns erlaubt, in die Fremde zu ziehen, aber keiner soll es tun ohne den andern.“ Wie sie nun ihrem Vater sagten, was sie vorhätten, war der betrübt und wollte nicht einwilligen. Am Ende wollte er den einen lassen, der andere aber sollte bei ihm bleiben. Doch die Söhne baten immerfort, bis er endlich nachgab. „Schreibt mir nur“, sprach er beim Abschied, „wenn es euch gut geht. Wenn es euch aber schlecht geht, will ich’s nicht wissen!“ Die beiden versprachen und zogen fort, weit, weit in ein fremdes Land. Aber weil sie in der Stadt sehr herrisch und vornehm geworden, schämten sie sich zu sagen, dass sie Bauernsöhne wären. Sie machten sich falsche Pässe und gaben sich für Grafensöhne aus. Sie traten auch in königlichen Dienst. Aber anfangs bekamen sie nur so viel, dass sie damit als Grafensöhne nicht leben konnten. Sie schrieben daher ihrem Vater und sagten, wie gut es ihnen ginge, nur brauchten sie noch Geld, um höher zu steigen. Sie bäten ihn um einiges. Wenn sie dann große Herren wären, würden sie ihm alles vergelten.
Der gute Vater schickte ihnen einmal, zweimal, dreimal und so an die zehnmal. Aber die Söhne baten immer um mehr. Das Bitten wollte nicht aufhören und das Vergelten gar nicht anfangen. Das war ihm zuletzt denn doch zuviel, und er konnte die große Summe nicht mehr erschwingen. So schrieb er ihnen zuletzt: seit ihrer Abreise hätten sie noch einen Bruder bekommen, für den müsse er auch sorgen, er könne ihnen nichts mehr schicken! Als sie ihm aber wieder schrieben, nur noch einmal solle er ihnen soundsoviel schicken – es war aber eine große Summe – dann würden sie Minister und sie würden ihm alles zurückzahlen, so verkaufte er Haus und Hof, um die verlangte Summe zusammenzubringen, und hatte ihnen nun all sein Gut geschickt. Die Söhne wurden in dem fremden Lande auch wirklich Minister, aber ihres Vaters vergaßen sie. Er lebte noch fünfzehn Jahre in großer Armut, und als er starb, konnte er nicht ordentlich begraben werden. Der kleine Peter aber, denn so hieß der Jüngste, der durch seine Brüder um sein väterliches Erbe gekommen war, musste schon als kleiner Knabe in den Dienst treten. Der Pfarrer hatte sich seiner erbarmt und ihn aufgenommen. Er ließ ihn die Gänse hüten und lehrte ihn auch lesen und schreiben und gab ihm lateinische Bücher mit aufs Feld, und er hatte bei den Gänsen gut Zeit zum Lernen.
Endlich kam es den beiden ältern Brüdern einmal in den Sinn zu sehen, was ihr Vater mache, ob er noch lebe. Sie ritten mit ihren Dienern fort, aber als sie nahe ihrer Heimat waren, ließen sie dieselben in einem Wirtshause zurück, damit sie nicht sehen und erfahren sollten, dass sie nur Bauernsöhne seien. Nicht weit von ihrem Heimatsorte sahen sie an der Straße einen Gänsejungen. Sie fragten ihn, ob er nicht einen Mann im Dorfe kenne so und so. „Ei, das war ja gerade mein Vater, der vor einem Jahre im Elend gestorben ist. Er hatte all sein Vermögen meinen zwei ältern Brüdern in die Fremde geschickt. Sie hatten geschrieben, sie würden große Herren werden und es ihm vergelten, allein sie ließen nichts mehr von sich hören, und so musste er Not und Mangel leiden, und als er starb, konnte er nicht einmal ordentlich begraben werden.“ Da sprachen die Brüder untereinander lateinisch: „Das ist unser Bruder! Ja, das ist unser Bruder!“ Peter aber hatte alles gut verstanden. Sie ritten ins Dorf, um sich besser zu überzeugen. Als sie völlige Gewissheit hatten, kehrten sie zurück und sprachen: „Höre, wir sind deine Brüder, was wir an unserem Vater gefehlt, wollen wir an dir gut machen! Komme du mit uns, du sollst es bei uns gut haben!“ Peter wollte lange nicht, endlich ließ er sich überreden. Er ging nun zu seinem Herrn und nahm Abschied. Der Pfarrer schenkte dem Peter ein kleines Ross, dass er auch reiten konnte. Sonst aber behielt er seine arme Hirtenkleidung.
Als sie in der Nähe des Wirtshauses waren, wo sie die Diener zurückgelassen hatten, sprach der eine von den Brüdern zum andern, aber lateinisch, dass es Peter nicht verstehen sollte: „Reite du voraus und schicke die nach Hause und sage, wir hätten schon Diener, unser Bruder hier soll uns dann die Pferde besorgen und Knecht sein!“ So ritt der eine voraus und schickte sie heim. Peter aber hatte alles verstanden. Doch stellte er sich, als wisse er nichts davon, was sie gesprochen hätten. Als sie aber ins Wirtshaus kamen, so sagten sie dem Wirte, das sei ihr Knecht, und sie befahlen dem Peter, er solle ihnen die Rosse besorgen und im Stalle liegen. Er fügte sich geduldig und tat alles. Aber in seinem Herzen dachte er: „Also das ist der Dank, den sie an mir meinem Vater darbringen, o wenn er das wüsste, er würde sich im Grabe umkehren!“ Als sie nun weit, weit geritten und schon in der Nähe der Residenz waren, sprachen die zwei wieder untereinander lateinisch:
„Es ist doch nicht gut, dass wir diesen Bettler mitgenommen haben, er wird uns verraten!“ Da verboten sie ihm zu sagen, dass er ihr Bruder sei, sonst werde es ihm schlecht gehen. Der arme Peter versprach alles. Allein sie trauten doch nicht recht, und als sie abends über die Schlossbrücke zogen, sprach der eine zum andern lateinisch: „Wir brauchen ihn jetzt nicht mehr. Wir stoßen ihn hier in den Graben, dann haben wir nichts zu fürchten!“ Peter hatte alles gehört, konnte sich aber nicht helfen. Denn gleich packten sie ihn und stießen ihn von seinem Pferd hinunter und ritten eiligst ins Schloss. Peter nahm alle seine Kraft zusammen und schwamm in dem Graben dem Schlosse zu, und da kam er glücklicherweise an eine Treppe. Es war aber die Wohnung der jungen Königstochter in dieser Schlossecke, und sie saß gerade mit ihren Kammerjungfern ruhig im Zimmer, als sie plötzlich einen Schrei und darauf das Geplätscher in den Wellen hörten. Sogleich rief sie ängstlich: „Es ist jemand in den Schlossgraben gefallen!“ Da liefen die Kammerjungfern mit Fackeln hinunter zur Wasserstiege und fanden hier den armen Peter erschöpft. Die Königstochter befahl, dass man ihm sogleich frische Kleider anziehe und ihn zu ihr bringe. Es geschah, und als Peter in den schönen Kleidern erschien, hatte die junge Prinzessin ihre Freude an dem schönen Jungen. Sie ließ ihren Vater rufen und sprach: „Siehe, den haben wir jetzt aus den Fluten gerettet, willst du ihn, lieber Vater, mir schenken, dies soll mein Diener sein!“ Der Vater willigte gern ein, denn er hatte seine Tochter, die sein einziges Kind war, so lieb, dass er ihr nicht leicht einen Wunsch versagte. So war Peter auf einmal aus dem größten Unglück ins größte Glück versetzt worden.
Am andern Morgen machten die beiden heimgekehrten Minister ihre Aufwartung bei dem König und kamen darauf auch zur Prinzessin. Wie erschraken sie aber, als sie nur einmal ihren Bruder Peter in königlicher Dienerkleidung bei der Prinzessin sahen! Sie wollten gleich umkehren und meinten, es sei ihnen nicht ganz wohl, sie würden ein andermal kommen. Allein die junge Königstochter ließ sie nicht fort, sondern erzählte ihnen gleich von ihrem Glück, wie sie den Jungen in der Nacht aus dem Schlossgraben gerettet und wie sie ihn von ihrem Vater zum Diener erhalten habe. Da atmeten sie wieder leicht auf, denn sie merkten, dass Peter ihr noch nichts gesagt habe. Als sie jedoch wieder fort waren, sprachen sie untereinander: „Wir sind verloren, wenn wir nicht bald etwas erfinden.“ Gleich hatten sie sich etwas ausgedacht. Sie ließen einen Schlaftrunk machen und gingen damit abends zur Königstochter und sprachen: „Diesen Trank haben wir aus unserer Heimat mitgebracht“, sie möge ihn doch kosten und auch ihrem Diener davon geben. Gleich ließ sie ihren Peter hinkommen und trank ganz arglos, gab dann auch diesem, und er trank ebenfalls. Aber nun fielen beide in einen festen Schlaf. Da nahmen die beiden Minister sie und legten sie in ein Bett und gingen dann zum König und sprachen: „Komme schnell, o Herr, und siehe deine Tochter, wie weit sie sich vergessen hat.“ Der König eilte sogleich hin, und als er beide im Bett sah, rief er: „Weh mir! Ach, was ist zu tun, dass diese Schande von meinem Hause fortgewälzt werde?“ Da rieten die beiden Minister. Es sei das beste, man solle beide in einen Kasten sperren und sie darin aufs hohe Meer aussetzen. So hart es dem König auch war, sein einziges, geliebtes Kind zu verlieren, so gab er doch seine Einwilligung und sprach: „Fort mit ihnen!“ Da ließen die beiden Minister gleich einen großen Kasten mit einem Glasfenster machen, legten Kleider hinein für beide, dem Peter seine armen Hirtenkleider und Brot auf einige Tage und ließen dann noch in der Nacht den Kasten aufs hohe Meer führen und aussetzen. Dieser schwamm nun da herum, und die Sonne stand schon hoch am folgenden Tag, als zuerst Peter erwachte. Aber wie ihm war, da er nur einmal um sich sah, kann man sich leicht denken. Doch kümmerte ihn am meisten die Königstochter, die schlief noch immer fort. Endlich erwachte auch sie. „Mein Gott!“ rief sie, „wo bin ich?“ Als sie nun den engen Kasten sah und fühlte, dass der so hin- und herschwankte, und als Peter ihr alles erzählte von seinen falschen Brüdern, dass diese ihnen gewiss Schlaftrunk gegeben und sie hierher aufs Meer gesetzt, um ihn und sie zu verderben, so wollte sie gar verzweifeln. Peter tröstete sie, so wie er konnte. Dann kleideten sie sich an und aßen ein wenig. Dann nahm Peter ein Messer und schnitt an dem einen Fenster das Loch so groß, dass er den Kopf hinaus stecken konnte, um zu sehen, wo sie seien und ob in der Nähe kein Land sich zeige. Aber er sah nichts als Himmel und Wasser.
Einige Tage schwamm der Kasten immerfort vom Winde getrieben. Schon hatten sie alle Speise aufgezehrt und fürchteten nun vor Hunger zu sterben. Aber plötzlich fühlten sie nur einmal, dass der Kasten auf einer Seite festsitze. Peter sah hinaus, und richtig waren sie am Lande, das sah aber ganz öde aus. Peter arbeitete nun an dem Loche des Kastens, bis es so groß war, dass beide hinaus konnten. Dann fassten sie ihre Hände und gelobten, sich nie voneinander zu trennen, und gingen immer landeinwärts. Aber nirgends war etwas von einer Menschenwohnung zu sehen, und auch kein Baum war in der Nähe. Gegen Abend sahen sie endlich ein kleines Erlengebüsch. Müde, wie sie waren, legten sie sich nieder und schliefen sanft bis an den Morgen. Da sprach Peter: „Bleibe du hier ruhig im Schatten, ich will gehen und etwas zu essen suchen? Finde ich bis Mittag nichts, so kehre ich um, und dann wollen wir miteinander sterben!“ Die Königstochter aber fürchtete, Peter werde sie verlassen, und wollte auch mitgehen. Aber Peter sprach: „Nein, das halten deine Füße nicht aus, du stirbst auf dem Wege. Lieber bleibe ich auch hier!“ Nun sah sie ein, dass es Peter so treu meinte, und fügte sich. Er ging eiligst fort und suchte Nahrung. Aber er sah weit und breit nichts. Gegen Mittag sah er nur einmal zu seiner großen Verwunderung eine große Steinsäule in Menschengestalt und darunter einen Sitz für ein Paar Menschen in Stein gehauen. Er setzte sich ein wenig nieder. Nach einer Weile stand er auf und wollte fortgehen. Nicht weit davon sah er eine Felswand. Er ging dahin, um sie näher zu besehen. Nur einmal hörte er hinter sich rufen:
„Peter!“ Er wandte sich gleich um, aber weil er niemanden sah, ging er wieder fort. Da rief es zum zweitenmal: „Peter!“ und so auch zum. drittenmal. „Am Ende rufst du, Steinsäule!“ sprach Peter verwundert. „Ja, ich rufe. Schon viele hundert Jahre habe ich auf dich gewartet. Du kannst mich allein erlösen, wenn du genau tust, was ich dir sagen werde.“ – „Das will ich gerne tun“, sprach Peter. „Gehe zu jener Felswand, dort wird sich eine Tür öffnen. Es ist gerade die rechte Zeit zwischen elf bis zwölf Uhr. Tritt ein, an der Wand hängt eine Flasche und ein großes Schwert. Trinke dreimal aus der Flasche. Dann wirst du das Schwert heben und führen können. Öffne dann weiterhin die nächste große Türe. Da liegt ein dreiköpfiger Drache und schläft, dem musst du auf einen Hieb alle drei Häupter abhauen, darauf gleich herausspringen und die Türe zuschlagen. Sobald du das alles getan hast, genieße dann, was man dir gibt. Aber ja nicht eher, sonst versäumst du die rechte Zeit, dann bist du verloren, und ich werde nicht erlöst!“ Peter hatte sich alles wohl gemerkt und ging entschlossen hin und fand alles, so wie es ihm. gesagt worden. Er versuchte sogleich, das Schwert herabzunehmen, allein er konnte es nicht einmal von der Stelle fortrücken. Da trank er einmal und versuchte darauf. Er bewegte es schon etwas. Er trank zum zweitenmal. Da konnte er es auch herablangen. Allein es fiel ihm aus der Hand. Er trank zum drittenmal. Da war es ihm so leicht, dass er’s wie eine Feder schwingen konnte. Nun erschien ein langbärtiger Zwerg und war geschäftig, einen Tisch zu decken, und brachte allerhand gute Speisen und Getränke und sagte Peter, er solle essen, wenn er hungrig sei. Hungrig war er zwar, allein er hatte wohl im Sinne, was ihm die Steinsäule gesagt. Er ging also zuerst hinein zum Drachen.
Peter erschrak nicht wenig, als er das gräuliche Ungetier da liegen sah. Er fasste sich aber gleich, holte weit aus und hieb so gewaltig, dass die Häupter auf einmal auf dem Boden lagen. Im Nu sprang er hinaus und schlug die Türe zu. Der Drachenschwanz aber schlug so mächtig um sich und an die Felsenwände, dass alles erbebte. Nun setzte sich Peter, aß und trank, nahm dann in ein Tuch allerlei mit und ging hinaus. „Du hast es gut gemacht, Peter“, rief ihm die Steinsäule zu, und sie war jetzt vom Kopfe bis an die Brust Mensch geworden, „aber morgen musst du wiederkommen, noch ist nicht alles getan. Nimm Nahrungsmittel genug mit für die Königstochter, dass sie nicht Mangel leidet, aber sage ihr nur ja noch nichts von dem, was du hier gesehen und getan hast!“ Peter versprach, alles genau zu befolgen. Als er spät abends zu den Erlen kam, freute sich die Königstochter sehr. Sie war vor Hunger und Sehnsucht fast umgekommen. Peter tröstete sie und sprach:
„Kümmere dich nicht länger, vor Hunger sterben wir nicht, morgen bringe ich wieder Essen die Fülle.“ Sie hätte gerne gewusst, woher Peter die guten Sachen habe. Allein als er ihr versicherte, das dürfe er nicht sagen, so drang sie nicht weiter in ihn. Den folgenden Tag, als er zur Steinsäule kam, sprach sie: „Nun Peter, gehe wieder in den Felsen, trinke aus der Flasche dreimal und nimm das Schwert und gehe über den toten Drachen in das folgende Zimmer, da schläft der fünfhäuptige Drache. Diesem musst du gleichfalls auf einen Hieb alle Häupter abhauen. Dann kannst du wieder essen!“ Peter versprach so zu tun und hielt auch Wort. Der Zwerg deckte darauf den Tisch wieder, aber Peter aß nur, als er auch den fünfhäuptigen Drachen erlegt hatte. Dann nahm er wieder Speise und Trank für die Königstochter mit und ging hinaus. Die Steinsäule war jetzt bis zum Nabel Mensch geworden und rief: „Peter, du hast es gut gemacht. Aber komme morgen wieder, noch ist eine schwere Arbeit zurück. Der Königstochter darfst du aber noch immer nichts sagen!“
Als Peter abends bei ihr ankam, so ward sie ganz fröhlich. Sie hatte nun auch den Tag über keinen Mangel gelitten. „Auch morgen sollst du es gut haben!“ sprach Peter: „ich habe dir hier wieder genug mitgebracht!“ Aber jetzt wollte sie gerne wissen, woher das alles komme. Doch Peter sagte ihr nichts, wie sehr sie auch darum bat. Den andern Tag wollte sie nicht mehr allein zurückbleiben und durchaus mitgehen. Aber Peter sprach ganz entschieden: „Nein!“ und so blieb sie weinend zurück. Als er zu der Steinsäule kam, so sprach sie: „Peter, tue wieder wie gestern und vorgestern, gehe in den Felsen, trinke aus der Flasche, nimm das Schwert und gehe über die Leichen der zwei Drachen ins dritte Zimmer. Da liegt der siebenhäuptige Drache. Dem musst du ebenfalls auf einen Hieb alle Häupter abschlagen. Dann kannst du wieder essen.“ Als er in den Felsen kam, erschien der geschäftige Zwerg abermals und brachte die Speisen auf die Tafel. Allein Peter rührte nichts an. Er trank dreimal, nahm das Schwert und schritt über die Leichen in das dritte Zimmer. Aber wie entsetzte er sich beim Anblick des schrecklichen Ungeheuers, das jetzt fest schlief und schnarchte. Da war keine Zeit zu verlieren. Er nahm all seine Kraft zusammen, fasste das Schwert mit beiden Händen und tat einen so gewaltigen Hieb, dass alle Häupter herunterflogen. Sogleich sprang Peter wieder hinaus und schlug die Türe zu. Da schlug aber der Drachenschwanz so heftig wider die Felswände, dass vor dem Krachen und Beben alles einzustürzen drohte. Darauf aß Peter wieder und nahm auch Speise mit. Als er hinaustrat, war die Steinsäule bis an die Fußsohlen Mensch geworden. Allein noch haftete sie am Stein. „Du hast es gut gemacht, Peter. Aber noch eins, und das Schwerste, ist übrig. Wenn das misslingt, so war alles bisher umsonst. Ich werde nicht erlöst! Gehe nun hin zur Königstochter und sage ihr alles, was du gesehen und getan hast, und bereite sie vor auf das, was morgen geschehen soll. Sie muss nämlich dann auch mitkommen, und was ihr miteinander tun sollt, ist dieses: Ihr sollt von elf bis zwölf, in der Stunde, in welcher du die Drachen erlegt hast, auf diesem Stein hier nebeneinander ruhig sitzen und nicht aufstehen und kein einziges Wort sprechen. Springt aber eines auf und spricht nur ein Wort, so ist alles umsonst gewesen. Dir wird es leicht sein, alles zu halten, aber der Königstochter nicht. Ihr nämlich wird es, während der Zeit, dass ihr da sitzet, vorkommen, als kämen ihr Vater, ihre Mutter, ihre Kammerjungfern und die beiden Minister, deine Brüder, vorbeigefahren und sprächen mit ihr und riefen sie mit. Da wird sie denn aufspringen und antworten wollen. Aber halte du sie dann nur fest auf ihrem Sitz und schließe ihr den Mund, dass nicht ein Laut über ihre Lippen kommt!“
Freudig kehrte Peter heim und erzählte nun der Königstochter alles, was ihm die vorigen Tage begegnet war und was er getan hatte und was morgen noch für sie beide zu tun sei. Die Königstochter versprach, sich alle Mühe zu geben, um die Erlösung nicht zu verhindern, und am andern Morgen wanderten sie miteinander zur Steinsäule. Es war noch nicht gerade elf Uhr, als sie anlangten. Da fragte die Steinsäule: „Hast du der Königstochter alles gesagt, will sie alles gerne und genau befolgen?“ – „Ja“, sagte Peter. „So sorge denn du dafür, dass es alles richtig geschieht. Setzet euch nur alsbald, denn der Augenblick ist da.“ Kaum hatten sie sich gesetzt, so schlug es elf, und die Prüfung ging an. Es dauerte nicht lange, so zeigte die Königstochter mit dem Finger hin und her. Es schien ihr, als kämen ihr Vater und ihre Mutter und ihre Kammerjungfern herbeigefahren und stiegen alle aus und träten zu ihr und sprächen:
„O bist du hier, liebe Tochter, komme jetzt mit uns!“ Und die Minister und Kammerjungfern kämen auch zu ihr und fragten sie um mancherlei. Da vergaß sie, wo sie war und was sie sollte und wusste sich nicht zu halten. Sie wollte aufspringen und sprechen, aber Peter hielt sie fest und schloss ihr den Mund. Sie aber zerrte hin und her, und Peter musste seine ganze Kraft anstrengen, um sie auf den Sitz zu fesseln und den Mund ihr geschlossen zu halten. Das Drachentöten war gegen diese Arbeit eine Spielerei gewesen. Der Schweiß rann ihm von der Stirne, und er konnte es bald nicht mehr aushalten. Die Stunde kam ihm eine Ewigkeit vor.
Endlich schlug es zwölf, und kaum war der letzte Schlag verhallt, donnerte es nur einmal so fürchterlich, wie wenn der Himmel und die Erde in Trümmer gefallen wären. Die Steinsäule war ganz Mensch geworden, sprang vom Stein, und es war der König des großen Landes, das sich ringsum jetzt in voller Herrlichkeit zeigte. Wo kurz vorher nur öde Wüste gewesen, da standen auf einmal herrliche Dörfer, Städte, schöne Gärten mit Springbrunnen. Man hörte Musik und Trommelwirbel und Trompeten, und ganze Regimenter in voller Parade rückten heran, und alles Volk und der König an der Spitze kamen vor Peter und riefen: „Heil unserm Erlöser!“ Der König aber gelobte, dass er Peter alle Wünsche erfüllen wolle. Auch hatte er eine wunderschöne Tochter und bot sie ihm an zur Gemahlin, allein Peter sagte: er wolle bei der bleiben, die sein Geschick mit ihm geteilt habe, und diese willigte nun um so eher ein die Gemahlin des guten Peter zu werden, da sie sah, wie sehr, ihn alles Volk und der König ehrte und wie er ihretwegen die Hand der schönen Königstochter ausgeschlagen. Peter feierte eine glänzende Hochzeit und lebte dann beim König so angesehen, als wäre er der Königssohn, und alle Wünsche erfüllte ihm der König.
Es war schon ein Jahr vergangen. Da dachte die Königstochter, die Gemahlin Peters, mit Sehnsucht an ihren Vater und ihre Mutter, und sie sagte eines Tages Petern, wie sehr sie verlange, dieselben noch einmal zu sehen. „Das lässt sich vielleicht machen!“ sprach dieser und ging zu dem König und erzählte ihm ihre ganze Geschichte, wie sie ausgesetzt worden und wie seine falschen Brüder, die Minister des Königs, an allem schuld seien. Da ward der König zornig und sprach: „Die dürfen ihrer gerechten Strafe nicht entgehen. Auf, ich gebe dir meine ganze Armee, ziehe hin und belagere die königliche Burg deines Schwiegervaters und verlange seine Tochter zur Frau und drohe, alles zu verheeren, wenn man dir sie nicht gebe. Dann wird am Ende alles offenbar werden und die Bösewichter werden die verdiente Strafe empfangen!“ So tat denn Peter und stand bald mit einer großen Armee vor den Mauern der königlichen Stadt und belagerte sie und drohte, er werde nicht einen Stein auf dem andern lassen, wenn der König nicht gutwillig und von Herzen ihm seine Tochter zur Gemahlin gebe. Der König erschrak sehr, als er diese Forderung vernahm. Er ließ aber sagen, er habe keine Tochter. Doch jener drohte, er wisse schon gut, dass eine Königstochter da sei, und wäre sie nicht da, so müsste sie sogleich zur Stelle geschafft werden! Da war guter Rat teuer. Der König ließ seine Minister kommen und sprach:
„Ihr habt es geraten, dass ich meine Tochter fortgeschafft, nun helfet und ratet!“ Aber sie wussten nichts anders, als man solle sagen, es sei zwar eine königliche Tochter hier gewesen, allein die sei längst geraubt worden und umgekommen. Das geschah auch. Allein der Feind wollte sich damit nicht begnügen. Er ließ dem alten König sagen: Morgen werde er mit allen seinen Generälen und deren Gemahlinnen sein Gast sein, und da werde er noch einmal bei der Tafel seine Tochter verlangen, und er sei gewiss, man werde sie ihm nicht vorenthalten.
Der arme König hätte nun gerne sein halbes Leben darum gegeben, wenn die Tat nicht geschehen wäre. Ungeschehen konnte er sie nicht machen. Sie zu gestehen, schämte er sich auch, daher waren ihm die Gäste gar nicht willkommen. Aber am meisten fürchteten sich die beiden Minister, denn sie sahen ein, ihr schwarzes Verbrechen könne an den Tag kommen. Sie aber mussten auch zur Tafel erscheinen, ausdrücklich hatte das der feindliche Feldherr verlangt. Die bestimmte Stunde war da. Peter erschien als General gekleidet mit allen seinen Generälen und deren Frauen, und unter diesen war auch seine junge Frau mit ihrem Kinde. Sie durfte sich aber nicht zu erkennen geben, bis nicht Peter ihr einen Wink geben würde.
Man setzte sich zur Tafel. Aber es war anfangs so ernst und stille, als äße man das Tränenbrot. Da fingen Peter und seine Generäle an, allerlei lustige Späße zu erzählen und den alten König zu erheitern, so dass dieser seine Sorge vergaß und sogar die Minister ihre Angst verloren. Sie sprachen bald auch mit und waren lustig. Da aber konnte Peter den Anblick seiner falschen Brüder nicht länger ertragen. Er legte daher die Frage vor, was wohl diejenigen verdienten, die ihren König auf das schändlichste betrogen hätten. Da fielen die Brüder gleich ein: „Die verdienen an den Schweif von wilden Pferden gebunden und durch die Stadt geschleift zu werden.“ – „Ja, ja“, riefen alle, „das verdienen die!“ – „Nun, so will ich gleich solche Frevler hier vorführen. Der König hat gesagt, seine Tochter sei ihm geraubt worden. Wie nun, wenn sie nicht gestorben wäre, würde man sie wohl erkennen?“ Da rief die alte Königin, ihre Mutter: „O Gott, wie sollte ich meine Tochter nicht erkennen, wenn ich sie nur einmal sehen sollte, denn sie hat auch ein eigenes Mutterzeichen!“ Da hieß Peter seine Gemahlin hervortreten und sprach: „Zeige deine Brust!“ Als die alte Königin das bekannte Muttermal sah, fiel sie der jungen Frau um den Hals und schluchzte: „Ach, meine Tochter!“ Der König war sprachlos und wie vom Blitze gerührt. Die Minister aber sprangen auf und wollten fliehen. Allein die Türen waren besetzt. Da rief Peter: „Greift sie und vollziehet an ihnen das Urteil, das sie sich selbst gesprochen!“ Zum König aber sprach er tröstend: „Euch, guter Vater, ist verziehen, denn meine falschen Brüder hatten Euch getäuscht und irregeführt. Ich frage aber jetzt wieder: gebt Ihr mir freiwillig und gerne Eure Tochter zur Gemahlin?“ – „Edler Mensch!“ sprach der König, „von Herzen gerne und dazu mein ganzes Königreich. Von heute an sollst du in meiner Stelle König sein!“
Da schickte Peter dem König, den er erlöst hatte, seine Truppen mit großem Danke zurück und war nun hier Herrscher und lebte mit seiner Gemahlin noch viele Jahre glücklich und zufrieden.
Quelle: Josef Haltrich