Vom Pflaumenbaum der Goldstücke trug
Es lebte vor Jahren in Schlesien ein verarmter Herr. Einmal, als er sich seine Mahlzeit aus dem Dorfweiher holte, hing ihm ein kleiner weißer Fisch an der Angel, der schrie: „ Mach mich los, mach mich los, du kannst dir auch was wünschen!“
Da überlegte der Mann nicht lange, denn ein Fisch, der spricht, kann auch noch andere Dinge, Und so war’s. Er war der Sohn des Zauberes und lernte gerade bei den Fischen, wie man im Wasser lebt. Er konnte schon durch Kiemen atmen und sich mit Flossen fortbewegen. Aber die Fische können ja noch viel mehr.
„Wenn ich dich freilassen soll, mußt du auf meinem Pflaumenbaum Goldstücke wachsen lassen“, sagte der Gutsherr.
„Das kann ich nicht“, antwortete der Fisch, „da mußt du meinen Vater, den Erzzauberer bitten. Nimm heute vor Mitternacht ein Boot und fahre in die Schilfstraße ein. Dort, wo sie sich gabelt, wähle die rechte Schneise und rudere bis zum Schilfsrohr mit den fünf goldenen Kolben. Dahinter führt ein Kanal, so eng wie ein Nadelöhr, zu unserem Wasserschloß. Der Kanal öffnet sich dir, wenn du sprichst:
Vogel und Fisch, Mensch oder Baum – Alles was lebt, einigt im Traum.“
Der Baron tat, wie ihm geheißen. Als sein Kahn zu dem Schilfsrohr mit den fünf goldenen Kolben kam, sagte er den Spruch. Da öffnete sich der Kanal, so eng wie ein Nadelöhr, und sein Fahrzeug glitt glatt hindurch. Dann kam er zu dem Wasserschloß. Zwischen schimmernden Gärten saß, umgeben von sieben Töchtern und zwölf Söhnen, der Erzzauber in seinem Schiff mit Segeln aus Fledermausflügeln. Er sprach mit dem Atmen des Windes und der Stimme der Wogen:
„Du hast Mut, dich vor mein Angesicht zu wagen“, sagte er.
„Wenn ich wollte, könnte ich dich in ein Sandkorn verwandeln und in die Wüste blasen.“
„Das könnt ihr nicht, Herr“, widersprach der Baron, „denn euer Sohn hat mir versprochen, dass ihr mir einen Wunsch erfüllt. Wenn ihr das Wort nicht haltet, verliert Ihr eure Zauberkraft.“
„Nenne deinen Wunsch und mach dich davon!“, befahl der Erzzauberer. Er war in Eile, denn er hatte eine Verabredung auf dem höchsten Berg der Welt.
„So wünsch ich mir, dass auf meinem Pflaumenbaum Goldstücke wachsen“, sagte der Gutsherr.
„Wenn’s weiter nichts ist!“ brummte der Zauberer.
„Ihr Menschen denkt immer nur an Geld. Geh nach Hause und warte den Herbst ab, dann kannst du die Münzen vom Baum schütteln.“
Da bedankte sich der Mann, wendete seinen Kahn und fuhr durch den Kanal fuhr durch den Kanal, so eng wie ein Nadelöhr, wieder zurück. Gleich ging er zu seinem Pflaumenbaum und schaute nach, ob nicht vielleicht schon ein kleines Goldstück heranwuchs. Aber er sah nur linsengroße, grüne Stummelchen. Es war ja noch zweieinhalb Monate bis zur Ernte. Der arme Baron, den seine Schulden wie Mühlsteine drückten, lief er jetzt jeden Morgen aus dem Haus, um nach seinen Goldmünzen zu sehen, es blieben aber Pflaumen bis in den September hinein. Eines Nachts, als schon der Herbstwind die Baumkronen schüttelte, hörte er’s klingen und klirren, als ob ein Sack Dukaten ausgeschüttet würde. Und als er in den Garten stürzte, hing der Pflaumenbaum voller Goldstücke mit dem Bild des Kaisers. Da tanzte er vor eitel Glück dreimal um den Baum herum, und dann schüttelte er ihn, dass ihm die Dukaten auf den Kopf regneten. In ein paar Säcken sammelte er sie ein, und es hingen immer noch welche hoch oben. Sein Nachbar aber, der nicht schlafen konnte, weil ihn das Zahnweh plagte, hörte das Klirren und Klingeln und kam herbei, denn er meinte, bei dem Baron zersprängen die Fensterscheiben. Als er sah, was sich tat, drohte er dem anderen mit Gericht. Wegen Hexerei wollte er ihn anzeigen, doch dann gab er sich mit der Hälfte der Erntesegens zufrieden. Der Zauber war aber solche Art, dass von nun an die Hälfte der Golddukaten auf dem Pflaumenbaum des Barons und die andere Hälfte auf dem seines Nachbarn wuchsen. Als das nächste Jahr herankam, schlichen der eine wie der andere wohl ein dutzend Mal am Tag in den Garten, um ihre Pflaumen zu zählen, aus denen bald Goldmünzen werden sollten. Die Frau des Nachbarn, die nicht wusste, warum er immer fortlief, lag ihm deshalb so lange in den Ohren, bis er ihr’s eingestand. Dann wußten es bald alle Weiber in Schlesien, und zum Schluß wuchs zwischen Troppau und Freiwaldau nur noch ein Goldstück auf jedem Pflaumenbaum.
Auch der Baron erntete nur noch ein einziges Goldstück.
Eines Tages, als er sich einen Braten vom Himmel herunterholen wollte, schoß er eine Wildente flügellahm. Er wollte gerade den Hund nach ihr schicken, da hörte er eine Stimme, die kläglich rief:
„Verschone mich, verschone mich, du kannst dir dafür was wünschen!“ Da der Baron den Ton schon kannte, pfiff er den Hund zurück, hob er die Wildente aus dem Wasser und verband ihr die Flügel.
„Es tut mir leid, dass ich euch getroffen habe“, sagte er, „aber wie konnte ich wissen, dass ihr jetzt in der Luft herumgeistert?“ „Ich lerne gerade die Kunst des fliegenden Getiers“, sagte der Sohn des Erzzauberers. „Mein Vater hat mich gestern in eine Wildente verwandelt, da bin ich noch ein wenig unerfahren, sonst wäre ich dir nie in die Hände gefallen.“
„ Das mag sein, wie es will, aber jetzt musst du mir einen Wunsch erfüllen“, sagte der Baron. „ Ich wünsche mir, dass auf meinem Birnbaum Goldbirnen wachsen.“ – „ So weit bin ich noch nicht“, antwortete der Sohn des Zauberers, „ da musst Du meinen Vater bitten.“
Noch in der selben Nacht fuhr der Baron mit seinem Kahn über den Teich. Dort, wo sich die Schilfstraße gabelt, bog er nach rechts ab und hielt vor dem Rohr mit den fünf Kolben. Dann sagte er seinen Spruch und glitt durch den Kanal, so eng wie ein Nadelöhr, zu dem Wasserschloß des Erzzauberers. Der saß mit seinen sieben Töchtern und zwölf Söhnen in einem Schiff und gab gerade Zauberunterricht. In diesem Augenblick bemerkte der den Baron, der in seinem Kahn herangerudert war.
„Was willst du schon wieder hier?“ fuhr er ihn an.
„Weißt du nicht, dass ich dich in einen Wassertropfen verwandeln und ins Meer fallen lassen kann?“
„Das könnt ihr nicht“, widersprach der Baron, „ihr müsst mir vielmehr einen Wunsch erfüllen, weil ich die Wildente, Euren jüngsten Sohn, gerettet habe.“
„Weiß schon, weiß schon“, knurrte der Zauberer unwillig.
„Geh heim, warte die Erntezeit ab und schüttle deinen Birnbaum leer, dann hast du mehr Gold, als du je verbrauchen kannst.“ Das wäre auch so gewesen, wenn nicht der Nachbar es wieder entdeckt hätte. Diesmal plagte ihn seine Gicht, sein schmerzendes Knie ließ ihn nicht schlafen. Da hörte er’s im Garten nebenan „plums, plumpumps und plumpumpums“ – da waren des Barons dicke Goldbirnen, die fielen polternd ins Gras. Da lief er hin und verlangte die Hälfte, sonst wollte er ihn anzeigen wegen Hexerei. Und darauf stand damals der Tod auf dem Scheiterhaufen. Was blieb dem Baron übrig?
Er mußte das Geheimnis mit seinem Nachbarn teilen, und gleich war nur noch die Hälfte seiner Birnen aus Gold, die andere Hälfte bloß gut für Zunge, Gaumen und Magen. Und dann plauderte die Frau des Nachbarn das Wunder weiter, sie meinte, sie müsse ersticken, wenn sie’s für sich behielte. Da wuchs zuletzt nur noch eine Goldbirne auf jedem Birnbaum zwischen Troppau und Freiwaldau, und endlich waren es nur noch goldene Stengel und Kerne, und dann blieben auch die aus.
„Das nächste Mal muß ich’s klüger anfangen“, sagte der Baron. „ Immer wenn er fischte, hoffte er, dass ihm der Sohn des jüngsten Zauberers an der Angel hinge, und wenn er auf die Jagd ging, sah er ihn in jedem Hasen und Schnepfe. Aber sei es, dass der andere nun die Zauberkunst besser verstand oder sie anderswo übte – der Baron angelte nur gewöhnliche Barsche und Weißfische und stöberte nur wilde Kaninchen und Wachteln auf. So verging manches Jahr. Dann kam eine große Dürre über das Land, und wo man früher doppelt und dreifach geerntet hatte, gab es jetzt nur noch ein Viertel oder weniger. Da rückten dem Baron die Gläubiger auf den Hals und wollten ihm das Gut versteigern. Traurig nahm er seine Axt und ging in den Wald, um einen Baum zu fällen, denn er hatte nicht einmal mehr Holz für seinen Kamin. Sowie er aber den ersten Schlag tat, ertönte eine Stimme;
„Laß mich leben, du darfst dir dafür auch was wünschen!“
„Seid Ihr jetzt ein Baum?“ fragte der Baron, der die Stimme wohl kannte.
Da sagte der Sohn des Zauberers, dass er gerade lerne, wie die Bäume wachsen und Nahrung aus der Tiefe der Erde ziehen und mit Ast und Zweig gegen den Himmel streben. Bald würde er alles wissen, dann könne er jede Gestalt annehmen und nach Gefallen leben wie Mensch, Tier, Pflanze oder Stein.
„Aber zuerst musst du auf meinem Apfelbaum goldene Äpfel wachsen lassen“, sagte der Baron.
„Das kann ich wohl“, antwortete der Sohn des Zauberers, „ denn mein Vater hat mich jetzt alles gelehrt. Denke aber daran, wie dir’s mit den goldenen Pflaumen und den Goldbirnen erging, und wünsch dir was anderes!“
Da wünschte sich der Baron, dass Goldstücke aus seinen Fingern sprängen, immer wenn er sie knacken ließ, und das wurde ihm gewährt.
Von jetzt an konnte der Nachbar, von Zahnschmerzen, Gicht oder Magendrücken geplagt, noch so angestrengt aus dem Fenster lauschen, er hörte kein Klirren mehr, kein Plumpsen und kein Hoppla – pardauz. Der Baron aber zahlte seine Schulden und hinterließ seinen Erben die ganze Kornkammer voll Gold. So oft hatte er seine Finger knacken lassen
Quelle: Die schönsten Märchen von Roderich Menzel
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