Vor langer, langer Zeit als die Tiere und Menschen sich noch in der selben Sprache unterhielten, und das Fell des Tigers von glänzendem, makellosen Gelb war, ging ein Wasserbüffel nach seinem abendlichen Flussbad nach Hause.
Er summte ein Liedchen vor sich hin und hielt seine Nase hoch. Das fiel ihm nicht schwer, denn zu der Zeit hatten Wasserbüffel noch gerade Nasen. Wenn man aber seine Nase hoch in die Luft hält, kann man nichts riechen, und so bemerkte der Wasserbüffel auch nicht, dass ihm der Tiger gefolgt war. Erst als er ein sanft geschnurrtes: "Guten Abend" neben sich vernahm, sah der Wasserbüffel den Tiger.
Bei diesem Anblick wäre der Wasserbüffel am liebsten davongelaufen, aber er wollte auch nicht wie ein Feigling erscheinen. Und so setzte er seinen Weg fort, während der Tiger neben ihm her ging und schwatzte.
"Man sieht dich gar nicht mehr im Wald." sagte der Tiger, "Arbeitest du denn immer noch bei den Menschen?" Der Wasserbüffel nickte.
"Das ist aber komisch, ich verstehe dich nicht. Der Mensch hat weder Klauen, noch Giftzähne, noch ist er besonders stark. Außerdem ist er winzig. Wie kannst du nur so einen Herren und Meister akzeptieren?"
"Ich weiss es selbst nicht richtig" sagte der Wasserbüffel. "Wahrscheinlich wegen seiner Intelligenz."
"In-telli-was?"
"Intelligenz" antwortete der Wasserbüffel.
Er war stolz, mehr als der Tiger zu wissen. "Intelligenz ist eine besondere Eigenschaft des Menschen. Deshalb kann er Herr über mich sein, und auch über das Pferd, und den Hund, und das Schwein, und die Ente."
"Das ist ja sehr interessant. Wenn ich etwas von diesem Intelligenz-Dings hätte, wäre das Leben viel einfacher. Man würde mir gehorchen, ohne dass ich viel herum rennen und mich anschleichen müsste. Ich würde einfach so im Gras liegen, und mir die fettesten Tiere zum fressen aussuchen. Glaubst du, dass der Mensch mir etwas von seiner Intelligenz verkaufen würde?"
"Ich weiß es nicht" murmelte der Wasserbüffel.
"Ich werde ihn gleich morgen fragen. Er wird es schon nicht wagen, mir etwas abzuschlagen." knurrte der Tiger und verschwand in der Dämmerung.
Der Büffel trottete nach Hause. Er hatte nun doch ein bisschen Angst, und fragte sich, ob er nicht etwas zu viel geredet hatte. Aber nach dem Abendessen fühlte er sich beruhigt. "Der Tiger ist noch nie bis an die Reisfelder gekommen" dachte er "also, wieso sollte er es jetzt tun."
Aber er hatte sich getäuscht. Am nächsten Morgen als der Wasserbüffel und sein Herr aufs Feld gingen, wartete der Tiger schon. Und er hatte sogar eine Rede für diese Gelegenheit parat.
"Fürchte dich nicht, kleiner Mensch." sagte der Tiger freundlich. "Ich bin mit der friedlichsten Absicht hier. Ich habe gehört, dass du eine Gabe namens In-telli-genz besitzt, und ich möchte dir davon etwas abkaufen. Bitte verkauf sie mir schnell, denn ich habe noch nichts zum Frühstück gegessen."
Der Wasserbüffel ärgerte sich über seine eigene Schwatzhaftigkeit. Aber sein Herr sagte nur: "Es ist eine große Ehre für mich, dass der Herr Tiger selbst mein bescheidenes Feld aufsucht. Ich bin ihm gern zu Diensten." Und er verbeugte sich tief, wie vor dem Kaiser.
Der Tiger war dann auch sehr geschmeichelt und antwortete: "Oh, bitte, mach nur kein Aufhebens wegen eines schlichten Tigers. Ich wollte ja nur etwas kaufen."
"Kaufen?" unterbrach ihn der Bauer "das kommt gar nicht in Frage, ich bestehe darauf, ihnen meine Gabe zu schenken."
Der Tiger dachte: Der Morgen lässt sich ja gut an. Zuerst werde ich wie ein König begrüßt, und dann kriege ich diese In-telli-genz, und danach kann ich den Bauern und den Büffel zum Frühstück essen." Bei diesem Gedanken blitzten seine grünen Augen hell wie Sterne und er sagte: "Wirst du sie mir gleich geben?"
"Ich würde schon, aber ich lasse sie immer zu Hause, wenn ich aufs Feld gehe." sagte der Bauer, der das hungrige Glitzern in den Augen des Tigers bemerkt hatte. "Wissen sie, so eine kostbare Gabe sollte man nicht verlieren, und außerdem brauche ich sie hier draußen nicht. Aber ich laufe nach Hause, und hole sie Ihnen."
Er schickte sich an zu gehen, kam aber nach ein paar Schritten wieder zurück. "Sagten sie nicht, Sie hätten noch kein Frühstück gehabt?"
"Nein" sagte der Tiger "Warum?" "Weil ich dann den Büffel nicht hierlassen kann. Sie könnten ihn fressen."
"Ich verspreche ihnen, es nicht zu tun." sagte der Tiger.
"Ich zweifle nicht an ihrem Wort, aber sie könnten sich vergessen. Und wenn sie den Büffel fressen, habe ich niemanden, der mir bei der Arbeit hilft. Aber wenn ich ihn mitnehme, brauche ich vielleicht länger für den Weg, weil er so langsam ist. Wenn sie mir erlauben, sie an den Baum zu binden, könnte ich den Büffel hier lassen.
"Dem Tiger war es recht. "Dann fresse ich sie eben etwas später" dachte er, während der Bauer ihn an am Baum fest band. Und beim Gedanken an den großen, grasenden Wasserbüffel, den kleinen Menschen und die unbekannte In-telli-genz lief ihm das Wasser im Munde zusammen.
Später kam der Bauer zurück. "Nun, wo ist sie?" fragte der Tiger.
"Hier" antwortete der Bauer und zeigte ihm ein großes, glänzendes Ding auf einer Stange. "Gib sie mir." befahl der Tiger. Der Bauer gehorchte. Er hielt die brennende Fackel an die Schnurrbarthaare des Tigers, die zu brennen anfingen. Dann hielt er sie an des Tigers Ohren, Schwanz und Rücken.
"Hilfe, das brennt." rief der Tiger. "Das ist die Intelligenz" sagte der Bauer.
"Komm, Büffel, wir gehen" Aber der Wasserbüffel konnte nicht gehen. Er platzte vor lachen. Der Tiger, Herr des Dschungels, Schrecken aller Tiere, ließ sich an einen Baum binden, und von einer Fackel versengen. Es war einfach zu komisch. Der Büffel wälzte sich im Gras und hörte nicht auf zu lachen, bis er mit dem Maul an einen Baumstumpf stieß, sie die Lippe aufschlitzte und die Nase verletzte. Das Ergebnis kann man heute noch sehen.
Und der Tiger? Nun, er jammerte und strampelte bis endlich die Flammen auch seine Fesseln verbrannten und er frei war. Aber die schwelenden Seile hatten sein Fell derartig versengt, dass sie schwarze Streifen hinterließen, die der Tiger trotz allen Waschens nie mehr los wurde.
Autor unbekannt
6:38 Minuten
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