Ich war am Sonntag in Berlin, vielleicht sind meine Beobachtungen für den einen oder anderen Leser interessant. Nein, ich bin deswegen kein Held oder Revoluzzer. Ich habe nur die Schnauze gestrichen voll. Ursprünglich hatte ich versucht, meine Frau zu überreden, mitzukommen. Glücklicherweise war sie klug und vorausschauend genug, zuhause zu bleiben. Zunächst waren ja alle Demos verboten worden. Die Anwälte von Querdenken (insbesondere RA Ludwig und RA Haintz) haben aber darauf hingewiesen, dass ein Autokorso am Olympiastadion nicht verboten wurde und alle aufgerufen, sich trotz Verbot nach Berlin zu begeben und eben an diesem Autokorso teilzunehmen. Diese Informationen werden über „Telegram“ verteilt, eine Art multi-mediale Chat-App, die auch in anderen Ländern von Oppositionellen und Dissidenten benutzt wird. Ludwig hat hier einen eigenen Kanal, Querdenken hat viele Kanäle, für die Mitteilungen an die Demo -Teilnehmer wurde sogar ein eigener Kanal eingerichtet. Vor diesem Hintergrund muss man die Bemühungen der Bundesregierung sehen, Telegram wegen Verstoßes gegen das Netz DG zu belangen und zu verbieten. Weit werden sie damit nicht kommen, denn an Telegram hat sich schon Putin die Zähne ausgebissen – und die russische Regierung hat auf dem „cyber“ Gebiet im Gegensatz zur deutschen erhebliche Kompetenzen.
Neben den Autos setzte sich also am Olympiastadion ein riesiger Tross klassischer Fußgänger in Bewegung. Die Stimmung war teilweise heiter, aber nicht ausgelassen, mehrheitlich von Anfang an angespannt. Nach nicht mal einem Kilometer wiesen einige (offenbar erfahrenere) Teilnehmer darauf hin, dass weiter vorne abgeriegelt werde und wir in eine Falle laufen. Ich hielt das für übertrieben und lief weiter, ebenso wie vielleicht eintausend andere. Tatsächlich zog sich aber kurze Zeit später hinter uns wie aus dem Nichts eine Kette aus schwarzgewandeten Polizisten zu, was für einige Unruhe sorgte. Wir gingen aber weiter und nach etwa 200 Metern staute sich der Zug, weil hier wiederum eine Riege Polizisten den Weg versperrte. Ich fragte einen der Polizisten warum wir nicht weiter dürfen und er antwortete die Demo sei „nicht erlaubt“. Ich widersprach ruhig und sachlich und verwies auf die Webseite der Berliner Polizei. Der Beamte war ein junger Mann Mitte zwanzig der sichtlich nervös und unsicher, fast ängstlich wirkte. Sein Arbeitgeber nötigt ihn offensichtlich, auch an der frischen Luft eine FFP2 Maske zu tragen, was ihn entmenschlicht und erniedrigt. Nach wenigen Worten sagte er nur noch „Ich beende hiermit das Gespräch“ und klappte sein Visier runter. Das machte den Eindruck eines auswendig gelernten, einstudierten Verhaltens, so als sei eine entsprechende Anweisung gekommen: Auf keinen Fall auf ein Gespräch mit den Querdenkern einlassen!
Ich schloss mich einem Teil der „Eingekesselten“ an, die über einen schmalen Seitenpfad in eine Schrebergartenanlage auswichen. Später sah ich aus der Ferne, dass die Demonstranten offensichtlich den zweiten Ring durchbrochen haben. So schlängelte sich der Demozug, immer wieder aufgespalten, in Richtung Stadtzentrum. Etwas später war wieder ein Durchgang abgesperrt, ich flüchtete durch einen Hinterhof. Eine große Gruppe ging eine Straße entlang (die Autos mussten anhalten), die aber an beiden Seiten durch hohe Schallschutzmauern abgedichtet war. Aus der ersten Erfahrung klug geworden, erkannte ich eine ideale Falle und wich ich auf die Nebenstraßen eines Wohngebietes aus. Später, weiter im Zentrum zog eine riesige Kolonne Polizeiautos auf, ich setzte mich schnell in einen Imbiss am Straßenrand und nahm einen snack zu mir. Nach und nach bemerkte ich, dass auch viele anderen Gäste Demo-Teilnehmer waren. Das war überhaupt das erstaunlichste: die Querdenker waren überall in Berlin und in unglaublicher Anzahl. Die offizielle Teilnehmerzahl von 5000 ist ein Witz. Das sieht man schon daran, dass 600 Menschen verhaftet wurden, das wären über 10 Prozent. Ich schätze die Zahl auf mindestens 50000, eher 100000. Immer wieder mussten wir umkehren, weil uns Demonstranten entgegenkamen, die von brutalen Einsätzen weiter vorne berichteten, Schlagstöcke und Pfefferspray kamen zum Einsatz. Szenen wie die unfassbaren Aufnahmen, die mittlerweile kursieren, habe ich dadurch nicht direkt zu sehen (oder gar zu spüren) bekommen. Die ganze Zeit über heulten irgendwo Polizeisirenen, später sah man vermehrt Notarztwägen im Einsatz. Wenn mal ein paar Minuten Pause war, wunderte man sich. Außerdem kreisten non-stop mehrere Polizeihubschrauber über der Stadt, es war gespenstisch.
Da hier die Frage auftauchte, wie schwer es sei, so eine dezentrale Demo noch einmal zu machen: es ist kinderleicht, dank Telegram. Die meisten Demonstranten haben die Taktik von Querdenken perfekt umgesetzt: unauffällig, kleine Rucksäcke, wie sie auch Touristen haben, darin viel Trinkwasser, etwas Proviant, einen „Knirps“-Regenschirm (wegen der Wasserwerfer) und ein Regencape, sowie Ersatzkleidung. Außerdem faltbare Schrifttafeln oder Fahnen. Diese immer schön versteckt halten bis man in einer großen Gruppe ist, dann auspacken. Den Weg zum nächsten Treffpunkt verteilt in kleinen Gruppen, möglichst einzeln ohne sichtbaren Bezug zur Demo. Mein Tipp für alle die mitmachen wollen: Frauen und Kinder zuhause lassen, auf alles vorbereitet sein, Augen offen halten, regelmäßig die Channels auf Hinweise checken, bei sich anbahnender Gefahr schnell das Weite suchen. Eine gewisse Beweglichkeit ist unabdingbar. Daher kann ich allen Ü70ern nur abraten. Es waren aber erstaunlich viele aus dieser Altersgruppe am Sonntag in Berlin. Ganz wichtig: Sich über die Rechtslage informieren (auch dazu gibt es professionelle Hilfe auf den einschlägigen Telegram Kanälen).
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